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Der Todeswürfel

Informationen

Literaturangabe:

Grässe, Johann Georg Theodor
Sagenbuch des preußischen Staates, Glogau 1868

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Der Todeswürfel

Der Todeswürfel

Unter dem Großen Kurfürsten hat in Berlin ein reicher Waffenschmied gelebt, der nur ein einzig Kind, ein wunderschönes Mädchen, besaß. Um diese bewarben sich zwei Leib-Trabanten des Kurfürsten, Heinrich und Rudolph, beide bei ihrem Herrn sehr beliebt, und obwohl sie gleich außer ihrer Stelle dem Mädchen nicht viel zu bieten hatten, wagte doch der Vater derselben sie wegen der Gunst, in der sie bei dem Kurfürsten standen, nicht zurückzuweisen. Die Jungfrau selbst entschied sich anfangs für keinen, allein endlich fühlte sie sich doch mehr zu dem stillen Heinrich hingezogen als zu dem heftigen Rudolph. Als nun ersterer eines Abends den alten Waffenschmied aus den Händen roher Gesellen, die ihn mißhandeln wollten, befreit hatte und überdies auch gleichzeitig durch eine Erbschaft zu Geld gekommen war, da gab ihm auch der Vater den Vorzug vor seinem Kameraden, und dieser räumte zwar notgedrungen das Feld, beschloß aber, bittere Rache zu nehmen. Er schlich nun den Liebesleuten auf Tritt und Schritt nach, und als er sie eines Abends im Schatten der Häuser versteckt am Brunnen belauert hatte, wurde er durch die Liebkosungen, welche das Mädchen ihrem Liebhaber zuteil werden ließ, so zur Wut entflammt, daß, als jener sich von ihr entfernt, er auf sie losstürzte und ihr sein Schwert in die Brust stieß. Er entfernte sich unbemerkt, und als das Mädchen in ihrem Blut gefunden wurde, fiel natürlich der Verdacht nicht auf ihn allein, den niemand gesehen hatte und auf den man eben nur darum kommen konnte, weil seine Eifersucht bekannt war, sondern auch auf Heinrich, den mehrere Zeugen noch ganz kurz zuvor mit dem Mädchen hatten sprechen sehen. Der unglückliche Vater flehte den Kurfürsten um Bestrafung des Verbrechers an und dieser ließ beide Trabanten verhaften, weil nur einer von ihnen es gewesen sein konnte. Beide leugneten entschieden, und auch die Tortur brachte aus ihnen kein Geständnis heraus, so daß der Kurfürst nicht wagte, ein Urteil zu fällen, sondern die Entscheidung Gott anheimstellte. Er befahl nämlich, jene zwei sollten um den Tod würfeln, so daß, wer den höchsten Wurf getan, für unschuldig zu erachten sei, der andere aber hingerichtet werden sollte.

Sämtliche Trabanten mußten aufmarschieren, vor der Front wurde eine Trommel hingestellt, dabei stand ein Geistlicher und unfern davon ein Sarg. Beide Angeklagten schritten fest zu dem furchtbaren Gottesgericht, Heinrich forderte noch einmal, indem er seine Unschuld beteuerte, seinen Kameraden auf, sich schuldig zu bekennen, allein umsonst; derselbe nahm die Würfel, schüttelte sie und warf zwei Sechsen, so daß sonach eigentlich seines Gegners Los entschieden war. Allein dieser ließ sich nicht beirren, gläubig sah er gen Himmel und flehte zu Gott, er möge ein Zeugnis seiner Unschuld ablegen. Und siehe, was geschah, als er die Würfel auf die Trommel warf, zersprang der eine, der andere zeigte eine Sechs und die zwei Seiten des zersprungenen eine Sechs und eine Eins, so daß er dreizehn, also eins mehr als sein Gegner geworfen hatte. Letzterer aber wurde von diesem offenbaren Gericht Gottes so ergriffen, daß er seine Schuld nicht mehr leugnete, sondern ehrlich gestand, wie die Sache zugegangen war. Der Kurfürst aber wagte auch nicht, die Hinrichtung des Schuldigen zu befehlen, sondern verurteilte ihn, um ihm Zeit zur Reue zu lassen, zu ewigem Gefängnis, jener Todeswürfel aber kam in die Kunstkammer des königlichen Schlosses zu Berlin als ein Wahrzeichen von des Schicksals wundersamen Fügungen und der ewigen Gerechtigkeit des Himmels.

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