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Der Wendenkönig

Informationen

Literaturangabe:

Veckenstedt, Edmund
Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche, Graz 1880

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Der Wendenkönig

Der Wendenkönig

Wo der Wendenkönig geboren ist und bei wem er in der Jugend bis zu seinem 15. Jahr gelebt hat, vermag niemand zu sagen. Man erzählt, daß er eines Abends in der Tracht eines Hirten in ein einzeln gelegenes Gehöft getreten sei. Das Gehöft wurde von einer Witwe und ihren Töchtern bewohnt. Es befanden sich alle Hausgenossen, da es Winter war, in der Stube am Ofen, als man den Hofhund außergewöhnlich stark bellen hörte. Man vernahm von weitem den festen Schritt eines Wanderers auf dem hartgefrorenen Boden; als sich aber die Schritte des Fremden dem Haus genähert hatten, verstummte der Hund plötzlich. Bald darauftrat der Fremde in das Zimmer, und die Witwe bewillkommnete ihn. Sie bot ihm an, er möge die Nacht in ihrem Haus bleiben, der Fremde nahm das Anerbieten an. Am andern Morgen betrat die Witwe ihren Hof; sie ging wie gewöhnlich zuerst zu ihrem Hund und liebkoste ihn, allein diesmal gab derselbe keinen Laut von sich, und bald merkte sie zu ihrem Schrecken, daß er stumm sei. Kurze Zeit darauf betrat auch der Fremde den Hof. Als er das Vieh besah und ein krankes Stück darunter bemerkte, versprach er, es zu heilen. Zu diesem Zweck blieb er einige Tage auf dem Gehöft der Witwe; da er die Heilung glücklich vollbracht hatte, sprach man bald im ganzen Dorf von dem Fremden; man brachte ihm viel krankes Vieh, er aber heilte alles. Es traf sich nun, daß einmal Tanz in der Schenke war. Der Fremde nahm daran teil. Bald kam es zum Streit, da die jungen Burschen des Ortes sich über den neuen Tänzer ärgerten, und vom Streit zur Schlägerei. Die Burschen wollten nämlich den Fremden hinauswerfen. Der aber zeigte bei der Schlägerei eine furchtbare Kraft, immer zwei und zwei der Burschen erfaßte er und warf sie zur Tür hinaus, so daß er zuletzt mit den Tänzerinnen allein in der Schenke blieb. Da war es denn nur natürlich, daß er wegen seiner ungeheuren Kraft in hohe Achtung kam. Kurze Zeit nach diesem Vorgang verließ er das Dorf und blieb einige Jahre in der Fremde. Es war nun aber, als ob mit der Abwesenheit des Fremden aller Segen vom Dorf gewichen sei, viel Krankheiten trafen Menschen und Vieh, und niemand war da, der helfen konnte. Da begann man sich wieder nach dem Fremden zu sehnen, und man sprach fortan nur noch von dem Kral. Niemand aber wußte oder konnte erfahren, wo derselbe weile. Eines Tages trug es sich zu, daß der Fremde wieder erschien; wo nun hinfort in dem Dorf oder in der Nachbarschaft eine Krankheit ausbrach, holte man sofort den Kral, und der heilte denn auch Menschen und Tiere. Er bekam für jede Heilung ein Stück Geld, und es gelang ihm bald, eine tüchtige Summe zu ersparen. Der Fremde heilte nicht nur Krankheiten, sondern er machte sich auch dadurch bei den Leuten beliebt, daß er ihnen zum Tanz, besonders beim Erntefest, aufspielte. So wuchs sein Ansehen, und infolgedessen kam es dahin, daß man auch Streitigkeiten von dem Kral schlichten ließ. Nun hatte er vollauf zu tun, und bald bildete sich ein Kreis von Männern und Jungen um ihn, die ihn auf seinen Streifereien, die oft acht bis vierzehn Tage währten, zu begleiten pflegten.

Einst fühlte sich ein Bauer durch den Schiedsspruch des Krals gekränkt, er und seine Freunde lauerten deshalb dem Gefolge desselben auf, als dieser zufällig nicht bei seinen Getreuen war, und schlugen diese in die Flucht. Als der Kral das erfuhr, wurde er sehr zornig; er drohte, er werde sich eine Burg bauen und fortan das Land als König beherrschen. Schnell sammelte er seine Anhänger, deren Zahl stets gewachsen war, um sich und zog mit ihnen dem Bauern und dessen Freunden entgegen. Als diese, welche beim Mittagessen waren, das Geschrei ihrer Feinde vernahmen, ergriffen sie schnell ihre Waffen und zogen dem Heer des Krals entgegen. Bald war ein hitziges Treffen entbrannt, die feindliche Schar richtete ihre Geschosse besonders auf den Fremden, welcher Holzstiefel und einen blauen Leinwandkittel trug; allein alle Pfeile prallten an ihm machtlos ab, und bald erkannte man, daß der Fremde unverwundbar sei. Durch seine Tapferkeit fiel das Treffen zu seinen Gunsten aus, und bald waren die Anhänger des Feindes, welche nicht gefallen waren, gefesselt. Die Gefangenen mußten das Heer des Königs begleiten und ihm in Burg ein Schloß bauen. Die Burg wurde mitten auf dem Burgberg errichtet. Hier nun lebte der Kral viele Jahre in ruhiger Ausübung der Herrschaft, zog oft einige Wochen im Land herum, heilte Krankheiten und schlichtete Streitigkeiten, dafür erhielt er reiche Geschenke und sammelte so einen großen Schatz.

Einst versammelte er seine Getreuen um sich und sprach zu ihnen: "Es sind nun bald die fünfzig Jahre um, welche ich bei euch zubringen wollte, bald werde ich euch verlassen, und niemand wird erfahren, wohin ich mich wende."

Darauf ermahnte er sie, daß sie friedlich beieinander wohnen möchten. Kurze Zeit darauf vergrub er seinen Schatz, damit niemand in seinen Besitz gelangen könne, und nachdem er dies getan, ist er eines Tages verschwunden; niemand weiß wohin.

Man erzählt, daß seine Seele im Grab keine Ruhe gefunden habe, deshalb sieht man auf dem Burgberg öfter Flammen lohen.

Diese Sage wird nun in Branitz folgendermaßen erzählt: Der Wendenkönig, von dem man nicht genau weiß, wo er seine Burg oder sein Schloß gehabt hat, denn er war überall im Wendenlande zu Hause, hatte im Beginn seiner Regierung viel mit den Deutschen zu kämpfen, und er hat sie stets besiegt. Das hatte aber seine gute Ursache. Der König selbst war nämlich unverwundbar, so daß ihm kein Geschoß etwas anzuhaben vermochte. Ging es nun in das Feld gegen die Deutschen, so führte er das Heer der Wenden an, da dieses aber nicht groß genug war, um allein den Kampf gegen die Deutschen aufnehmen zu können, so schuf der König sich auf folgende Weise Krieger. Er besaß zwei zauberkräftige Säcke: in dem einen befand sich Hafer, in dem anderen Häcksel; sobald er nun den Hafersack schüttelte und die Körner herausfielen, verwandelten sie sich in Reiter, schüttelte er aber den Häckselsack, so verwandelte sich der herausfallende Häcksel in Fußsoldaten. Diesen Reitern und Fußsoldaten aber konnte kein Geschoß und kein Schwerthieb etwas anhaben. Waren nun die deutschen Heere in Sicht, so bestieg der König sein Roß und erhob sich mit seinem Hauptmann in die Luft, um die Stellung der Feinde zu erspähen. Den Wendenkönig aber und seinen Hauptmann sah niemand aus dem Heer der Feinde in der Luft, es schien den Deutschen nur, als zögen ein paar Raben über ihren Häuptern dahin; hin und wieder sah auch wohl einer der Deutschen einen Blitz am Himmel aufleuchten; das waren aber die Hufe von dem Roß des Wendenkönigs, die in der Sonne blitzten.

Hatte der Wendenkönig nun die Stellung der Deutschen erspäht, so stellte er sein Heer so auf, daß die Reiter und Fußsoldaten, welche aus dem Hafer und Häcksel entstanden waren, dem Heer der Deutschen entgegenzuziehen hatten. Die Deutschen vermochten dann nicht, diese zu überwältigen, weil kein Geschoß ihnen schaden konnte. Der König selbst aber legte sich mit seinen Wenden in den Hinterhalt und fiel, wenn der Kampf entbrannt war, den Deutschen in den Rücken, welche er auf diese Weise stets besiegte. Als nun die Deutschen merkten, daß sie den Wendenkönig nicht besiegen konnten, standen sie von den Kriegen ab, und der König konnte nun lange Zeit in Ruhe und Frieden über seine Wenden herrschen. Als es endlich zum Sterben kam, gebot der König den Wenden, sie sollten, wenn er tot sei, mit der Haut seines Leibes eine Trommel überziehen. Das geschah, und sooft nun ein Kampf zwischen Wenden und Deutschen entbrannt war und die Trommel gerührt wurde, erfaßte die Deutschen ein solches Entsetzen, daß sie davonliefen. Als aber einst die Trommel zu stark geschlagen wurde, zersprang das Fell; fortan war es mit den Siegen der Wenden vorbei, denn sie erlagen jetzt den Deutschen und wurden von diesen unterworfen.

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