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Die Nixe des Osterabrunnens

Informationen

Literaturangabe:

Sausse, Wilhelm
Neues Lausitzisches Magazin, 43. Band, Görlitz 1866

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Die Nixe des Osterabrunnens

Die Nixe des Osterabrunnens

Der Brunnen in dem Vorwerk Einbecke, das auch ehemals einen anderen Namen hatte, hieß vor dreihundert Jahren noch der Osterabrunnen und wurde wegen der ihm zugeschriebenen Heilkräfte von den Einwohnern Gubens sehr hoch geschätzt.
Die Sage von der Nixe des Osterabrunnens ist eine der lieblichsten, aber eine sehr lange. Da sie nun mit allen den Sagen von Nixen, die einen schönen Mann lieben, jedoch zum Gatten nicht bekommen, wesentlich übereinstimmt, so gebe ich von ihr nichts weiter als den ihr eigentümlichen Schluß.

Die Nixe, vom schönen Heinrich verschmäht, begibt sich in das Jungfrauenkloster, verrichtet schweigend und unerkannt die niedrigsten und härtesten Mägdedienste, wird wegen ihrer Demut und Frömmigkeit geachtet, Nonne, Subpriorin, Priorin, endlich die Äbtissin Paula. Aus dem seltsamen Umstand, daß ein Zipfel ihres Kopftuches immer feucht bleibt, schließt eine junge kluge Nonne, die Äbtissin möge wohl gar eine Nixe sein. Leider birgt sie ihre Entdeckung nicht in der eigenen Brust, sondern teilt sie unter dem Siegel schweren Geheimnisses zunächst ihrer teuersten Freundin mit, die nebenbei noch eine teure Freundin hat usw., bis die Subpriorin, die Priorin, dann der Pfarrer des Klosters und Beichtvater der Nonnen, endlich gar der Probst die in kirchlicher Hinsicht höchst bedenkliche Sache wittert, welcher nun die an Kenntnis der Naturkräfte alle Mitglieder des Klosters überragende, in der Ausübung der Heilkunst ungewöhnlich geschickte und glückliche, daher nach dem bisherigen gemeinen Glauben der Nonnen wundertätige Äbtissin aufmerksamer und sorgfältiger beobachtet und zu grausigen Endeckungen gelangt, die ihn, den gelehrten Priester, mit Sorgen um das Heil der römischen katholischen Kirche erfüllen. Im Beichtstuhl scharf verhört, bekennt die Äbtissin der Wahrheit gemäß, daß sie die Nixe des Osterabrunnens ist; bedacht darauf, ihr ewiges Seelenheil durch den Glauben der Christen zu retten, habe sie dem Zweck entsprechend stets gehandelt, aber schon ganz nahe ihrem hohen Ziel sehe sie sich jetzt von diesem durch den voreiligen Eifer ihrer geistlichen Genossen weiter als je entfernt. Jammernd zerfließt sie in Luft. Bis auf diesen Tag ist sie noch nicht in christlicher Weise selig geworden; denn glaubwürdige ehrbare Leute haben sie während der heiligen Nächte des Jahres, besonders um Ostern und Johannis, am Osterabrunnen sitzen, andere sie mit dem Gewand der Äbtissin bekleidet und still für sich betend im Kreuzgang des Klosters umherwandern gesehen, namentlich während der Nacht vor dem Fest der Himmelfahrt der Heiligen Jungfrau, d.h. vor dem 15. August. Sie fügt niemanden Übles zu.

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