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Hermann Sudermann an seine Frau

Informationen

Literaturangabe:

Sudermann, Hermann
Briefe von Hermann Sudermann an seine Frau (1891-1924), Stuttgart, Berlin 1932

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Hermann Sudermann an seine Frau

Briefe an seine Frau

Blankensee, den 3. Juli 1897.

Die Badestelle ist himmlisch. Vorgestern abend habe ich lange auf ihr gesessen ? den Kahn an einem ihrer Pflöcke angebunden und habe in den See hinausgeträumt. Eine Bank müssen wir uns noch für sie bauen lassen, dann ist sie der schönste Platz unseres Heimwesens.

Seit vorgestern ist Entenjagd. Allenthalben knallt?s. Und nach Sonnenuntergang gab?s ein Schreien und Erzählen im Röhricht, wie nie zuvor. Das arme Gesindel zählt die Häupter seiner Lieben, und die Jungen merken etwas von dem sogenannten Ernst des Lebens. Heute hielt ich eine lebendige Schwalbe in meiner Hand. Sie hatte sich ins Atelier verflogen und ließ sich ganz ruhig greifen. ? Die Luft, die plötzlich Glas geworden war, machte sie starr vor Schrecken. ? Das Schwalbennest an der Küche macht uns viel Freude. Fünf an der Zahl stecken die Köpfchen heraus. Ich habe eine Matte unten legen lassen, damit sie sich beim Herausfallen nicht zerschmettern. ?

Hede ist un? angela. ? Sie isst mittags bei Tische und ist furchtbar brav. Mein Märchen war zu grauslich, sie hat kein zweites mehr verlangt.


Rom, den 11. Februar 1898.

Daß ich den Dreyfußprozeß mit Gier und Wut verfolge, kannst Du Dir denken. Ein Schandmal für Frankreich, ein Schandmal für unsere ganze Zeit... Ich kann mir denken, daß Zola nicht bloß sein Vermögen, sondern auch seine Gesundheit und seine Arbeitskraft dadurch ruiniert. Aber eins lehrt er uns: die zynisch-skeptische Weltanschauung geht zum Teufel, solange noch ein einziger Mann auf Erden ist. Und was er uns Literaten lehrt, das ist noch eine Sache extra für sich.


Blankensee, den 16. September 1900,
Sonntagmorgen.


Herzliebste Cläre!

Da säß? ich nun wieder in unserem Paradies. Freitag abend hatte ich Berta mit Fräulein zusammen hinausgeschickt, und als ich gestern Mittag ankam, fand ich das Haus aufs herrlichste geschmückt und Tante Elly mit dem ganzen lieben Volk zum Empfange bereit. ?

Ach, wie wurde mir wohl und weit! Alles lachend und gesprächig ? alles ein Herz und eine Seele. Bei Tisch erzählte ich Weltausstellungsgeschichten. Das gab blitzende Augen und offene Münder. ? Abends spielte Ilse Beethoven, und ich lag in dem neuen Alexandersbader Liegestuhl und hörte zu. ?

Es ist bezaubernd hier. Daß wir durch die Proben um diese Herbsttage kommen sollen, ist ewig schade. ? Du kennst sie ja, aber sie sind dennoch immer von neuem neu und verwunderlich in ihrer herben purpurnen Schönheit. Die Herrn Hunde sind selig... Krah=Krah war anfangs scheu und biß nach mir, aber jetzt fliegt sie mir schon immer nach. ?

Am meisten erstaunt bin ich über das Schweigen, das allenthalben herrscht. ? Auf den Boulevards, inmitten eines ohrenbetäubenden Lärms, habe ich schlafen können und müssen, und hier Totenstille, in der das Ticken der Uhr und das Wispern eines Vogels sich schon bemerkbar macht.

Addio und auf Wiedersehn! Mit innigem Gruß und Kuß

Dein Heinz.

In der Halle und in meinem Arbeitszimmer wird schon geheizt. Überall Astern, Georginen und Sonnenblumen, aber hie und da auch noch eine Rose.

Von Zeit zu Zeit guck? ich zum Fenster hinaus, verträumt ? verzaubert, von so viel sonniger Schönheit.

Blankensee, den 10. Mai 1904.


Liebste Cläre!

Die Obstbäume stehen in vollem Flor und Dutzende von Sträuchern mit ihnen. Ungeduldig bin ich auf das Kommen des wilden Weins, um zu sehen, wie der Teich mit seiner Pergola aussehn wird, nun er von dem überflüssigen Gebüsch befreit ist. ?

Heute kommen die Säulen an, zwölf von der Zahl. Die großen für den Rundtempel wiegen vierzehn Zentner das Stück und das Herunterschaffen brachte bei jeder ein neues Problem. Soeben ? halb zehn ? sind die Leute fortgefahren.

Der Fußboden der hinteren Terrasse ist heute zum zweitenmal fertig geworden. Und die Fundamente der Loggia werden es morgen sein. Am weitesten zurück bleibt die Küchentreppe, für die neue Baluster gedreht werden müssen.

Im Park machen mir die Eulen großen Spaß. Auf dem hohlen Baumstamm an der Johannisbrücke sitzen ihrer zweie, und eine dritte guckt zu einem Astloch heraus. Sie lassen sich nicht im mindesten in ihren Liebeswerbungen stören, wenn man vor ihnen steht.

Zur Arbeit hab? ich zu melden, daß ich morgen mit dem Blankenseekapitel fertig werden werde. Ob es gelungen ist oder nicht, sollst Du mir dann sagen. Ich habe kein Urteil mehr. Aber heute früh las ich in alten Kapiteln und amüsierte mich so gut, daß ich das Weiterarbeiten vergaß. Das scheint mir kein schlechtes Zeichen. ?

Addio. Dein Heinz.


Blankensee, den 8. Juli 1910.

Über allen meinen Gedanken steht die gewaltige Nachricht von der neuen Erfindung eines von Grund aus wirkenden Mittels gegen Syphilis, die Professor Ehrlich in Frankfurt gemacht hat. Dadurch kann die Menschheit wieder entgiftet werden und in den Zustand des Vertrauens zurückkehren, im dem sie bis vor vier Jahrhunderten war. ? Und Tabes und Gehirnerweichung ? all diese furchtbaren Familienzerstörer, werden der nächsten Generation ausgestorbene Schrecken sein. Wenn ich des Nachts aufwache, kann ich nichts anderes denken.


Blankensee, den 25. Mai 1915.

Aus Blankensee diesen ersten ? und einzigen Gruß, denn mittags fahre ich wieder heim. Wie herrlich es auch sein mag in seinem jung-schönen Frühlingskleide, die Nachrichtenlosigkeit bedrückt mich zu sehr. Nur durch einen Zufall erfuhr ich gestern vom Kriegsausbruch, denn Zeitungen gab?s beide Feiertage über nicht, und niemand hatte mir von dem erschienenen Extrablatt etwas mitgeteilt. Nun mag das Unheil seinen Weg gehen!

Übrigens kam mir diesmal zum erstenmal das Bewusstsein davon, daß wir hier in Blakensee eigentlich ganz und gar in Italien leben. In Haus und Park kann man nicht einen Schritt machen, ohne auf italienische Erinnerungen zu stoßen. Es ist wirklich ein südliches Stückchen Welt, das wir uns hier aufgebaut haben. Daß nun alles doppelt schmerzhaft wirkt, kannst Du Dir denken. ?

Weißt Du, was mich gestern abend bei meinem Einzug in Blankensee begrüßte? Ein Haufe russischer Gefangener ? dreißig Mann an der Zahl. Nach dem Abendessen sangen sie wundervoll ? es war ja Feiertag ? in nie gehörten Melodien ? mehrstimmig ? voll Schwermut ? herzaufweitend. Da werden wir manchmal hören gehen.

Gestern war mir alles in seiner Verwilderung fatal, heute sitze ich schon im alten Zauber drin. Aber über allem liegt die Frage: Was wird werden?

Blankensee, Dienstag, den 15. Mai 1917.

Zwanzig Jahre Leben ? zum Teil noch Jugendleben, oder so sieht es wenigstens jetzt aus ? liegen in diesem Winkel beschlossen, den wir in den letzten drei Jahren so unverantwortlich vernachlässigt haben.

Gestern abend fuhr ich heraus. ?

Auf den ersten Blick infolge der Auswinterung vieles geradezu trostlos: die Stechpalmenhecke vor dem Schloß strohgelb, die Rosenranken im neuen Park alle erfroren, die Taxushecke auf der einen Seite fast gelb usw.

Die Hauptsorge muß jetzt sein: die Hecke zu retten, denn es ist Hitze eingetreten und es fehlt an Wasser.

Sodann muß in dem Schurrmurr des Hauses einmal fürchterliche Musterung gehalten werden.

Die Ernährungsverhältnisse werden nicht schlimm sein. Der Fleischer in Mietgendorf liefert selbst, was die Gäste brauchen, wenn sie Fleischkarten mitbringen, und sogar ein Gericht Aale nimmt Liesbeth heute mit.

Ich könnte Dir noch viel, viel über Blankensee schreiben und würde nicht müde werden. ? Alle italienischen Reisen wachen wieder auf. Aller Blödsinn, den wir hierher schleppten, und auch so manche Herrlichkeit, die nun die unsere ist, sagen uns, wie jung, wie naiv und wie glückspilzig wir dazumal waren. ?

Im Dorfe ist nicht die mindeste Arbeitskraft zu bekommen, vielleicht ein paar Jungens zum Wasser tragen. Pastor Wagner ist als Feldprediger in Frankreich, der Zimmermeister Schultze ? der nette, gefällige Mensch ? ist im Osten gefallen und vorigen Sonnabend beerdigt worden. Fünf kleine Kinder bleiben mit der Witwe zurück. ?

Und so wäre noch manches zu berichten ? Gutes und Trauriges.

Wenn wir aus Ostpreußen zurückkommen, wollen wir nicht zögern, herauszugehen. Ich bin überzeugt, wir werden neue Kräfte sammeln. ?

Mutterchen ist ganz gefasst. Ein bißchen Trennungsweh hat sie, aber sie freut sich auch.

[Hermann Sudermann (1857-1928) lebte mit kurzen Unterbrechungen ab 1877 in Berlin und seit 1897 mehrere Monate im Jahr auf einem Schloß in Blankensee bei Trebbin. Der Brief vom 16. September 1900 bezieht sich auf Sudermanns Aufenthalt in Paris, von wo er am 13. 9. zurückgekehrt war. Wegen der Proben zu seinem Drama "Johannisfeuer" am Lessingtheater mußte er gelegentlich nach Berlin reisen. Die mit den Einnahmen aus diesem Stück im Park gebaute Brücke nannte er "Johannisbrücke". Sie wird im Brief vom 10. Mai 1904 erwähnt. Im gleichen Brief spricht der Dichter vom Blankenseekapitel. Damit ist ein Abschnitt aus dem Roman "Das hohe Lied" (1908) gemeint; die Kahnpartie des Liebespaares spielt in der Landschaft von Blankensee. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten waren Sudermann und seine Frau während des Ersten Weltkriegs selten in Blankensee. Darauf bezieht er sich in seinem Brief vom 15. Mai 1917. Seine Mutter ging wieder nach Ostpreußen zurück, das sie aus Furch vor einem russischen Überfall verlassen hatte.]

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