Legende von der Gründung des Klosters Lehnin
Legende von der Gründung des Klosters Lehnin
?Hier, gebt mir Eure Hand, Junker! Oder faßt lieber meine Stange an! Ein Schritt links oder rechts ab - und Ihr seid verloren,? sprach der Knecht Ruprecht zu Hans Jürgen von Bredow.
Sie waren aus dem Dickicht des Waldes in die sumpfige Niederung hinabgestiegen, die sich in weitem Halbkreis um Ort und Kloster Lehnin fortzog. Hier war kein Steg, kein Pfad zu sehen. Nur Elfenbüsche, verräterisches Schilf und offene Lachen. An dieser Stelle ging der Führer selbst unschlüssig und prüfte vor das trügerische, zitternde Erdreich. Hier wand er sich in weitem Umkreis um mannshohe Rohrbüschel und gelangte nur durch einen Sprung mit der Stange hinüber, die er dann seinem Gefährten zu gleichem Dienste zurückreichte.
Jetzt standen sie ungefähr in der Mitte des Moors. Weithin zur Linken blinkten einige Lichter aus den Klostergebäuden, während ringsum nur die dunklen Föhrenwälder im Nachtkleide ihre ungastlichen Schatten waren. Ruprecht blieb stehen und schaute, nicht unruhig aber bedächtig, nach Luft und Erde und den vier Winden.
?Wir hätten doch besser getan, den großen Weg über den Damm und durch den Ort einzuschlagen!? meinte Hans Jürgen.
Ruprecht schüttelte den Kopf: ?Daß wir die Hunde wecken und dem Dieb die Spur zeigen!?
?Ruprecht, bleiben wir länger stehen? Unter mir bricht es schon!?
Der Knecht winkte ihm, die Stellung zu wechseln, wie er selbst tat: ?Hört Ihr die Glocken!?
Es läutete vom Kloster zur Frühmette. Ruprecht faltete still die Hände. Hans Jürgen folgte unwillkürlich seinem Beispiel. Nach einer Weile hörte man über das Wasser den Chorgesang der Mönche. Als sie ausgesungen, wandte sich der Knecht zum Junker: ?Will?s Euch nur gestehen, wußte ´nen Augenblick auch nicht aus und ein! So, nun sehe ich wieder klar! Ich finde schon! Wie muß denen zu Mute gewesen sein in der alten Zeit, die hier verirrten und in der Wildnis weder Licht, noch Glocken, noch Gesang spürten!?
?Sie sagen, das sei das erste Kloster, das Sie in den Marken gebaut.?
Ruprecht nickte: ?Muß doch grauslich gewesen sein in solchem Land, wo der Teufel sein Unwesen trieb! Ungestört und überall umher nichts als Wald und Sumpf, voll Bären und Heidenmenschen! Wo kein Heiliger war und keiner einen Schutzpatron hatte. Wie man da nur durchkam durch die Finsternis und das Kobolds- und Nixenzeug, das jetzt noch so festsitzt, daß die Geistlichen es nicht ausrotten können?!?
Hans Jürgen hatte gehört, das komme davon, daß die Mönche jetzt nicht wären wie sonst.
?Sie sind Schlemmer und Tunichtgute, das ist schon recht! Aber die Glocken haben sie noch! Ohne die hätten die Geister schon längst wieder Oberwasser. Das war wohl ein gut Werk, daß sie grad? hier das Stift gründeten, was es auch kosten tat an saurer Arbeit und Menschenblut. Da drüben bei Namitz erschlugen die Wendischen den Abt Seebald. Man sieht noch den Stock des Baumes, von dem sie ihn ´runterschütteln wollten. Aber da er sich festhielt, sägten sie den Baum ab und schlugen ihn dann tot, obgleich auch die Mönche den Heiden Lösegeld boten. Frieden seiner Seele! Ob sie den Frieden hat, das weiß ich nun nicht. Denn die Leute hierherum sprechen anders, als in den Kirchenbüchern zu lesen steht. Mehr als einer sah ihn im Dämmerlicht auf dem Stumpf sitzen. Und wenn man ihn anrief, huschte er in den Wald.?
Hans Jürgen hatte aber immer nur gehört von dem frommen Abt. Seebald, der ein Märtyrer geworden, weil er zu den Bauern in die schlechteste Hütte ging, um sie zu bekehren.
Ruprecht machte ein eigen Gesicht: ?Davon sollte man eigentlich hier nicht sprechen! Aber die Bauern meinen, zum Belehren ist er wohl ausgegangen. Doch ihm war?s mehr um die Frauen zu tun, als um die Männer! ? Einst kam er in Namitz in eines Fischers Haus. Die junge Frau, die gerade backte, kriegt einen Schreck und wußte sich nicht anders zu verstecken, als daß sie unter den Backtrog kroch. Als der Abt sie nicht sah, setzte er sich auf den Trog und wollte warten, bis sie käme. Doch ihre kleine Tochter lief erschrocken auf Feld und schrie: ,Vater! Der Abt sitzt auf der Mutter!? ? Da liefen sie alle vom Felde und schwuren ihm den Tod. Als der Abt sie nun herankommen hörte, mit Mistgabeln und Sensen, lief er, was er laufen konnte, aus dem Hof in den Wald. Sie hinter ihm drein. Und da er nicht weiter konnte ? denn er war dick ?, kletterte er auf eine alte Rüster. Und darauf geschah die Geschichte. ? Alle Mönche waren erschrocken über den wilden Grimm der Heiden, so daß sie das Kloster wieder verlassen wollten und auswandern. Und das wäre geschehen, wäre ihnen nicht am Ausgang der heilige Johannes erschienen, grad? wie er dem Wußo erschienen war!? ??
Derweil hatten sie das Ende der Niederung erreicht, zwar oft bis unter die Knöchel im Wasser schreitend, doch ohne weitere Fährlichkeiten. Und die hallen des alten Lehniner Waldes ? schlanke, himmelhohe Kiefern mit uralten Eichen untersprenkelt ? nahmen die Wanderer nun unter ihrem Schattendach auf.
Wohl hatte Hans Jürgen von seinem Ahnherrn Wußo gehört, aber das war dunkles Gerede gewesen, auf das er wenig geachtet. Hier in den feierlichen Waldhallen, durchschauert vom Morgenhauch, klang es jedoch anders.
Wußo war ein wilder Heide gewesen, der nur gedürstet nach dem Blute der Fremden, die eine fremde Sitte und einen fremden Gott in das Land seiner Väter einführen wollten. Oft hatte er sich der wilden Gewalt unterworfen, weil er nicht länger widerstehen konnte. Aber ebenso oft, wenn die Gelegenheit sich bot, hatte er in das Horn des Urs gestoßen, die alten Freunde und Genossen gerufen, die Kruzifixe niedergerissen, die Kapellen zerstört und verbrannt und das Joch abgeworfen, das ihn eine Schmach dünkte. Und auch jetzt, als die Herrschaft der Sachsen in der Nordmark gefestet schien, diente er nur mit innerem Grollen den Söhnen des Bären Albrecht.
Da war er einst zur Jagd ausgeritten mit dem Markgrafen Otto. Und sie waren in eine Wildnis gekommen, die der Markgraf noch nicht kannte. Darauf rechnete Wußo. Der Böse gab es ihm ein, daß er den Markgraf verlocken sollte, fern von den Seinen und ihn da töten, wo keiner es sah und keiner die Spur finde. Dann werde alles bleiben und werden, wie es gewesen. Denn was tue das Neue, das die Christen gebracht, dem Lande und Volke gut, als daß es die Leute unzufrieden machte mit dem, was sie hätten. Die an Eicheln und Buchnüssen sich genügen ließen, wollten nun Brot essen. Und die auf fauler Streu lagen, wollten in Betten schlafen und aus Höhlen und Hütten in Häuser und Türme übersiedeln. So überredete sich Wußo und machte seine schwarzen Gedanken weiß, weil doch auch diesem Heiden ? denn das war er trotz des Taufwassers ? das Gewissen schlug, daß Markgraf Otto ihm so viel Liebes erzeigt und sein Vertrauen auf ihn gesetzt. ?
Damals war die Gegend ganz anders, als sie jetzt ist. Wo jetzt die Fichten lustig und schlank ins Blaue schießen, war ein Dickicht von Eichen und Rüstern und Buchen, die ineinanderwuchsen und Krieg führten um das bißchen Boden und Luft. Da lagen umgeworfene Stämme faulend, einer über dem anderen. Und Gewürm, Kröten und Schlangen wimmelten am Boden, auf den nie ein Lichtstrahl fiel. Und wo der Wald aufhörte, war die Heide mit stachligen Ginster- und Wacholdersträuchen besetzt. Wo die Heide aufhörte, war das Bruchland. Verwachsene Elfen und Schlingpflanzen, daß kein Lüftchen durchdrang. Und in dem warmen, feuchten Dunst nisteten Schwärme giftiger Stechfliegen. Wer sich verirrte und nicht untersank, blieb stecken in den Dornen und kam jämmerlich um vor Hunger und Qual unter den Stichen des Geschmeißes. Auch das Wasser, wo es zutage lag, spiegelte nicht die Sonne und die Sterne und den blauen Himmel. Da trieben umgefallene Bäume umher, mit dickem Moos und Pflanzen überzogen. Inseln schwammen. Und ein buntes, schillerndes Netz von faulenden Stoffen schien darüber ausgebreitet. Die wilden Katzen kletterten in den verwachsenen Baumkronen, Krieg führend mit den Habichten, den Raben und Krähen. Der Bär schlich noch brummend in den Schatten um, ein Schrecken der andern Tiere. Und die Waldameise baute ihre hohen Kegelhäuser, das einzige geordnete Gemeinwesen. Nur den Auerochsen hatte schon der Mensch vertrieben. Und auf die stolzen und wilden Elentiere richtete er eine verderbliche Jagd, daß sie weiter gen Osten flohen und die wenigen, die noch waren, scheu im tiefsten Dickicht sich verbargen.
?Wird Euch in der Wüstenei nicht bang, Herr Markgraf?? fragte Wußo, da sie nun auf der Spur eines großen Elenhirsches ganz abseits waren von dem Gefolge. Die Stöße ins Hifthorn riefen keinen. Die Luft war schwül. Gewitterwolken zogen am Himmel auf. Und Wußo war doch selbst bang geworden. Denn vorhin, als der Fürst über einen Baumstamm setzte und sein Tier zu kurz sprang, daß er herabglitt, hatte der grimme Mann schon die Axt geschwungen, die ihm am Sattel hing, um dem Herrn den Garaus zu machen. Aber sein Arm blieb in der Luft hängen; ein ferner Donner rollte über die Wälder.
?Was soll mir bange werden?? antwortete Otto. ?Da ja Sankt Johannes bei mir ist in den Wüsteneien, der mein Schutzpatron ist und auch Deiner, Wußo!?
Nun dachte Wußo heimlich: Ob Dir der Sankt Johannes jetzt den Weg zeigen wird? Und er blieb tückisch zurück, da der Fürst, den Speer über sich schwingend, der Fährte des Elens folgte, ohne viel auf den Boden zu sehen.
Ihre Rosse, die nicht weiter konnten durch das Moor, hatten sie nämlich verlassen und anbinden müssen. Und Otto ging mit kühnen Schritten den Tapfen des Hirsches nach. Nur Wußo kannte den einzigen, schmalen Weg durch das Bruchland. Und bei jedem Schritt meinte er, der Fürst werde sinken. Dann überhob ihn der Morast der Mordarbeit. Denn wie viele Deutsche waren in den Kriegen, vor den tückischen Wenden in die Moräste gelockt, da versunken!
Aber der Fürst fand den Wege, ohne daß er ihn kannte. Sein Fuß traf immer das Feste und sank nie ein. Da er fast drüben war, rief er dem Wenden zu: ?Was scheust du, Wußo! Kommst du mir nicht nach?? ?? Wußo machte sich nun auf den Weg, den er sooft zurückgelegt. Aber seine Augen waren wie geblendet. Oder war es die Unruhe in ihm? Er sank mit dem Fuß ein-, zweimal. Und plötzlich, als der ganze Boden unter ihm zu zittern anfing, ward er inne, daß er falsch gegangen. Und es war zu spät, die Richtung zu ändern. Da rief er in seinen höchsten Nöten: ?Ach, Sankt Johannes, wie Du den herübergebracht, hilf auch mir, wenn Du den Weg kennst.?
Und ihm war?s, als liege um ihn eine Wolke. Und als reiche ein Mann, halb nackt, mit zottigem Haar und einem Fell um die Schulter, aber einen lichten Schein um die Stirn, ihm, dem Versinkenden, die Hand und hübe ihn und führe ihn sicher hinüber. Und der Fürst lächelte danach: ?Ei, Wußo, kennst Du so wenig Dein Land, daß Du selbst eines Führers bedarfst?? ? ?
Der Tag war heiß. Und die beiden wurden müde von der Jagd. Denn der Hirsch, wie oft sie ihn auch sahen, verschwand immer wieder. Da rief Markgraf Otto: ?Den Hirsch muß ich zum Stehen bringen! Ist mir doch, als hinge mein Heil und Leben von seinem Leben ab! Ich hab?s gelobt dem heiligen Hubertus! Aber jetzt kann ich nicht mehr!? Und er sank um, den Speer in der Hand, todmüde unter einer alten Eiche.
Aber Wußo hatte auch gelobt bei seinem Götzen, dem Teufel, sein Heil und Leben solle davon abhängen, daß er das Leben des Markgrafen nehme, was es ihm auch koste. Schwer ward es ihm. Denn er war kein schlechter Mann und glaube es nur zu tun um seines Landes Wohl. Nun, da es Nacht wurde von den Wolken, die aufzogen, drückte er die Augen zu und faßte den Wurfspieß mit beiden Fäusten und rannte wild auf den schlafenden Fürsten zu.
Da fuhr ein Blitz aus der Eiche nieder. Und ein Donner krachte, als wäre der Baum von seinen Wurzeln gebrochen. Vor dem Mörder stand wieder derselbe Mann, der ihn über den Bruch geführt, drohend den Arm hebend. Und Wußos Wurfspieß blieb wie angelötet in der Hand: ?Ist das Dein Dank, daß ich Dich hergeführt?? sprach Sankt Johannes! Und in demselben Augenblick fuhr auch der schlafende Fürst in die Höhe, mit einem Schrei, der Wußo wie die Trompete des Gerichts durch die Seele ging: ?Ha, es ist überstanden!? Und Wußo lag auf den Knien und wollte Worte stammeln. Aber seine Zunge klebte am Gaumen. Und in ihm brannte es wie stilles Feuer.
Markgraf Otto rieb den Schlag vom Auge: ?Wo ist nun das Ungetüm? Es stürzte mir ja zu Füßen??
?Hier, Herr!? sprach Wußo; ?zertritt es!? ? ?
Der Fürst schüttelte das Haupt und stierte in die Wolken, wie noch im Traum: ?Den großen Hirsch meine ich, mit seinem gezacktem Geweih! Sein Rachen sprühte Flammen. Heiß setzte er mir zu. Und ich hatte schweren Kampf. Nun ist er überwunden, der mir will streitig machen das Reich, das mein Kaiser mir zuwies, daß ich lichten soll in der Finsternis, ausroden die alte, schlimme Weise und bauen und bahnen die Wege zur Erkenntnis des wahren Gottes! Sein Licht war über mir. Es schmetterte ihn nieder. Aber wo ist der Feind? Ein Haufen Goldes dem, der ihn mir schafft!? ?
Unterdes waren die vom Gefolge des Fürsten herangekommen. Und als er ihnen erzählte, was er geträumt, erkannten alle Gottes Finger. Sie meinten, der grimmige Elenhirsch, der ihn im Schlafe umbringen wollte, könnte nur der Satan gewesen sein, der Wut schnaube und zittere in seinem Ingrimm, weil der Markgraf schon so Großes vollbracht und noch mehr vollbringen wolle, daß seine Herrschaft der Finsternis aufhöre. Der Markgraf erkannte, daß sie recht hatten. Und er gelobte zur Stunde, daß er zum Gedächtnis des schrecklichen Traumes und auf derselben Stelle, wo er gelegen, ein Kloster bauen wolle. Von da solle das Licht des Glaubens, gute Sitte und ehrbarer Fleiß ausgehen über das ganze Heidenland! Und er wolle es reich begaben mit Gütern und es fest machen zum eigenen Schutz gegen jeden Angriff und darin eine Gruft bauen, in der man ihn, wenn er zur Ruhe gegangen, die letzte irdische Stätte bereiten solle und nach ihm seinen Kindern und seinem ganzen Geschlechte.
So stiftete Markgraf Otto, nachdem er die Wälder gelichtet, Sümpfe getrocknet, Wege in das Holz gehauen, die Abtei und das Kloster Lehnin, das erste in diesen Marken. Und er ließ Zisterziensermönche dahin kommen aus Seevenbeeke drüben im Mansfeldischen, die die hohe Kirche bauten und Türme und die Klostergebäude und die Wälle und die Mauern zum Schutz gegen die heidnischen Wenden, denen diese Stätte des Herrn noch lange ein Stein des Anstoßes und des Ärgernisses war. Lehnin aber nannte er das Kloster, weil auf Wendisch der Elenhirsch den Namen führt. Und noch heutzutage ist im Chor der Kirche der Eichenstamm zu sehen, unter dessen Wipfel der Markgraf Otto geschlafen und den schweren Traum gehabt. ? ?
So ungefähr hatte Ruprecht auf dem langen Weg dem Junker die Legende von der Stiftung des Klosters Lehnin erzählt. ?? Aber was hatte der Ahnherr seiner Familie damit zu tun? War er vom Markgrafen bestraft worden?
Er strafte sich selbst! Er stürzte fort. Und lange Zeit wußte niemand, wo er geblieben. Aber er irrte im Wahnsinn durch Wald und Heide. Und war er irgendwo hingestürzt, müd? und erschöpft, so fuhr er wieder auf, wenn er Hundekläffen und ein Jagdhorn hörte. Denn so hatte der Wahnsinn sein Hirn umdüstert: Er glaubte der Hirsch zu sein, den der Markgraf niedergestoßen, und hinter ihm jage die wilde Jagd, geführt von Sankt Johannes, daß sie den letzten Elenhirsch fange, auf den der Fürst den großen Preis gesetzt.
Er nährte sich von Wurzeln und Gras, trank das Wasser aus dem Fließ und scharrte sein Lager in den Gebüschen. Im Traum zuckte er auf, von den Speeren und Pfeilen durchbohrt. Er stöhnte vor Schmerz und wünschte doch, daß seine Stunde komme.
So hatte der Wahnbetörte sich hineingedacht in die Seele eines Tieres, das dem Untergang geweiht war, als eines Nachts der Mann mit dem zottigen Haar und dem Fell über dem Nacken ihm auf die Schulter klopfte: ?Nun hast Du gebüßt Deine bösen Gedanken durch böse Gedanken! Aber das ist nicht genug! Du warst ein Tier und folgtest Deinem Triebe! Nun wache auf als Mensch und büße durch freie Tat Dein böses Tun! Töte und zerfleische Dich selbst! Dann erst wirst Du rein sein von der Schuld!? ? ?
Als Wußo aufsprang, war der heilige Johannes verschwunden, aber unfern, an einem Quell, sah er den großen Elenhirsch seinen Morgentrunk schlürfen. Da war er erwacht aus seinem Träume und seinem Wahnsinn. Den Hirsch muß er töten! Das war seine Aufgabe. Sein Herr, dem er das Leben verwirkt, hatte es geboten.
Der Hirsch floh. Wer aber kannte wie Wußo die Schluchten des Waldes, die jähen Seeufer, die Erdstürze, die Fährten des Wildes durch das Dickicht!
Er jagte das Tier. Endlich hatte er es in die Enge getrieben, wo es nicht mehr fliehen konnte. Es machte kehrt und stand. Aber nicht mit der Wut des gehetzten Wildes, das sein Leben im letzten Verzweiflungskampfe teuer verkaufen will. Das kluge Tier schien sein Los zu kennen. Nicht wie ein grimmer Feind, wie ein Opfer, das den Todesstreich erwartet, stand es vor ihm.
Den Jäger, der den Elch endlich stehen sieht nach langer, heißer Jagd, ergreift ein sonderbares Gefühl. Der Elch mit dem langen weit ausgreifenden Geweih, wie ein König des Waldes, mit den klugen, schönen Augen, wie ein Mensch, mit dem struppigen grauen Bart, wie ein Geist aus einer anderen Welt! Dem rauhesten Jäger schlägt das Herz; der Finger zittert ihm am Rohr. Er glaubte, der Elch spreche mit ihm und sein Auge strafe ihn.
?Was mußt Du mich vernichten? Bin ja doch dem Untergang geweiht!?
So sprachen die Augen des Hirsches zu Wußo. ?? Und in ihm sprach es: Mußt Du mich töten, so tötest Du Dich selbst! Leben kann ich nicht mehr, wo ich der Einzige bin meiner Art, der nur umschleicht wie das Gespenst auf den Grabhügeln derer, die mit ihm lebendig waren! Und ihnen gehörten der Wald, die Wiese, das blaue Wasser. Nun gehören sie anderen, die uns nicht dulden wollen! Die den Wald, die Wiese, das Wasser anders machen wollen, als der Herr es machte, der uns hineinsetzte! Bist Du nicht ich? Fühlst Du Dich heimisch noch in dem Lande, wo die Fremden Deine Wälder roden, in denen Du Schatten hattest und Luft? Wo sie Deine Götterbilder verbrennen, vor denen Du betetest? Die Grabhügel Deiner Väter durchwühlen? Wo sie Türme bauen in den Himmel, der frei war? Wo sie Kruzifixe aufrichten, daß Du denken sollst mit Zittern und Grauen nur an Qual und Graus? Und unter Deinen alten Göttern ging der Pokal um in Freude und Luft. Ist?s noch Dein Land und Dein Geschlecht, wo die fremde Zunge die Sprache verdrängt, die Deine Väter sprachen und die Du lalltest schon als Kind! Magst Du leben in Freudigkeit, wo sie auf Dich und Deine Brüder herabschauen, als Wesen schlechterer Art, nur aus Gnaden aufgenommen! Und Du warst frei wie der Vogel in der Luft, wie der Fisch im Wasser, wie wir im Walde! Du bist der letzte Deines Geschlechts! Willst Du?s nicht sein, willst Du Dich fügen als ein Knecht in die fremde Knechtschaft, so hilf sie ausrotten! Hilf ihnen, den Boden der Väter umackern, ihre Gräber zerstören, ihre Heiligtümer verbrennen:
Mit zugedrücktem Auge warf Wußo seinen Speer. Er hoffte, daß wieder der heilige Mann mit dem zottigen Haar den Speer fassen werden. Aber die Luft sauste. Es krachte. Und niederstürzte der stolze Zehnender. Die Bäume rauschten wie vor Schrecken. Wußo konnte den letzten Blick des Elchs nicht ertragen. Er sah sich selbst in den sterbenden Zügen. Zusammenstürzte auch er. Doch nicht in seinem Blute, sondern im hitzigen Fieber.
Als er genas, wollte er nicht mehr in den Wald, auch nicht zu Hof und nicht ausreiten mit dem Fürsten. Sein Sinn war dieser Welt erstorben. Und er pries den Herrn, daß es so war. Ein hären Gewand zog er um den nackten Leib und ging in das Kloster Lehnin zu den Zisterziensern.
Da hörte man ihn oft seltsame Gebete murmeln, daß es die anderen Mönche graute. Die dachten, es sei etwas Heidnisches darin. An keinen Heiligen waren sie gerichtet, auch nicht an Gottes Sohn und nicht an die Gottesmutter. Er wagte zu beten zu Gott Vater selbst, der Himmel und Erde geschaffen, er, der noch vor wenigen Jahren ein Götzendiener gewesen. Und es graute die frommen Mönche vor der Vermessenheit.
Wenn sie das hörten, glaubten sie, daß er wieder in seinen alten Irrsinn verfallen sei und scheuten vor ihm. Und schon nach wenigen Jahren starb er, an den Stufen des Chors, mit den Armen den Stamm der Eiche umklammernd, wo dazumal der Markgraf geschlafen.
Markgraf Otto aber schenkte den letzten Elenhirsch zum Andenken Wußos Nachkommen.
Auf dem Tore ihrer Burg prangte noch lange der Kopf des Elens mit seinem Geweih und später auch auf dem Wappen des Hauses.
Die Formschneider und Maler aus Franken, die es nicht verstanden, weil sie nie ein Elentier gesehen, machten daraus einen Widderkopf.
Mit dem Fell des Hirsches hat mancher sich des Nachts zugedeckt, bis die weichlichere Sitte kam ?? weiß der Himmel woher ??, daß sie den Gänsen die Federn ausrupften, in einen Sack stopfen und damit ihren Leib zudeckten. So war das schöne Fell in die Rumpelkammer geworfen und nur den Fremden der Sippschaft als eine Reliquie gezeigt, aus der Zeit, wo es noch Elenhirsche in der Mark gab.
Als jedoch einmal eine Kranke, die man drauf legte, genesen war, kam die Haut wieder zu Ehren. Dann aber wollte ein Besitzer, der geizig war und alles, was ihm im hause unnütz schien, zu Gelde machte, sie einem Handelsmann verkaufen. Seine Ehefrau berief sich indes auf die Eigenschaft des Felles. Und endlich kam man überein, daß man es gerbe und zu einem paar Hosen zurechtschneiderte. Nun war es kein unnütz Stück mehr. Und wenn Heilkraft darin steckte, meinte der Mann, sei es ihr unbenommen, sie auch in der neuen Gestalt zu zeigen.
Die Hosen erbten sich immer vom Vater auf den Sohn fort. Und wurden die berühmten Hosen des Herrn von Bredow!
["Die Hosen des Herrn von Bredow", zuerst 1846 erschienen, ist das wohl bekannteste Buch von Willibald Alexis (1798-1871), der in einer Reihe von Romanen Ereignisse aus der brandenburgisch-preußische Geschichte thematisiert hat. Das Kloster Lehnin wurde 1180 gegründet. Alexis stützt sich bei der Schilderung der Gründungslegende auf den in der "Chronica Marchionum Brandenburgensium" überlieferten Hergang.]