Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Liebenberg 1812

Informationen

Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg, Berlin 1889

zurück

Liebenberg 1812

Liebenberg 1812

Der Zug gegen Rußland

Einige Briefe aus dem Jahre 1811, die das allmählich heraufziehende Wetter ankündigen, schick ich vorauf.


Liebenberg, 12. Januar 1811

Wahrlich, man möchte an der Vorsehung verzweifeln, wenn man die Fortschritte der Bösewichter und das Unterdrücken so vieler rechtlichen Leute bedenkt. Zum Erstaunen ist es, wie, bei der obwaltenden Bosheit und Frechheit, noch so viele Menschen sich durch die Narrenkappe einschläfern lassen. Es wird keine achtzehn Monate mehr dauern, so wird der nordische Koloß von dem südwestlichen bekriegt werden. Dazu sieht man die Anstalten nach und nach in Wirksamkeit übergehen.


L., 16. Februar 1811

Was man über den politischen Zustand der Dinge urteilen soll, weiß niemand. Die Russen sind in der festen Überzeugung, daß ihnen ein Krieg mit dem Allgewaltigen bevorsteht; unter Vorwand des Küstenschutzes ziehen sich französische Truppen im niedersächsischen Kreise zusammen, ja, sie haben sogar einen Versuch gemacht, Swinemünde, wo wir nur ein kleines Detachement haben, zu besetzen. General Blücher, der gute Nachrichten haben muß, ist ihnen aber zuvorgekommen und hat schleunigst ein Bataillon dorthin gelegt, worauf die Ankommenden nicht weiter vorgerückt, sondern zurückgegangen sind. Aus den politischen Manövern in Schweden wird man nicht klug. Einige behaupten, daß der neuerwählte Kronprinz nicht in die Projekte des Allgewaltigen einstimmen werde, sondern ein Schwede sein will. Die ihn begleitenden französischen Adjutanten sind wenigstens wieder zurückgereist, und vor drei Tagen hieß es, die Güter, die Bernadotte im Hannöverschen habe, seien von Napoleon in Beschlag genommen worden. Ob das Gaukelei oder Ernst ist, weiß nur der, aus dessen Kopf es kommt.


Liebenberg, 25.Januar 1812

Die verdammten Franzosen machen uns mit ihren Fuhrwerken wieder Unruh und Kosten. In voriger Woche mußten 180 Wagen gestellt werden, um Kugeln zu fahren, und in dieser Woche werden wieder ebenso viele verlangt werden. Alle diese Transporte gehen auf Danzig. Mir deucht, daß das nicht nach Frieden aussieht.


L., 18. Februar 1812

Sichern Nachrichten vom Rhein entnehm ich, daß eine Menge Truppen bei Wesel übergegangen sind und in der dortigen Gegend kantonieren. Sowie neue Regimenter nachrücken, so rücken die andern in der Direktion von Magdeburg vorwärts. Wir sind wirklich in einer traurigen Lage und gezwungen, an der Feindschaft anderer teilzunehmen, um auf alle Art ausgezogen und ausgezogen zu werden.


L., 3. März 1812

Gestern brachte der Postschirrmeister die Nachricht, daß die Franzosen Swinemünde und die Insel Usedom besetzt hätten. Ich bezweifle es noch, denn es wäre ja eine halbe Kriegserklärung. Magdeburg ist in Belagerungsstand. Das bedeutet nun freilich nichts, da dergleichen von der Caprice der Marechaux abhängt. Sonst nichts Neues, noch weniger etwas Gutes. Wollte Gott, daß man einmal von einem dauerhaften Frieden hörte, noch besser freilich, wenn der Störer alles Menschenglücks ein für allemal zum T... führe.


L., 10. März 1812

Seit vier Tagen ist unsere Gegend von französischen Truppen gewaltig heimgesucht worden. Ein Corps, weit über 20 000 Mann, ist die Zehdenicker Straße in Eilmärschen gezogen; kaum vierundzwanzig Stunden vorher wurden sie angemeldet. Den 7. März bekam ich einen Divisionsgeneral, elf Offiziere und fünfundsechzig Reiter von den Kürassiers; sie blieben den 8. hier und zogen dann die Route nach Schwedt weiter. Essen, Trinken und Fourage wurde gereicht, und bei aller strengen Ordnung, die der General Saint-Germain halten ließ, war der Besuch immer kostbar wegen der Menge und wegen des Vorspanns. Die Infanterie war in den Städten zusammengedrängt; der Bürger hatte zwanzig und mehrere im Quartier. Der Bauer von zehn bis sechzehn Reiter. Alle sagten, es ginge gegen die Russen und die Armee würde mit den Polen und Rheinländern 300 000 Mann stark sein. Durch das Lüneburgische und Mecklenburgische geht das Corps, welches Marschall Oudinot führt; durch Sachsen gehen die Bayern und Württemberger; durch Ungarn gehen 60 000 Mann unter Befehl des Vizekönigs von Italien. Pferde und Menschen leiden sehr durch die Eilmärsche im Kot und in der Nässe. Die Reitpferde des Kaisers sollen schon in Dresden sein; er selber nimmt ebendiesen Weg, ob er aber bereits unterwegs ist, wußte niemand zu sagen. Das Fuhrwerk, welches der Marsch erfordert, ist ungeheuer. Da die Corps zur Aushilfe für jeden Mann sechs Paar neue Schuh und Stiefeletten und andere Kleidungsstücke in großen Fässern mitnehmen, so bleibt kein Pferd in unserer Gewalt, und oft müssen die Bauern, aus Mangel an Relais, zwei und mehr Stationen statt einer fahren. Genug, es entsteht eine Verwirrung in unseren Ökonomien, die ganz unaussprechlich ist. Es muß durchaus etwas vorgefallen sein, welches diese Eile erfordert; allein die Wahrheit erfährt man nicht. Die in Stettin liegenden deutschen Regimenter haben auf Danzig gehen müssen, wogegen die französischen als Besatzung zurückblieben. Wir sind also nun wieder in der befürchteten großen Krise, und Gott weiß allein, wie das alles ausfallen wird.


L., 17. März 1812

Ich glaube Dir vor acht Tagen geschrieben zu haben, daß ich das Hauptquartier der 1. Kürassierdivision der Franzosen zwei Tage bei mir bewirtet habe; seitdem sind noch kleine Abteilungen hier durchgezogen, und das ganze Davoustsche Corps ist nun über die Oder. Ob es in Pommern bleibt oder weiterzieht, weiß ich nicht. Es hieß, der französische Kaiser würde nach Berlin kommen; da sich jedoch alles, was zu seiner Equipage gehört, auf Dresden dirigiert, außerdem auch der österreichische Kaiser nach Dresden kommen soll, so scheint es wohl, daß dort ein Rendezvous sein wird. Nansouty, der Oberbefehlshaber über alle Kürassiers, ist durch Berlin gegangen, vermutlich um seine Bekannten in Kunersdorf und Quilitz angenehm zu überraschen. Vier von den Marschällen, die ganze Corps führen, sind uns bekannt: Davoust, Ney, Oudinot und Bessières. Morgen geh ich auf ein paar Tage nach Berlin, wohin ich einige Papiere und angreifliche Sachen bringen werde, weil man nicht weiß, was kommt. Ein jeder grübelt über die Zukunft und ist verlegen, und man hat Ursach, es zu sein, wenn man die Umstände betrachtet und ganz besonders den, der all dies treibt. Ich hab übrigens eine starke Ahnung, daß dies der letzte Auftritt des Trauerspiels sein wird. Denn "tant va la cruche à l´eau".


L., 31. März 1812

Der König ist wie gewöhnlich nach Potsdam gegangen, um dort am Stillen Freitag zu kommunizieren. Er hat seine Garden mitgenommen; das Leibregiment blieb in Berlin und ist mobil, um mit den Alliierten zu ziehen. Alles übrige, als das 1. Brandenburger Reiterregiment, das Gardejägerbataillon etc., marschiert nach Schlesien. Berlin ist voll von den Truppen des Oudinotschen Corps; ich habe bis heut aber keine Nachricht, ob dieses weiterzieht oder nicht. Von den bei Euch ausgesprengten Nachrichten ist manches nicht richtig. Daß die Dohnas den Abschied gefordert haben, ist wahr, auch andere haben ihn verlangt, aber nicht alle haben ihn erhalten, sondern der König ist böse geworden und hat sich darüber hart ausgelassen. Ob Gneisenau den Abschied hat, kann ich nicht erfahren, nur das scheint festzustehen, daß Scharnhorst aus dem Generalstabe zurückgetreten ist; in welcher Verbindung er bleibt, weiß ich nicht, er geht aber nach Preußen und von da nach Schlesien zurück. Vom Prinzen August hieß es, er sei unwillig und hätte den Dienst verlassen wollen; er war aber all die Zeit über ruhig in Berlin, und gewiß ist die ganze Geschichte ihm angedichtet worden, obgleich man nicht darauf schwören kann, was er tun wird. G., der sich einen Posten in der Oberpolizei zu verschaffen gewußt, ist, wie es heißt, auf sein Gesuch verabschiedet. Es könnten noch mehrere verabschiedet werden, ohne daß der Staat darunter litte. Daß die Corps der Alliierten unter den Befehl eines französischen Divisionsgenerals gestellt werden sollen, ist denn doch empfindlich. Bei uns heißt es, daß Grawert, der unsere Truppen führen wird, nur vom Marschall Davoust abhängig sein soll. Die Zahl der Alliierten in der Großen Armee wird mit Einbegriff der Polen wohl drei Siebenteil ausmachen. Ich höre in mir immer noch die Stimme, die da sagt, wir spielen den letzten Akt, der mit dem Tode des Helden endigt.


L., 7.April 1812

Das Marschwesen bleibt immer dasselbe; die Etappenörter und nächst daran liegenden Dörfer gehen zugrunde, denn es wird alles aufgezehrt. Gewiß sind nun über 100 000 Menschen und vielleicht 20 000 Pferde diese und die Mecklenburger Straße gezogen, und schon sind abermals 5000 auf heut und morgen angesagt. In Berlin geht es ebenso; sie kommen und gehen weiter, aber andere rücken an ihre Stelle. Die Aufführung ist sehr verschieden, je nachdem die Divisionsgenerale auf Ordnung sehen. Was aus dem Ganzen werden soll, darüber läßt sich noch nicht urteilen; für uns ist auf alle Fälle Nachteil und Verderben in Sicht. ? Die Bayern, von denen Du schreibst, sind als etwas grobkörnig bekannt. Du hast sehr recht, wenn Du sagst, daß man die weisen Herren, die uns mit ihren Floskeln so fleißig bedienen, nach den Etappenörtern hinjagen müßte, um für Magazine und Lebensmittel zu sorgen. Hier hüten sie sich, am Platze zu sein, und lassen oft die Unterbehörden in der größten Verlegenheit. Überhaupt überzeuge ich mich täglich mehr, daß die mehrsten unserer Faiseurs elende Praktiker sind, denn wenn sie´s wirklich verständen, wie würden dann so viele Abänderungen und Erläuterungen über ihre neuen Gesetze stattfinden müssen. Ob der König nach Breslau gehen wird, kann ich nicht erfahren; solange sich seine Garden nicht in Bewegung setzen, bezweifle ich solches.


L., 9. April 12

Heut hat Bergsdorf wieder eine Compagnie Einquartierung, und in Zehdenick hört es damit gar nicht auf. Wir wissen aber nicht, von welchem Corps die Gäste sind. Einige sagen, sie gehörten zum Victorschen Corps; dann bliebe der aber nicht in Berlin, wie man bis dahin doch glaubte. ? Bei der russischen Armee erwartet man den Kaiser Alexander in Person. Ich möchte sagen, daß dies ein böses Omen sei, denn jedesmal, daß er früher bei der Armee eintraf, bekam sie Schläge.


L., 18. April 1812

Du hast recht, man erhält jetzt sonderbare Besuche. Der, welcher Dich bis Mitternacht mit seiner Visite vom Schlafe abhielt, ist ein ganz elender Mensch. Er war einer der ersten, die anno 1794 nach Preußen kamen, von Profession ein Barbiergeselle, der von nichts als "Kopf ab" und totschießen sprach und dabei mit allen Händen nahm. Genug, er war immer, was man einen ganz gemeinen Kerl nennt, und an dem Dir verursachten Aufwand erkenn ich ihn wieder. Der Hunde-Knicker kommt gewiß nicht umsonst; denn vor dem Feinde brauchen kann man ihn nicht, er sucht also irgendwas anderes wegzuschnappen.


L., 21. April 1812

Bei meiner neulichen Anwesenheit in Berlin hab ich manches gehört, ob es aber zu verbergen ist, steht dahin. Viele behaupten, das dem Kaiser Alexander vorgelegte Ultimatum laute wie folgt: 1) Abtretung Polens. 2) Abtretung von Kurland und einem Teile von Liefland an die Herzöge von Mecklenburg. 3) Sperrung allen Handels mit England und Beitritt zum Kontinentalsystem. 4) Erlaubnis, sich auf Kosten der Türken zu vergrößern, und Anerbieten einer Hilfsarmee, um sie aus Europa zu verjagen. 5) Restitution von Finnland an Schweden. Mecklenburg und Schwedisch-Pommern sollen an den König von Preußen kommen, dahingegen soll die französische Besitznahme Deutschlands bis an die Elbe von Rußland anerkannt werden. Der König von Westfalen wird in Zukunft König von Polen. Wenn diese Sage erdacht ist, so ist sie doch nicht ohne alle Wahrscheinlichkeit erdacht, denn schon vor dem Tilsiter Frieden war von einem neuen Königreich Polen die Rede. ? Hier in der Mark steht noch immer das Corps. des Marschall Oudinot, welches auch, wie man glaubt, bis zum Angriffsmomente stehenbleiben wird. Die Durchmärsche hören noch immer nicht auf. Unserer Rechnung nach sind schon 200 000 Mann durchgezogen, und wie die französischen Offiziere behaupten, wird die aufgestellte Macht 400 000 Mann betragen. Einzelne sind noch immer der Meinung, daß Rußland sich fügen und der Frieden erhalten werden wird. Allem Anscheine nach geht der König nicht nach Schlesien; er soll ruhig und guter Laune sein. Unsere Garden rücken erst wieder in Berlin ein, wenn das Oudinotsche Corps vorwärts geht. Es mag nun kommen, wie´s will, unter allen Umständen sind wir hart mitgenommen; denn bleibt Friede, so muß doch alles, was hier durchgezogen, auch wieder zurück, und da haben wir abermals eine kräftige Abfutterung zu erwarten. Man versinkt in Ahnungen und Sorgen und verliert den Glauben, daß Wahrheit und Ehrlichkeit je wieder den Platz einnehmen werden, den jeder gewissenhafte Mensch ihnen gerne zugesteht. Ob der französische Kaiser nach Berlin kommt, ist noch ungewiß, obgleich Zimmer für ihn und Berthier auf dem Schlosse bereit sind. Deserteurs und Exzedenten sind mehrere totgeschossen worden, und im ganzen herrscht Ordnung, wenngleich die Herren Generals und Colonels im Widerspruch zu den publizierten Reglements gern bei ihren Wirten vorliebnehmen.


L., 28. April 12

Den General Grouchy, der bei Dir im Quartier gelegen hat. kenne ich bloß dem Namen nach. Er zog 1806 mit seiner Abteilung hier durch, und seitdem hab ich nichts von ihm gehört. Daß Du einen großen Unterschied zwischen seinem Benehmen und dem seines Vorgängers gefunden hast, wundert mich nicht, letzterer ist mir als ein Wüstling und Plünderer bekannt. Von Herzen beklag ich die Landleute, wo die Italiener hinkommen; sie taugen alle nicht; selbst die bei den französischen Regimentern angestellten, die 1806 mit ebendiesen Regimentern hier durchkamen, zeichneten sich durch ihre Exzesse aus. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn die Armee nicht bald vorwärts geht, auch hier Not und Mangel entstehen werden. Tramnitz sagte mir gestern, daß Zehdenick nun schon 57 000 Mann in Quartier gehabt hätte; rechnest Du nun hinzu, was auf dem Lande gelegen hat und über Gransee, Bernau, Frankfurt an der Oder gegangen ist, so reichen keine 200 000 Mann, die durch unsre Sandgegend gezogen sind. Das Davoustsche Corps ist großenteils schon in Polen, das Oudinotsche aber ist noch ganz hier und kantoniert teils in Berlin, teils, von Prenzlau an, in der Uckermark und in Pommern. Das Neysche Corps stand noch in der Neumark; Frankfurt a. O. war so belegt, daß zwanzig Mann bei jedem Bürger lagen. Das Gemisch der Truppen ist das sonderbarste von der Welt. Die letzten, die hier durchzogen, waren Schweizer und Illyrier; vorher Kroaten. Die Fuhren zur Fortschaffung ruinieren uns, um so mehr, als sie gerade in die Saatzeit treffen. Wie man mit uns umspringt, ist daraus schon klar, daß wir Spandau den Franzosen haben einräumen müssen. Wir werden, wenn der Krieg beginnt, das Depot für alles sein, was nachfolgt, und einfach aufgezehrt werden. Um uns kein fremdes Geld zu hinterlassen, wird den Truppen kein Sold ausgezahlt; sie sind so arm, daß sie kein Pfund Tabak bezahlen können. An Krankheiten fehlt es auch nicht; in den zu Lazaretts aptierten Berliner Kasernen liegen schon 1000 Menschen. Dies ist aber nichts gegen Danzig, wo das vollständige Lazarettfieber die Menschen wie Fliegen hinrafft. Von einem der dort liegenden Regimenter ist schon ein Transport zurückgegangen, um 800 Rekruten zu holen, woraus ersichtlich, daß schon ebenso viele daselbst gestorben sind. Großer Gott, wie geht man mit deinen vernünftigen Geschöpfen um! Und was leiden nun nicht erst die Unvernünftigen, die geradezu in den Tod getrieben werden. Man darf über all das nicht tief nachdenken, sonst gerät man in Zweifel, die nicht aufzulösen sind.

L., 28. April 12

Aus Glogau hör ich, daß General Grouchy sein Quartier daselbst genommen hat und sich höflich, still und mit allem zufrieden zeigt. Er will sein Hauptquartier nach Fraustadt verlegen und seine Wohnung bei D.s lediglich als Absteigequartier behalten, womit sie sehr zufrieden sind. Die Division Italiener liegt nun in und um Glogau; die Kerls sollen stehlen wie die Raben. Der Duc d´Abrantes, der sie kommandiert, traut ihnen so wenig, daß er zwar zwei Italiener zur Schildwacht vor dem Hause, im Innern aber zwei Sachsen zur Wache hat. Ebenso machen es auch die andern Generale. Des Kaisers Garde kömmt nun auch noch nach Glogau.

L., 5. Mai 1812

Über das Einrücken der heute bei Dir erwarteten, sehr prätentiösen Gäste (die Kaisergarde) bin ich für Dich besorgt, denn ich glaube nicht daß man auf die Schildwachen des Generals Grouchy Rücksicht nehmen, sondern Dir Einquartierung geben wird. Es wird in der Tat schrecklich mit uns verfahren. So müssen wir jetzt beispielsweise zur Komplettierung der französischen Artillerie Pferde liefern, alles auf Konto der vermeintlich rückständigen Kontribution, wodurch unsere besten Pferde fortgehen. Und deren sind nur noch wenige. Für den Tag, wo ein Corps in den Etappenplatz einrückt, wird nichts mehr vergütet; die Vergütigung gilt nur für Kantonierungen. Ich bin froh, daß ich mein Vieh gestern auf die Weide treiben konnte, denn mit dem Futter war es am Ende. Hafer laß ich so geschwind als möglich säen, denn was in der Erde keimt, kann wenigstens nicht genommen werden. Ob der Marschall Victor in Berlin bleibt, ist noch nicht gewiß; einen unangenehmeren Gouverneur hätte man nicht wohl wählen können. Er ist noch in zu frischem Andenken. Übrigens ist er in der Stadt Paris abgetreten, was fast vermuten läßt, daß er auf eigne Kosten zehren wird. Nun hoffen wir, daß alles, was nach Norden soll, hier durch ist; auch werden wir durch die Wassertransporte in etwas erleichtert. Einer unserer Liebenberger, der mit in den Krieg ist, schreibt aus Friedland in Preußen, daß dort ein grobes Brot zwanzig Groschen Courant und das Quart Branntwein einen Taler koste, woraus man auf das übrige schließen kann. Am Ende wird Hunger und Elend bewirken, was durch menschliche Kraft nicht erzwungen werden konnte.


L., 12. Mai 12

Gestern hatt ich wieder Nachrichten aus Glogau. Die Gegend ist mit Truppen überdeckt, so daß nun schon der vollständigste Mangel an allem herrscht. Außer dem Corps des Herzogs von Abrantes, welches noch stehenbleibt, liegen 20 000 Mann Garden von Glogau bis Liegnitz in Quartier. Letztere kennt man als nie genug habende Buben. Am 3. Mai hat Glogau einen großen Schreck gehabt. In einem Sauf- und Tanzhause haben sich sächsische und italienische Soldaten verzürnet. Die Italiener waren meistens Dalmatiner. Sie haben sich geschlagen, andere von beiden Teilen sind hinzugekommen, und so ist die Schlägerei in den Straßen fortgesetzt worden, ohne daß die Offiziere die Macht gehabt hätten, die Kerls auseinanderzubringen. Nur durch Generalmarschschlagen hat man sie wieder zur Ruhe gebracht. Fünf sind tot, über fünfzig schwer blessiert. Abrantes ist besonders auf den sächsischen Obersten, der sich ängstlich benommen hat, böse gewesen, und weil die Gärung unter den Soldaten fortwährte, so hat er die Italiener ausmarschieren lassen und auf die Dörfer verlegt. ? In unserm Ostpreußen ist noch kein Franzose; es heißt dort, daß diese Provinz allein unsern Truppen verbleiben werde. ? Am Sonnabend lagen in Zehdenick und Umgegend neun Compagnien Matrosen, die zwar nach Matrosenart gekleidet, aber im übrigen wie Musketiere bewaffnet waren. Sie kamen von Boulogne und zogen nach Danzig, welches ein Spaziergang von dreihundert Meilen ist. Also will Napoleon auch Flotten ausrüsten. Es heißt, er wolle sie auf dem Kaspischen Meere gebrauchen, und man erinnert sich, daß schon ein ähnliches Detachement mit Davoust vorangezogen ist.


L., 16. Mai 12

Ich habe gerade noch auf vierzehn Tage Heu für meine Pferde, bekomme ich aber Reiterei zu verpflegen, so wird alles in einem Tage aufgezehrt. Alle Preise der Lebensmittel steigen, und schon ist ein Schock Stroh mit dreißig Talern bezahlt worden. Die von Danzig und aus der Armeegegend zurückkommenden Offiziere machen eine traurige Beschreibung des dort herrschenden Elends, und doch sollen die Leute sich einbilden, daß das alles zu ihrem Glück geschieht. Was dort erzählt wird, daß ein Zug zu Lande nach Ostindien beabsichtigt sei, das haben wir hier lange geglaubt; was sollten auch sonst die mitgeschleppten Mühlen, die in Vorrat gemachten Wasserschläuche und die trotz aller Not mitgeführten Kleidungsstücke bedeuten? Unter den Vorräten befinden sich auch Brillen, gewiß, um die Augen gegen den Sand der Wüste zu schützen. Möchten sie doch alle schon am Kaspischen Meer oder im Kaukasus sein. Vielleicht gilt es auch Ägypten, wo dann einige Steppen und Wüsten zu durchziehen wären. Nie ist eine Expedition mit mehr Macht und Vorsicht unternommen worden, und doch ist drei gegen eins zu wetten, daß sie mißlingt.


L., den 23. Mai 1812

Aus Berlin erfahre ich heut, daß nun das eigentliche Victorsche Corps, das IX., daselbst einquartiert worden sei und daß nach diesem die Garden folgen sollen. Letzteres kann ich mit der Nachricht nicht reimen, daß die Garden bereits durch Glogau gezogen sind. ? Stelle Dir vor, daß ein Brief, den ich im März an Schwager Wylich schrieb und in dem ich ihm beiläufig sagte, "daß wir durch die Truppendurchzüge litten", in Wesel geöffnet, an das Pariser Polizeiamt gesandt und von diesem eine Weisung an Wylich gegeben worden ist, "in seinen Korrespondenzen keine Politik zu berühren", also daß nun auch das Unschuldigste nicht mehr geschrieben werden darf.


L., 26. Mai 1812

Unser König ist vermutlich zur Dresdner Konferenz nicht eingeladen worden, sonst wäre er gewiß dahin gereist, da seinerseits nichts versäumt wird, um die durch Berlin reisenden vornehmen Oberen der französischen Armee zu bewillkommnen. Der König von Neapel hat sich, wie ich von Berlinern gestern erfuhr, sehr freigiebig gezeigt, sowohl gegen die königlichen Equipagen als auch gegen die Madame Overmann, bei der er inkognito abgetreten war. Unter anderem hat er auch ein englisches Racepferd, welches der junge Schickler hatte, für 500 Friedrichsdor gekauft. ? Da nun alle Matadores zur Armee abgegangen sind, so kann der Zeitpunkt nicht entfernt sein, wo sich die Frage Krieg oder Frieden entscheidet. Die Russen haben keine geringen Gegenanstalten gemacht und haben, um nur eines zu nennen, fünfzehn Meilen von ihrer Grenze alle Lebensmittel, Fourage, Vieh, selbst Arbeitsgeräte hinter ihre Linien bringen lassen. Dieses sagen französische Offiziers, die hier durchkamen, um Rekruten zu holen. Die ganze alliierte Armee lebt aus Magazinen; der Bauer in Polen hat nichts, ja er ist froh, wenn der Soldat ihm ein Stück Brot abgibt. Auf der Frankfurter Route ist es ebenso gegangen wie auf manchen Gütern in Schlesien; Saathafer und Gerste sind genommen worden, wo es an Futter fehlte, und hätte die schnelle Witterungsänderung nicht Gras hervorgebracht, so hätte unser Vieh in den kahlen Wäldern und Wiesen verhungern müssen.


L., den 6. Juni 1812

Ich freue mich um Deinetwillen, daß der vornehme Schwarm aus Glogau fort ist, denn hoffentlich wird nun einige Erholungszeit eintreten. Der gelbsüchtige höfliche Mann, von dem Du schreibst, gehörte zu den Lieblingen des Kaisers. Ob er es noch ist, steht dahin. Er hätte übrigens nicht nötig gehabt, die Gelbsucht eigens mit auf die Reise zu nehmen, denn nach den Nachrichten, die wir hier haben, herrscht sie in tödlichem Grade bei den Truppen. Er konnte sie also dort, wo er hinwollte, schon vorfinden. Was Du von unserem alten Feldmarschall schreibst, hat mich nicht überrascht; da man uns schmeicheln will, mußt er auch gut empfangen werden. Mit dem sächsischen Hofe soll man nicht so ganz zuvorkommend umgegangen sein, sondern alles etwas de haut en bas behandelt haben. ? Die Armeecorps hatten schon vor der Dresdener Zusammenkunft Befehl, weiter vorzurücken, und waren großenteils über die Weichsel gegangen; ich befürchte daher, daß nun auch Ostpreußen in Mitleidenschaft gezogen wird. Einige von der Armee zum Rekrutenholen abgeschickte französische Offiziere machten kein günstiges Gemälde von der Lage der Truppen, sie litten Mangel am Notwendigsten, und Krankheiten äußerten sich über Erwartung. Wie es unserem Yorckschen Corps geht, wissen wir aus einigen Soldatenbriefen; sie klagen über Mangel und melden, daß Wasser ihr Hauptgetränk sei. Dem Gerüchte, daß mit Rußland eine Übereinkunft getroffen sei und der Krieg nicht statthaben werde, kann ich keinen Glauben schenken; vielmehr will ich wetten, daß in vierzehn Tagen Tätlichkeiten vorgefallen sein werden. Wir sehen voller Ungewißheit in die Zukunft, und obgleich Ängstlichkeit nicht in mir liegt, so bin ich doch überzeugt, daß wir, es möge glücklich oder unglücklich ablaufen, immer als der leidende Teil aus diesem Kriege hervorgehen werden. Alliierter oder Feind, wir werden aufgezehrt.


L., 12.Juni

Aus Glogau höre ich, daß Marschall Bessières nur eine Nacht bei Danckelmanns im Quartier gewesen ist. Er benahm sich etwas steif, sonst höflich.

Bei Danzig und in unserm Westpreußen wird schon grün fouragiert für die Kavallerie. Einige französische und badische Offiziere, die zum Rekrutenholen von der Armee zurückkamen, haben ohne Rückhalt erzählt, daß Mangel und Krankheiten die Menschen und Hunger die Pferde aufriebe. Alles ist unzufrieden bis zum Schimpfen. ? In Stettin hat sich vor circa vierzehn Tagen eine ähnliche Geschichte wie die in Glogau zugetragen. Der Tambourmajor eines badenschen Regiments hatte sich mit einem Franzosen geschlagen und diesem derart zugesetzt, daß er niederstürzte. Darauf sind mehrere Franzosen über den Tambour hergefallen und haben ihn, wie es heißt, totgestochen. Dies wurde selbstverständlich von den badenschen Soldaten sehr übel genommen, die sich nun zusammenrotteten. Eine Schlägerei entstand, Gewehr und Bajonette sind in Gang gekommen, und als man endlich Frieden gestiftet hatte, zählte man siebzig Tote und Blessierte, unter denen sogar Offiziere sein sollen. Man erschrickt, wenn man sieht, daß alle Ordnung sich auflöst und überall nur das Recht des Stärkeren gilt. Es soll der sächsische Graf Einsiedel sein, der einen französischen General, man sagt Reynier, vielleicht einen Bruder des Corpskommandeurs, zu Warschau totgeschossen hat.


L., 23.Juni 12

Zwischen Kyritz und Wusterhausen hat sich am 14. d. M., um neun Uhr abends, ein sonderbarer Vorfall ereignet. Ein wohlgekleideter Reisender, der zu Fuß nach Kyritz ging, wurde auf der Landstraße von vier Kerls angegriffen, von denen zwei mit Säbeln und die beiden andern mit dicken Prügeln bewaffnet waren. Gegen diese wehrt er sich und ruft um Hilfe. Ein des Weges gehender invalider Gardejäger, mit Namen Romanus, eilt herbei und schlägt auf die Mörder so gewaltig los, daß diese die Flucht ergreifen. Romanus hat vier Hiebe in seinen Tschako und einen am Kopfe bekommen, jedoch nicht gefährliche. Der Reisende hat seinen Namen dem Romanus nicht sagen wollen, sondern nur erklärt, "er sei der Graf von G.," hat dann dem Romanus freundlich gedankt und ihm seine Börse angeboten, die dieser jedoch nicht hat annehmen wollen. Am anderen Tage hat man, nicht weit vom Kampfplatz, ein an den Kommandeur der Invalidencompagnie, bei welcher Romanus steht, gerichtetes und an einem Baum befestigtes Blatt gefunden, worin um Bekanntmachung der edlen Tat des Romanus in einem sehr gebildeten Stil gebeten wird. Auch dieses Billet war unterzeichnet Gr. von G. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es der Graf von Gottorp, der, nachdem ihn die Herrnhuter in Gnadenfrei nicht haben aufnehmen wollen, nun, um nicht bemerkt zu werden, zu Fuß reist. Wohin, das mag nur er wissen. Sollten ihm nicht auch Spione nachgeschickt sein, um ihn gelegentlich aus der Welt zu schaffen? War es doch in derselben Gegend in der Nähe von Perleberg, wo, vor fünf Jahren, ein englischer zurückreisender Gesandter (Lord Bathurst) verschwand.


L., 1. Juli 12

Gestern kam das 4. Westfälische Regiment hier durch, zum Teil bloße Jungen. Unser benachbartes Bergsdorf hat davon eine Compagnie futtern müssen. Sie eilen nach Stralsund, weil man französischerseits in der Furcht ist, daß die Engländer es besetzen möchten. Übrigens hab ich Dir aus Bergsdorf noch zu berichten, daß Knorrs Bruder, als er einen großen Stein einsenken wollte, durch ebendiesen Stein totgequetscht worden ist. Wenn man diesen doch über den Niemen senden und an richtigem Ort und, versteht sich, zu gleichem Zweck aufstellen könnte.


L., 7. Juli

Wenn Ochsen sich zu wundern imstande wären, so würden die illyrischen sich wundern, die heute hier, der Großen Armee nach, vorübergetrieben wurden. Unser Vieh, soviel wir dessen noch haben, zieht desselben Weges. Dazu wird selbstverständlich Roggen, Hafer, Heu und Stroh verlangt; von den beiden letzteren Artikeln ist nichts mehr vorhanden. Auch in Preußen oben geht alles über Bord. Auf Onkel Kalcksteins Gut hat die Einquartierung neunundvierzig Ochsen und sieben Kühe weggefressen. Alle guten Pferde waren auf Vorspann mitgeschleppt, und ob sie zurückkommen, ist mindestens zweifelhaft.

L., 10. Juli 12

Wie die Bedrückung des Menschengeschlechts von der Vorsehung so lange geduldet werden kann, ist mir ein Rätsel, und fast möcht ich sagen, wie Prediger Krause neulich zu Aschof sagte: "Freund, hätt ich nicht noch einige Nebengründe, um an die Vorsehung zu glauben, so müßt ich daran verzweifeln." Der Wunsch, die Bedrücker vernichtet zu sehen, äußert sich in Berlin so laut, daß sich die Polizei gezwungen sah, derartig öffentliche Äußerungen mit harter Gefängnisstrafe zu bedrohen. Den Mund kann man dadurch zum Schweigen bringen, aber das Gefühl nicht. ? In Ostpreußen geht es viel toller her als hier; im übrigen ist auch hier des Lieferns und Fuhrwerkstellens kein Ende. Stelle Dir vor, daß täglich über hundert Wagen in Berlin in Bereitschaft sein müssen, um die "Freunde", ihre Bagage, Lebensmittel und Munition zu fahren. Das geht dann so weiter von Etappe zu Etappe, so daß täglich einige tausend Pferde in Bewegung sind. Ein solcher Vorspannwagen muß fünf Tage lang auf seine Kosten in Berlin sein, und da viele dieser Fuhrwerke von sechs bis acht Meilen entfernten Dörfern heranbeordert werden, so gehen dem Bauer und Gutsbesitzer oft acht bis zehn Tage an der Heu- und Feldarbeit verloren. Gestern ist mein einer Knecht nach siebentägiger Abwesenheit zurückgekommen, und ich werde froh sein, wenn ich nicht in der folgenden Woche wieder ein Gespann abschicken muß. Da die Menschen- und Pferdeschinder auf die Wagen laden, was diese nur irgendwie halten können, so werden die Pferde schändlich abgetrieben. Wegen der Vermögensteuer ist auf dem Lande noch nichts in Ordnung; in Berlin aber wird gewaltsam zugefahren, was unter den kleinen Bürgern eine heftige Bewegung veranlaßt. Und mit Recht. Ein gutes Ende nimmt das nicht, denn jeder sagt sich, wenn schon der Hinzug der Truppen uns an den Bettelstab bringt, was wird erst sein, wenn sie wiederkommen? Ich erschrecke bei dem Gedanken, daß sie zurückgetrieben werden könnten; denn da bliebe uns nichts. Ich beklage Glogau, daß es, wie Du mir schreibst, eine mediterranische Einquartierung bekommt; das wird wohl ein zusammengestoppeltes Corps von Italienern, Spaniern etc. sein, ebenso schlecht wie die Illyrier. Vorgefallen muß übrigens schon etwas jenseits des Niemen sein, denn die beiden Massen waren schon zu nah, um sich nicht zu berühren. Und wie muß es nun erst in den Gegenden aussehen, wo eine halbe Million Menschen leben will! Von der Geschichte des Gr. von G. habe ich weiter nichts erfahren können. Wenn er der Mann ist, der er zu sein scheint, so wird er gewiß gesucht haben nach Holstein durchzukommen.


L., 21. Juli 12

Die französischen Offiziere, die zurückkommen, sind nicht sehr von dem Fortschreiten auf russischem Gebiet erbaut. Alle stimmen darin überein: "Viel Elend, schlecht Land, viel krank." Einer hat auch geäußert: "Ruß retiriert, aber viel brav." Aus seiner kauderwelschen Erzählung ließ sich schließen, daß die zu rasch nachjagenden leichten Truppen der Franzosen verschiedene Schlappen erlitten haben. ? Am 6. August wird der König, wie es heißt, in Breslau sein und nach einem zweitägigen Aufenthalt Neiße besuchen. Von dort aus nach Prag und von Prag nach Töplitz, woselbst er baden und um eine österreichische Prinzessin werben wird. So wenigstens sagt man im Publikum. Vielleicht ohne Grund.


1. August 12

Daß die Hospitäler voll von Kranken sind und daß in einigen Gefechten auf dem rechten Flügel unter Nachteil gekämpft worden ist, das sagt man sich ins Ohr. Letzteres scheint sich dadurch zu bestätigen, daß König Hieronymus das Kommando dieses Flügels an Davoust hat abgeben müssen. Wir werden mit Phrasen in Unwissenheit erhalten. So hat beispielsweise kein Bulletin etwas von der Einnahme von Badajoz erwähnt und doch stand der Bericht Wellingtons darüber in der Petersburger Zeitung, die noch vor Ausbruch des Krieges nach Berlin kam. ? Letzten Sonntag zog ein Regiment Chasseurs hier vorbei nach Stralsund, ein Zeichen, daß man nach wie vor eine Landung seitens der Schweden befürchtet. Es mag wohl etwas der Art im Werke sein, denn in ganz Pommern heißt es, daß ein Truppencorps in Karlskrona zusammengezogen werde. Die können aber nur zu Hause bleiben. Wenn sie kämen, so hätten wir sie bloß auf dem Halse und im ganzen würd es nichts fruchten.


L., 7. Oktober 12

Täglich gehen jetzt Züge von Remontepferden für die Sachsen durch Gransee. Ihrer sind in allem 800, die in Mecklenburg und Holstein aufgekauft wurden, aber elende Dinger sein sollen. ? Die republikanischen Pariser Aufrührer sind, wie ich´s dachte, schon totgeschossen. So wird denn "la terreur" die andern vom Komplottieren wohl abhalten. Daß man aber dem Moreau bei dieser Gelegenheit noch einen Schandflecken anhängen will, hat mich verdrossen. Moreau hatte ja hiermit nicht das geringste zu tun.


L., 30. Oktober 12

Der eingefallene bedeutende Frost wird wohl nach Nordosten hin augenblickliche Ruhe schaffen, wir aber werden alles nachkommende Volk mittlerweile füttern müssen. Es geht nun gerade wieder wie nach der Eylauer Schlacht; man läßt dem großen Würger Zeit, sich wieder in Positur zu setzen.


L., 3. November 1812

Was die Zeitungen über den Pariser Lärm gemeldet haben, ist gewiß nicht so gering, als es gesagt wird. Jedenfalls ersieht man daraus, daß der Zunder bereitliegt. Den Börsennachrichten trau ich nicht viel, und so glaub ich auch nicht, daß für Königsberg etwas Ernstliches zu befürchten sei. Daß aber unser Corps von Riga zurückgedrängt ist, daran ist kein Zweifel. Einige Soldaten vom Leibregiment schrieben es an ihre Eltern, so beispielsweise einer aus unserer Kolonie Neuholland, der mit dürren Worten sagt: wir sind neun Meilen von Riga zurückgegangen. ? Pferdelieferungen verdingen jetzt die französischen Commissairs an hiesige Entrepreneurs. Es soll nur die Kleinigkeit von 20 000 Pferden angekauft werden, was die Summe aller brauchbaren Pferde auf funfzig Meilen in der Runde übersteigt. Daraus läßt sich aber abnehmen, welche Masse von Pferden gefallen ist.


L., 15. November 1812

Wie gefällt Dir das In-die-Luft-Sprengen des Kremls? Und was wurde nicht vorher gegen das Abbrennen der Stadt geschrieen! Sollte das Maß nicht bald voll sein? Hier in der Gegend haben wir jetzt wenig Passanten, aber durch Berlin gehen noch immer viel Invaliden, die dann unser Fuhrwerk bis Magdeburg bringen muß. Ich habe jetzt alle vierzehn Tage ein Gespann dazu unterwegs.


L., 21. November 12

Nova kommen uns jetzt von allen Ecken, und alle sagen dasselbe. Nämlich das, daß unser Armeecorps fast aufgerieben und Macdonald, der es führt, überrannt und gänzlich geschlagen ist. Ferner, daß die Visite gegen Kaluga und Tula hin auf eine unhöfliche Art abgewiesen worden und daß das Ganze rückwärts geht. Gestern passierte hier ein französisches Regiment in der Richtung auf Oranienburg und Berlin. Die armen Menschen kamen von Rostock und waren vor Nässe halb erstarrt. Sie geben sich drei Bataillons stark aus, waren es aber nicht. Vermutlich gehen sie weiter oder bleiben in Berlin, um die dortige Garnison gegen etwaige Tätlichkeiten der Bürger zu verstärken. Wenn von all dem, was gesagt wird, nur die Hälfte wahr ist, so steht es schlecht mit dem Ritterzuge nach Norden.

Da sich durchaus keine Entrepreneurs für den Pferdeankauf finden lassen, so sollen wir nun liefern. Das Unehrlichste bei der Sache ist das, daß der französische Schurke, der die Pferde annehmen soll, keins akzeptiert, wenn ihm nicht vorab zwei Friedrichsdor für jedes Pferd als Cadeau gegeben werden. Unser Kreis soll sechsundfünfzig Pferde liefern, so daß der Schurke allein von uns 112 Friedrichsdor bekömmt, und dann fragt man noch, wo unser Geld bleibt. Schlechtendal (der Landratsvertreter) will toll darüber werden; aber wer kann aus dem Labyrinth der französischen Schurkereien ungeschunden herauskommen?


L., 24. November 12

Seit meinem Vorigen sind Nachrichten über Nachrichten eingelaufen. Einige melden, daß die vereinigten russischen Corps von Wittgenstein und Esser den Marschall Macdonald über den Haufen gelaufen haben und daß dabei nicht bloß unsere Truppen, sondern auch die zur Deckung ihrer Flanke abgesandten badischen und polnischen Truppen hart mitgenommen, zum Teile gefangen sind. Ferner daß Mangel an allem bei der Großen Armee herrscht und daß besonders die Reiterei ganz herunter ist. Endlich daß nach dem verunglückten Versuch auf Kaluga der Entschluß gefaßt worden ist, zurückzugehen. Daß das Hauptquartier bis Smolensk rückwärts verlegt wurde, sagen die Zeitungen und kann deshalb als sicher gelten. Und wenn einige zurückkommende Verstümmelte sich dahin geäußert haben, daß sie solch einen häßlichen Kampf noch nie bestanden hätten, so kann man das auch glauben.


L., 28. November 12

Daß es dem "Helden" nicht gut geht, ist außer allem Zweifel. Mangel, Jahreszeit und beständige Beunruhigung ruinieren ihm die Truppen, noch mehr aber leiden die Pferde, daran bereits ein großer Mangel ist. Hier sollten die Küstentruppen durchziehn; nun aber heißt es, daß sie durch Pommern auf Danzig hin dirigiert werden. ? Wieviel Deutsche in den Gefechten bereits umgekommen sind, kannst Du daraus abnehmen, daß in München alle Theater und Vergnügungslokale geschlossen gewesen sind, und zwar wegen der Trauer der meisten Familien über verlorene Angehörige. Die Bayern sollen von 20 000 Mann auf 7000 zusammengeschmolzen sein. Die Württemberger auch über die Hälfte. Wenn die Russen klug handeln, so ziehen sie den Krieg in die Länge, was der Verderb der Alliierten ist, die ihre Hülfe einige hundert Meilen weit herholen müssen. Wollte Gott daß ein billiger Frieden die Menschen endlich beruhigte. Das Wie und Wo bleibt uns freilich verborgen.


L., 8. Dezember 12

Von meinen Pferden ist der Braune den Franzosen zuteil geworden; den Schwarzen hab ich wiederbekommen, was mir sehr lieb ist, denn dieser ist ein viel besseres Arbeitspferd, und der Braune, wenngleich hübscher, hatte schon zweimal Anfälle von Kolik gehabt, die ja so leicht tödlich verläuft. Ich zweifle nicht, er wird, wenn er bivouakieren soll, bald umfallen.


L., 18. Dezember 12

Dein Brief bestätigte mir die hier schon bekannte Reise. In Dresden stieg er des Morgens zwei Uhr bei dem Gesandten ab, warf sich auf ein Bett, schlief ein paar Stunden und ließ darauf Serenissimus zu sich entbieten, der denn auch um fünf Uhr morgens in einer Portechaise zu ihm gebracht wurde und eine einstündige Konferenz hatte, worauf die Reise eiligst weiterging. Diese an Flucht grenzende Eile hat den Neuigkeitskrämern Gewißheit gegeben, daß die ganze französische Armee geschlagen und zerstreut ist. Was man vernünftigerweise zusammenbringen kann, ist etwa das Folgende. Die Kommunikation mit Polen war abgeschnitten, mehrere russische Generale hatten bereits im Rücken der Großen Armee verschiedene glückliche Gefechte gehabt, und das Magazin zu Witebsk war verbrannt. In der mißglückten Expedition nach Kaluga war viel Artillerie verlorengegangen und Kavallerie und Train ihrer Pferde beraubt. Nun mußte die Hauptmasse vor allem Wilna zu erreichen suchen, zu welchem Behufe die bereits im Rücken stehenden Russen vertrieben werden mußten. Und in der Tat, man hat sich durchgeschlagen und mit ungeheuren Verlusten an Menschen, Pferden und Artillerie wenigstens das erreicht, daß das Hauptquartier in Wilna bleiben konnte. Man will wissen, daß 130 Kanonen verlorengegangen sind, und kann den Reden der durchpassierenden Verstümmelten unschwer entnehmen, daß die Armee in schlechtem Zustande ist. Von den Verstümmelten starben viele unterwegs. Vor vier Tagen wurden neun von einigen vierzigen, die hier ankamen, totgefroren vom Wagen genommen. Oh, Menschen, wie wird mit euch verfahren! Wir sollen nun noch drei Regimenter Kavallerie nachschicken. General von Winzingerode, der mit seinem Adjutanten Narischkin gefangengenommen wurde, sollte zur Strafe dafür, daß er erst bei uns, dann bei den Österreichern, dann bei den Russen gegen die große Nation gedient hat, zu Fuße nach Frankreich abgeführt werden; die Kosaken haben ihn aber im Rücken der Franzosen befreit. Die Portugiesen sind, wie verlautet, zu den Russen übergegangen und auf englischen Schiffen fortgebracht worden. Rostoptschin ist zum Gouverneur von Petersburg ernannt, was genügsam andeutet, daß er Befehl hatte, Moskau zu verbrennen. ? In zweiundzwanzig Tagen war kein französischer Courier hier durchgekommen. Einen hatten die Kosaken aufgehenkt. Der letzte, der durchkam, kam mit ein paar Säbelhieben an. ? Yorck soll über Macdonald klagen, daß er ihn nicht unterstützt habe; der aber konnt es wahrscheinlich nicht, weil er ein fünfzig Meilen breites Terrain zu decken hat.


L., 23. Dezember 12

Was Du mir über den angekommenen verhungerten Sekretär schreibst, ist tragisch genug, aber im Grunde genommen nur ein Geringes gegen das, was man hier von der Katastrophe vernimmt. Auch hier kommen so manche durch, die, wie Diogenes, nichts haben, als was sie auf dem Leibe tragen. Und versteht sich an Ohren und Händen erfroren. Obgleich wir nur brockenweis den Hergang erfahren, so reicht es doch aus, uns mit Schauder zu erfüllen. Was in Wäldern und auf Heerstraßen an Menschen und Pferden umgekommen ist, übertrifft vielleicht die Zahl derer, die das Schwert getötet hat. Nicht nur das ganze Hauptquartier ist jeder kleinsten Bequemlichkeit beraubt, sondern auch der Anstifter all dieses Unheils hat nichts gerettet, als was er auf dem Leibe hatte. General Narbonne, der, wie es heißt, hier negoziieren soll, kam hier so kahl an, daß er die ersten zwei Tage in seiner Stube bleiben mußte, um sich Wäsche und Kleider zu verschaffen. Aber glaube nicht, daß man sich bei dieser ersten verunglückten Probe beruhigen wird. Nein, man wird die Vorsehung aufs neue versuchen wollen. Dazu geschehen schon allerhand Zubereitungen. Das Scheusal Daru, der wieder Generalintendant sein soll, kam auf der Flucht in Gumbinnen an und sagte dem Präsidenten von Schön in seinem allerimperativsten Ton, "er müsse für den nächsten Winter für 100 000 Mann Lebensmittel besorgen". Und als Schön die Unmöglichkeit vorstellte, wurd er abgerumpelt. Ein Attaché, mit dem Schön hinterher mehrmals über dasselbe Thema sprach, sagte beruhigend, "er möchte nur das Beste tun, es würden wohl etwas weniger als 100 000 Mann kommen".

Nachschrift. Soeben sehe ich den Duc de Bassano bei mir einpassieren, in einem sehr stattlichen Aufzuge. Er muß also wohl vor der Katastrophe abgereist sein.

1

Schriftsteller mit Bezug zum Text

1

Orte mit Bezug zum Text