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T h e o d o r St o r m? s gesammelte Schriften

Informationen

Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Vossische Zeitung, Nr. 11, 14. Januar 1877

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T h e o d o r St o r m? s gesammelte Schriften

T h e o d o r St o r m? s gesammelte Schriften. Band 7?10. Braunschweig, Verlag von G. Westermann. 1877.

Den 1868 in sechs Bänden erschienenen gesammelten Schriften Theodor Storm?s hat jetzt die Westermann?sche Verlagsbuchhandlung vier weitere Bände folgen lassen, die ? mit alleiniger Ausnahme der erst vor wenigen Monaten in der ?Deutschen Rundschau? erschienenen vorzüglichen Novelle ?Aquis submersus?*) ? alles enthalten, was Th. Storm in den letzten acht Jahren geschrieben, bez. veröffentlicht hat. Es sind Bilder, Erzählungen, Lieder, die sich, in Ton und Behandlung, von seinen früheren Arbeiten nicht bemerkenswerth unterscheiden, aber auch nicht hinter ihnen zurückbleiben. Vielleicht im Gegentheil. Einiges von dem, was diese vier Bände enthalten, dürfte überhaupt das Reifste und Vollendetste sein, was aus Storm?s Feder gekommen ist. Den einzelnen Erzählungen ist das Jahr beigefügt, in dem sie entstanden. Dies hat für den, der sich mit dem Dichter und der Art seiner Production eingehender beschäftigt, eine gewisse Bedeutung. Es ergiebt sich aus diesen Zahlen, daß Storm, mit einer Art von Regelmäßigkeit, alljährlich zwei Novellen oder etwa in zwei Tagen eine Seite schreibt. In dieser Sorglichkeit liegt, wie der charakteristische Zug, so der Reiz dieser Arbeiten. Wenn es je einen Dichter gab, für den das bekannte ?so kommandirt die Poesie? nicht geschrieben wurde, so ist es Storm. Er wartet die Stimmung ab, und wenn sie sich gefunden hat, so genügt er ihr. Dies letztere macht erst in Wahrheit den Dichter. Wer, wenn er sich ?gestimmt? fühlt, in unbewußter Psychographen-Manier, die Feder glaubt laufen lassen zu können, der wird freilich etwas Stimmungsvolles geben, aber in den Augen der schärfer Blickenden doch immer nicht viel mehr als eine stimmungsvolle Stümperei. Nur wer nicht eher ruht, als bis er das eine Wort gefunden hat, das unter hundert andern von verwandtem Klang und Inhalt genau d a s sagt, was gesagt werden soll, nur der wird seiner Aufgabe zu seiner und anderer Freude gerecht werden. Denn um es zu wiederholen, das ?in Stimmung k o m m e n? bedeutet nicht eben viel. Erst derjenige, der die ihm gekommene Stimmung zu t r e f f e n, das räthselvoll Unbestimmte, daß wie Wolken Ziehende festzuhalten weiß, ohne doch das Festgehaltene seines zauberischen, im Halbdunkel sich bewegendem Schwankezustandes zu entkleiden, nur d e r ist der Meister.

Alles, was Storm schreibt, hat einen lyrischen Grundton; ganze Sätze wirken wie Volksliederstrophen, die zufällig auf Reim- und Vers-Eintheilung verzichtet haben. Und dieser Grundton klingt auch gemeinsam in den Erzählungen, die den Inhalt dieser vier Bände bilden. Aber daneben unterscheiden sie sich doch erheblich. Einzelne sind aus Theilchen zusammen gesetzt, und die ?Geschichte? beschränkt sich darauf, aus der Zahl der vorhandenen Motive e i n e s zu vorzugsweiser Geltung zu bringen. Andere dagegen traten entweder als ein im Wesentlichen fertiger Stoff an den Dichter heran, aber wurden doch von ihm, gleich im Momente der Conception, als eine gegliederte und abgerundete Geschichte erschaut, so daß die kleineren Motive lediglich als Ornament verwandt werden konnten. Dieser letzteren Gruppe seiner Arbeiten gehört die schöne Erzählung: ?Viola tricolor? an, vielleicht die Perle der Sammlung. Den aus lyrischen Einzelmotiven aufgebauten kleinen Geschichten fehlt es gelegentlich an stofflichem Interesse. A l l e s kann das Stimmungsbild innerhalb der Erzählung nicht thun. In zwei (dem 7. und 8.) dieser neu erschienenen vier Bände wurden auch Lyrica eingestreut. Die zehn neuen ?Fiedel-Lieder? vermochten uns kein rechtes Interesse abzugewinnen; sehr schön aber sind die im 7. Bande gegebenen ?Gedichte?. Nur zwölf an der Zahl, treffen alle, oder doch fast alle, den tieferen lyrischen Ton. Es mag eines derselben hier einen Platz finden.

G e f l ü st e r d e r N a ch t.

Es ist ein Flüstern in der Nacht,
Es hat mich ganz um den Schlaf gebracht;
Ich fühl?s, es will sich was verkünden
Und kann den Weg nicht zu mir finden.

Sind?s Liebesworte, vertrauet dem Wind,
Die unterwegs verwehet sind?
Oder ist?s Unheil aus künftigen Tagen,
Das emsig drängt sich anzusagen?

Auch in diesen Gedichten spricht sich wieder die übrigens bei allen echten Romantikern hervortretende Neigung und Begabung aus, neben dem Sublimsten zugleich auch ein Derbstes und Herbstes zu sagen. Wer sich von der Wahrheit dieser Bemerkung überzeugen will, der wende sich, nach Durchsicht der wunderschönen Strophen ?Begrabe nur dein Liebstes? und ?Verloren?, der Lectüre jener Zeilen zu, die die Ueberschrift ?Engel-Ehe? tragen. Einige Zartbesaitete haben an diesem letztgenannten Gedicht Anstoß nehmen wollen. Es muß aber auch d a s gesagt werden dürfen, weil es etwas in tausend Herzen Lebendiges und von Geschlecht zu Geschlecht immer Wiederkehrendes ist. Es ist nur unstatthaft, falsche Schlüsse daraus zu ziehen. Mögen, nach abermals acht Jahren, diese gesammelten Schriften Th. Storm?s sich um weitere vier Bände, wie die uns heute vorliegenden, vermehrt haben. Das wünschen wir dem Dichter und u n s

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