T h e o d o r St o r m s sämmtliche Schriften
Theodor Fontane
T h e o d o r St o r m s sämmtliche Schriften. Sechs Bände. Braunschweig, G. Westermann, 1868. Preis 3 2/3 Thlr.
Die früher vereinzelt und zum Theil in einer großen Anzahl von Auflagen (beispielsweise Immensee) erschienenen Arbeiten des beliebten Erzählers liegen hier zum ersten Male in einer Gesammt-Ausgabe vor. Diese sechs Bände geben uns das g a n z e Bild des Poeten, gestatten eine Charakteristik.
Th. Storm ist ein Specialist. Aus dem großen Gesammtgebiet der Poesie hat er kleine Parzellen ausgeschieden, diese, auf gut Schleswig-Holsteinisch, mit sauberen Heckzäunen umfriedet und das kleine Gebiet wie ein Stück Gartenland bestellt. Es fehlt die große Scenerie; es fehlen die weiten Perspectiven; an ihre Stelle ist das Enge und Begrenzte getreten, aber innerhalb dieser Grenzen auch ein vollständiges zu Hause sein, ein Auge für das Kleinste, ein Ohr für das Leiseste. Ueberall jene feine sinnige Natur, die Scheu trägt, breit-behaglich sich gehen zu lassen, und die in der Jugend es unklar empfindet, bei reiferer Erkenntniß es weiß, daß in der O e k o n o m i e des Wortes seine Kraft und seine beste Wirkung liegt. Storm ist ein Meister in der Kunst des Andeutens, des Ahnenlassens; wer Immensee kennt, wird uns zustimmen.
Vier Bände der zweite, dritte, vierte und fünfte enthalten 19 Erzählungen, die abwechselnd als Novelle, Idyll, Situations-Schilderung, oder auch als Landschaftsbild mit zierlicher Staffage sich geben. Immensee, Veronica, Auf der Universität und Drüben am Markt, sind diejenigen, die wir nach unserm Gefühl (denn über diese Dinge ist sehr zu rechten) als die ansprechendsten und tiefgehendsten bezeichnen möchten. Neben ihnen Ein grünes Blatt das, trotz einer gewissen romantischen Unbestimmtheit der Conturen, trotz eines Nebelschleiers, der über dem Ganzen liegt, vielleicht auch gerade mit Hülfe desselben, einen besonderen Reiz ausübt.
Der 6. und letzte Band enthält fünf Märchen: die Regentrude, der Spiegel des Cyprianus, Bulemanns Haus, Hinzelmeier und der kleine Häwelmann, von denen uns die Regentrude als durchaus eigenthümlich, als eine originell-phantastische Schöpfung am meisten angesprochen hat.
Das Bedeutendste in unsren Augen bleiben freilich immer die Gedichte, die den 1. Band füllen. Wir kennen sie nun seit zwanzig Jahren; sie haben uns aus unsren jungen Jahren in unsre Mannesjahre begleitet und sind uns durch allen Wandel der Zeit und der Anschauungen hin, immer gleich lieb, immer treu geblieben. Das frische, wie Eichenwaldluft die Nerven stärkende Octoberlied, das tiefelegische, seitdem volksthümlich gewordene
Meine Mutter hats gewollt,
Einen andern ich nehmen sollt,
die Gedichte: Abseits, Sommermittag, die Stadt, Meeresstrand, Regine, Frauenhand und die schönen Schleswig-Holstein-Lieder, in denen der Dichter nach der Schlacht von Idstedt von seiner in Dänenherrschaft zurückfallenden Heimath Abschied nahm, haben, durch all die Jahre hin, ihren ungeschwächten Zauber für uns bewahrt und wenn der Sommer kommt und wir auf kurze Wochen an irgend einem grünen berlinerlosen Platz der Erde (wenn es einen solchen noch giebt) aufathmen und Erholung suchen, so sind d i e s e Lieder unsre Begleiter und haben an ihrem Theile noch immer mitgewirkt, uns wiederum frisch zu machen für die Arbeit und die Mühe des Lebens.
