Der neue Bereich unseres Portals macht es sich zum Anliegen, die internationalen Literaturszenen Berlins zu kartographieren, die handelnden Personen und ihre Schauplätze sichtbar und zugänglich zu machen. 
Die Entstehung der Rubrik wurde durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds ermöglicht. 

Mátyás Dunajcsik

Autor/In

Übersetzer/In

Mátyás Dunajcsik in Berlin, 2023
© Foto © Peter Mate

Steckbrief

Geboren am: 9.12.1983
Geburtsort: Budapest
Geburtsland: Ungarn
Lebt in: Berlin, Schöneberg


Ausgangssprache: Englisch, Deutsch, Französisch, Isländisch, Altisländisch
Zielsprache: Ungarisch, Englisch
Arbeitssprache: Deutsch, Englisch, Ungarisch

Vita

Mátyás Dunajcsik ist ein queerer Autor und Performer, der Prosa, Theater und Lyrik auf Ungarisch, Englisch und neuerdings auf Deutsch schreibt. Er ist geboren und aufgewachsen in Budapest, Ungarn, wo er Ästhetik (Kunsttheorie) und französische Literatur studierte und im Verlagswesen arbeitete. Er emigrierte 2014 und verbrachte zunächst zwei Jahre in Reykjavík, wo er mit einem staatlichen Stipendium isländische Sprache und Literatur studierte, bevor er sich in Deutschland niederließ. Sein literarisches Werk wurde mit zahlreichen Preisen in Ungarn und mehreren internationalen Stipendien ausgezeichnet, darunter die Junge Akademie der Akademie der Künste (2009, Berlin). Auf Ungarisch publizierte er zwei Sammlungen von Kurzgeschichten und ein Kinderbuch, das er später selbst für die Bühne adaptierte. Sein erster Roman Víziváros ("Wasserstadt") kam 2021 heraus und eine Sammlung seiner ungarischen Gedichte soll Ende 2024 erscheinen.



Deutsche Übersetzungen seiner Kurzgeschichten wurden veröffentlicht in: Der Boden unter Berlin (2010, Akademie der Künste, Berlin) und Unterwasserstädte (2017, Edition Solitude, Stuttgart). Im Jahr 2019 schrieb er zusammen mit dem international gefeierten ungarischen Regisseur Árpád Schilling das Theaterstück Elbfuge im Auftrag des Staatsschauspiels Dresden. In den letzten Jahren hat er sich dank der Arbeitsstipendien der Akademie der Künste (INITIAL, 2021) und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (2022) intensiv mit dem Schreiben auf Deutsch beschäftigt und seine deutschsprachigen Gedichte in Zeit-schriften wie Sinn und Form, Signaturen, Ostragehege und Triëdere veröffentlicht. Sein erster deutschsprachiger Gedichtband, Verlorene Gedichte, erscheint im September 2023 bei der Parasitenpresse (Köln). Er lebt in Berlin und ist Mitarbeiter des Programmbüros der Akademie der Künste. Er begleitet seine literarischen Lesungen oft mit Loop- und Effektpedalen seiner Bassgitarre.



TEXTE AUF DEUTSCH ONLINE VERFÜGBAR: 
Ich will alles wissen (Langgedicht, Signaturen Magazin)
Das Überlebende (Gedicht, Ostragehege)
Das Staatsgeförderte, Das Sprachlose (Gedichte, Signaturen Magazin)
Meines Vaters Bibliothek (Kurzgeschichte)
Überfahrt zum Lido (Kurzgeschichte)

6 Fragen

Was hat Sie nach Berlin verschlagen? Die Liebe? Der Zufall? Die Weltpolitik?

Da meine ehemalige Heimat Ungarn langsam zu einem Land geworden ist, in dem die vollständige Zerstörung aller verbliebenen Institutionen unabhängiger Kultur ebenso zum langweiligen Alltag gehört wie die von der Staatspropaganda künstlich angeheizte Misogynie, Fremdenfeindlichkeit und Queerphobie, gibt es dort keinen Platz mehr für mich, weder als Dichter noch als queere Person. Berlin hat mir nicht nur die Freiheit und die Ressourcen gegeben, ohne Angst so zu sein, wie ich bin und so zu schreiben, wie ich will, sondern hat mich auch mit der Liebe meines Lebens zusammengebracht.


An Berlin liebe ich:

Was ich an Berlin am meisten mag, ist, dass in der S-Bahn der 70-jährige Rentner aus der DDR und der dänische Expat-Hipster mit den Hand-Tattoos, das junge muslimische Mädchen mit dem atemberaubenden Make-up und dem Kopftuch und die ebenfalls kopfbedeckte christliche Nonne, die polnische Familie mit drei Kindern und das schwule spanische Paar in ihren Regenbogen-T-Shirts, der Westberliner Yuppie mit den Gucci-Sandalen und der gestiefelte Straßenkämpfer mit antifaschistischen Aufnähern alle nebeneinander fahren Seite an Seite – und keiner von ihnen empfindet es als Angriff auf die eigene Person, die eigene Identität und den eigenen Lebensstil, wenn die Person, die neben ihnen sitzt, nicht genauso aussieht wie sie selbst.


In Berlin vermisse ich:

Ich vermisse die wirklich heißen Thermalbäder, die sowohl Budapest als auch Reykjavík zu so wunderbaren Städten zum Leben machen. Aber die Berliner Seen und Kanäle sind ein gewisser Tröstungsfaktor.


Ein Lieblingsort in Berlin:

Der Buchengarten der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Er war schon mein Lieblingsplatz, als ich 2009 zum ersten Mal als Stipendiat der Jungen Akademie nach Berlin kam und die Chance hatte, drei Monate in diesem wunderbaren Gebäude zu leben. Jetzt, vierzehn Jahre später, habe ich dort oft Besprechungen als Mitarbeiter der Akademie, aber wenn wir mit meinem Partner einen Abendspaziergang durch den Tiergarten machen, landen wir auch oft hier für Kaffee und Kuchen. Deshalb war es besonders zauberhaft, als ich beim Poesiefestival Berlin 2023 die Ehre hatte, meine Gedichte unter dem riesigen Baum im Buchengarten zu lesen.


Sind Sie in Berlin ein anderer Mensch, eine andere Autorin, ein anderer Autor als im Land Ihrer Herkunft? Inwiefern?

Die Gedichte, die ich früher auf Ungarisch schrieb, waren viel kunstvoller, voller Reime und Rhythmen, jede Zeile tief verwurzelt in mehreren hundert Jahren ungarischer Literaturtradition. Die Art und Weise, wie ich heute in Berlin auf Deutsch schreibe, ist viel direkter, wütender, schamloser, aber auch freier, sozial bewusster und fürsorglicher, ganz wie der Mensch, der ich hier geworden bin.


Ein literarisches Werk, das ich gern geschrieben hätten:

Charles Baudelaire: Les Fleurs du mal Marcel Proust: À la recherche du temps perdu Allen Ginsberg: Howl Roberto Bolaño: Los perros románticos Nádas Péter: Emlékiratok könyve

Würdigung

04.2022 – 06.2022 | Arbeitsstipendium Literatur – Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
10.2021 – 01.2022 | Sonderstipendium INITIAL (Akademie der Künste), Literatur
02.2019 – 03.2019 | ViceVersa: Deutsch-Ungarische Lyrik-Übersetzerwerkstatt
10.2016 – 12.2016 | Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, Deutschland
06.2013 – 09.2013 | Snorri Sturluson Fellowship, Reykjavík, Island
06.2009 – 10.2009 | Junge Akademie, Akademie der Künste, Berlin, Deutschland

Werk

Veröffentlichungen in deutscher Sprache

Originalwerke

Víziváros

Jelenkor / Budapest, 2021 Roman (Ungarisch)

Balbec Beach

Libri Kiadó / Budapest, 2012 Erzählungen

A szemüveges szirén

Kolibri / Budapest, 2016 Kinderroman (Ungarisch)

Repülési kézikönyv

JAK-L'Harmattan / Budapest, 2007 Gedichte und Erzählungen

Übersetzte Werke

Albert Camus: A bukás (La Chute / Der Fall)

Jelenkor / Budapest, 2020 Übersetzung aus dem Französischen (Roman)

F. Scott Fitzgerald: Meghalnék érted (I’d Die For You / Für dich würde ich sterben)

Jelenkor / Budapest, 2017 Übersetzung aus dem Englischen (Erzählungen)

Oscar Wilde: Dorian Gray képmása (The Picture of Dorian Gray / Das Bildnis des Dorian Gray)

Helikon / Budapest, 2014 Übersetzung aus dem Englischen (Roman)

Vladimir Nabokov: Laura modellje (The Original of Laura / Das Modell für Laura)

Európa Kiadó / Budapest, 2009 Übersetzung aus dem Englischen (Roman)

Trollok alkonya – három középkori történet Izlandról (Trollendämmerung – drei mittelalterliche Sagas aus Island. Bergbúa þáttr, Þorsteinns þáttr Uxafóts, Bárðar saga Snæfellsáss)

Helikon / Budapest, 2018 Übersetzungen aus dem Altisländischen (Sagas)

Antoine de Saint-Exupéry: A kis herceg (Le petit prince / Der kleine Prinz)

Pájer Donát e.v. / Budapest, 2015 Übersetzung aus dem Französischen (Kinderroman)

Alain Robbe-Grillet: Érzelmes regény (Un roman sentimental / Ein sentimentaler Roman)

Magvető / Budapest, 2009 Übersetzung aus dem Französischen (Roman)

Fatou Diome: Az óceán gyomra (Le Ventre de l’Atlantique / Der Bauch des Ozeans)

Palatinus Kiadó / Budapest, 2005 Übersetzung aus dem Französischen (Roman)