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Bericht des Wirts "Zum Stimming" über Kleists letzte Stunden

Informationen

Literaturangabe:

Reinhold, C. F.
Heinrich von Kleist, hrsg. von C. F. Reinhold, Berlin 1919

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Bericht des Wirts "Zum Stimming" über Kleists letzte Stunden

Bericht des Wirts "Zum Stimming" über die letzten Stunden Heinrich von Kleists und Henriette Vogels

Am Mittwoch, den 20. November d. H., nachmittags 2 Uhr, kamen zwei Fremde, ein Herr und eine Dame, mit eignem Fuhrwerk von Berlin gefahren, stiegen bei mir ab und erbaten sich Mittagessen. Sie sagte, sie wollten sich nur einige Stunden aufhalten und einige Fremde aus Potsdam erwarten, und wünschten ein eignes Zimmer zu habe. Wir wiesen ihnen unten, linker Hand, ein Zimmer an, womit die Dame aber nicht zufrieden war, die lieber oben ein Zimmer haben wollte. Es wurde ihnen nun oben eines angewiesen und die Dame fragte darauf, ob sie nicht noch ein Zimmer gleich daneben haben könnten, welches auch sogleich angewiesen wurde. Hierauf trat die Dame ans Fenster und fragte, ob sie nicht einen Kahn bekommen könnten, um über den See nach der anderen Seite zu fahren? Meine Frau antwortete, wir könnten wohl einen Kahn haben; dies verursachte aber viel Umstände. Sie könnten dagegen leicht zu Fuß nach der anderen Seite des Sees kommen, welches der Dame sehr lieb war. Sie fragte nun nach einem Sofa, und da wir keins hatten, bat sie um zwei Betten, in jedem Zimmer eins, damit die Fremden, welche vielleicht erst in der Nacht kämen, sich etwas ausruhen könnten.
Nachdem beide sehr vergnügt zusammen gespeist hatten, gingen sie auf der anderen Seite des Sees in der Gegend spazieren, wo sie sich zuletzt erschossen, kamen bald wieder zurück und bezahlten ihren Fuhrmann, der nun leer nach Berlin zurückfahren mußte. Hierauf tranken sie Kaffee, erbaten sich Feder und Tinte, blieben auf ihren Zimmern und schrieben daselbst.
Nach einiger Zeit baten sie sich Abendessen aus und hatten Wein und Rum bei sich. Nachdem sie abgespeist hatten, schrieben sie wieder, und als das Mädchen ihnen Wasser brachte und fragte, ob sie noch etwas befehlen, erhielt sie die Antwort: Nein, nichts mehr! Wenn aber die Fremden kommen, vielleicht Tee.
Der Hausknecht, welcher die Nacht wachte, hat auf dem Zimmer beständig Licht brennen sehen und beide zuweilen gehen hören. So verging die Nacht.
Am Morgen, um 5 Uhr, kam die Dame herunter und bat um eine Portion Kaffee. Diese tranken beide, um 7 Uhr noch eine Portion, so wurde es 9 Uhr. Das Mädchen mußte nun ihre Kleider reinigen, und auf die Frage, ob sie zu Mittag essen wollten, entgegneten sie daß sie nur etwas Bouillon trinken und am Abend desto besser essen würden.
Sie baten sich nun ihre Rechnung aus, die sie bezahlten und quittiert zurückverlangten. Dann verlangten sie einen Boten nach Berlin, dem sie einen Brief zu besorgen gaben, und dieser ging um 12 Uhr ab. Auf die Frage, was sie am Abend speisen wollten, erwiderte der Herr: wir bekommen heute abend zwei Fremde, die müssen recht gut essen. Ach nein! Sagte die Dame, ich dächte, wir ließen es, sie könnten auch mit einem Eierkuchen vorliebnehmen, wie wir. Nun, sagte der Herr, dann essen wir morgen mittag desto besser, und beide wiederholten, auf den Abend kommen zwei Gäste!
Sie tranken ihre Bouillon, erkundigten sich abwechselnd nach der Uhr und fragten, wann der Bote wohl gewiß in Berlin sein könnte? Da er um 12 Uhr weggegangen war, versicherten wir, daß er um 3 Uhr, höchstens ½ 4 dasein müsse. Nach einer Weile kamen beide herunter, verlangten zwei Portionen Kaffee und fragten noch einmal, ob jetzt der Bote wohl dasein könnte? Jetzt bald, sagten wir.
Hierauf gingen beide hinaus und sprachen über die Lage und die schöne Gegend; waren aber dabei so vergnügt und scherzhaft, daß man gar nicht Besonderes an ihnen bemerken konnte. Wir glaubten, sie ließen sich durch den Boten einen Wagen von Berlin holen, in dem sie wieder zurückfahren wollten.
Beide kamen nun in die Küche, und die Dame fragte meine Frau, ob sie wohl den Kaffee jenseits des Sees auf den schönen großen Platz wollte bringen lassen. Es sei da eine schöne Aussicht! Meine Frau äußerte ihre Verwunderung darüber, da es so weit sei; der Herr sagte aber sehr zuvorkommend: er wolle den Leuten ihre Mühe gern bezahlen, und erbat sich noch für 8 Gr. Rum. Hierauf gingen beide nach dem bestimmten Platz, und als meine Frau sagte, sie wolle indes die Zimmer reinigen lassen, verbaten beide es mit dem Bemerken, daß lieber alles darin so bleiben möchte. Die Dame hatte ein Körbchen, welches mit einem weißen Tuch bedeckt war, am Arme, worin wahrscheinlich die Pistolen gelegen haben.
Als wir den Kaffee und den Rum hingeschickt hatten, verlangten sie auch einen Tisch und zwei Stühle. Auch diese wurden geschickt. Dann ließ der Herr sich einen Bleistift ausbitten und fragen, wieviel der Kaffee koste? Wir glaubten jetzt, der Herr sei ein Künstler und wollte die Gegend aufnehmen.
Als ich den Bleistift überschickte, ließ ich dazu sagen, daß es mit der Bezahlung für den Kaffee noch Zeit habe. Beide kamen der Frau aber schon einige Schritte entgegen, und die Dame übergab ihr das Kaffeegeschirr, wo in einem Tassenkopf das Geld für den Kaffee und den Rum lag. Sie sagte dabei: ?Hier sind vier Groschen für Ihre Mühe; das andere Geld übergibt Sie dem Wirte. Den Tassenkopf wasche Sie rein aus und bringe mir ihn wieder.? Die Frau ging fort, und beide Fremde eilten nach dem Tische zurück.
Als die Frau etwa 40 Schritte gegangen war, fiel ein Schuß, nach etwa 30 Schritten fiel ein zweiter Schuß. Die Frau glaubte aber, daß sie zum Vergnügen schössen, weil beide so scherzhaft und munter gewesen waren, Steine ins Wasser geworfen hatten und miteinander gescherzt und gesprungen waren.
Als die Frau den Tassenkopf wiederbringen sollte, fanden wir es sonderbar, daß, da sie keinen Kaffe mehr hatten, sie noch einen Tassenkopf verlangten. Doch nahm die Frau den Tassenkopf und trug ihn hin.
Als sie auf den Platz kam, fand sie beide Personen in ihrem Blute liegen, entleibt.
Stummes Entsetzen ergriff die Aufwärterin, die nun, vom Schreck betäubt, nach ihrer Wohnung zurückeilte und unserem Mädchen, das sie so rennen sah, zurief: die Fremden hätten sich erschossen und lägen tot da.
Auch uns alle setzt die Nachricht in Erstaunen. Wir gehen zuerst oben nach der Stube; finden aber die Türen fest verschlossen. Wir dringen durch eine Seitentür in das eine Zimmer: sie war mit allen im Zimmer befindlichen Stühlen verrammelt und außer einem versiegelten Päckchen nichts im Zimmer vorhanden.
Nun eilten wir alle nach dem Platze und fanden beide entseelt; die Dame in einer liegenden Stellung hinten übergelehnt, den Oberrock von beiden Seiten aufgeschlagen und die Hände auf der Brust zusammengefaltet. Die Kugel war in die linke Brust, durch das Herz und am linken Schulterblatt wieder herausgegangen. Der Herr, in derselben Grube vor ihr kniend, hatte sich eine Kugel durch den Mund in den Kopf geschossen, die ihm das Leben geraubt. Beide waren gar nicht entstellt, vielmehr hatten sie eine heitere, zufriedene Miene.
Wir ließen dem Herrn die Taschen untersuchen, ob er nicht mit dem erhaltenen Bleistift noch etwas geschrieben habe; fanden aber nichts als die beiden Zimmerschlüssel. Wir sandten sogleich einen Bericht an die Polizei in Potsdam.
Um 6 Uhr kamen zwei Herrn von Berlin gefahren. Der eine stieg aus und fragte, ob die beiden Fremden noch hier wären? Auf die Antwort, daß beide nicht mehr lebten, fragte er noch einmal, ob was wahr wäre? Wir sagten, daß beide jenseits des Sees erschossen in ihrem Blute lägen.
Nun stieg der andere Herr, der Ehemann der Entleibten, auch aus, kam in die Stube, warf den Hut in einen Winkel, die Handschuhe in den anderen und war über den Verlust seiner Gattin ganz untröstlich.
Wir erkundigten uns, wer der Herr wäre, welcher sich mit der Dame erschossen hätte, und erfuhren, daß es Herr Heinrich von Kleist, ihr Hausfreund, gewesen. Die jetzt gekommen, waren also die beiden Fremden, für welche die Entleibten wegen des Abendessens so viele Sorge getragen hatten.
Wir warteten nun bis 11 Uhr abends, und da von der Polizei niemand kam, gingen wir alle zur Ruhe. Am Morgen ließ der Ehemann sich eine Haarlocke von seiner Frau holen, und beide Herren reisten nach Berlin zurück. Mittags war der andere Herr, welcher mit dem Ehemann nach Berlin gereist war, der Herr Kriegsrat Peguilhen, wieder bei uns und ließ dicht neben den beiden Toten eine Grube graben, mit dem Bemerken, daß er zwei Särge von Berlin schicken würde, worin beide nebeneinander in die Grube begraben werden sollten.
Um 2 Uhr nachmittags, den 22., kamen der Herr Hofmedikus und Polizeioffizianten von Berlin, nahmen alles zu Protokoll, ließen die Leichen nach dem kleinen Hause bringen, daselbst öffnen und untersuchen. Hiernach wurden beide in die bestimmten Särge gelegt und abends 10 Uhr in ihre Ruhestätte begraben.

[Der Bericht über die Umstände von Kleists und Henriette Vogels Tod wird nach E. v. Bülow wiedergegeben. Der Eintrag im Stahnsdorfer Kirchenbuch lautete: ?Am 21sten November 1811 erschoß in der Machnowschen Heide nahe an der Berliner Chaussee Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist die Ehefrau des General-Rendanten der Chur-Märkischen Land-und Feuer-Soceität und Landschafts-Buchhalters Friedrich Ludwig Vogel, Adolfine Sophie Henriette geb. Steber, alt 31 Jahre, und dann sich selbst in seinem 34sten Jahre. Beide sind an der Stelle, wo der Mord und Selbstmord geschah, in zwei Särge gelegt und in ein Grab gelegt worden. O tempora! o mores!!?]

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