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Die Pest

Informationen

Literaturangabe:

Veckenstedt, Edmund
Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche, Graz 1880

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Die Pest

Die Pest

Wenn sich sich die Pest einem Dorf nähert, so muß man mit dem Henkel eines kupfernen Kessels, welcher aus einem ausgestorbenen Hause stammt, einen Kreis um das Dorf ziehen. Diesen Kreis kann die Pest nicht überschreiten; es sei denn, daß sie mit Gewalt hinübergezogen wird. Daß dem so ist, haben auch die Leute in einem Dorf bei Cottbus erfahren.

Die Pest wütete im Land, die Bauern des Dorfes aber hatten sich vor ihr durch den Kreis, welchen sie um das Dorf gezogen hatten, gesichert. Eines Tages fuhr aus diesem Dorf der Müller nach seiner auswärts gelegenen Mühle. Bei seiner
Rückfahrt sah er am Weg eine weißgekleidete Frau liegen, welche ihn dringend bat, er möchte sie doch mit auf den Wagen nehmen, sie wolle auch nach dem Dorf. Der Müller ging auf die Bitte der Frau ein. Unterwegs erkundigte sie sich nach allen Bewohnern seines Hauses. Der Müller nannte die Namen aller, bis auf einen, welchen er zufällig vergaß. So waren sie bis an den Ring gekommen, welcher um das Dorf gezogen war. In demselben Augenblicke fiel die Frau vom Wagen. Der Mann half ihr wieder auf den Wagen, sie fiel aber noch einmal herunter.

Jetzt wollte der Müller die Frau liegen lassen, sie aber bat und klagte so, daß er sie seinem Wagen, welchen die Pferde einige Schritte weitergezogen hatten, an der Hand nachschleppte. Darauf half er der Frau wieder auf den Wagen und kam mit ihr glücklich zu Hause an. Als er auf seinem Hof stillhielt, bemerkte er, daß die Frau verschwunden war. Der Müller aber hatte noch immer kein Arges von allen diesen Vorgängen. Er setzte sich mit seiner Familie zu Tisch. Plötzlich hörte er, wie sich die Tür öffnete und die weißgekleidete Frau in das Zimmer trat. Er sah, wie sie unter ihrer Schürze eine hölzerne Kelle hervornahm und damit den auf den Kopf schlug, dessen Namen er zu nennen vergessen hatte. Der Geschlagene fing plötzlich an, über Kopfschmerz zu klagen. Das aber waren die ersten Anzeichen der Pest. Da merkte der Müller, was er für ein Unheil angerichtet, daß er die weißgekleidete Frau in das Dorf gebracht hatte.

Nun war die Pest im Dorf, und bald starben fast alle seine Bewohner.

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