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Ungeratene Töchter deutscher Literatur - Die Lyrikerinnen der Gruppe 47

Dienstag, 30. April 2024

19:30 UHR

Veranstaltungsort

Haus für Poesie

Knaackstr. 97
10435 Berlin
http://www.haus-fuer-poesie.org

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Eintritt: 6/4 €

Details

Die Gruppe 47 galt als der bedeutendste Zusammenschluss von Schrifsteller:innen nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem Zeitraum von 20 Jahren (zwischen 1947 und 1967) fanden immer wieder gemeinsame Tagungen statt, bei denen neue Texte auf Einladung vorgelesen und anschließend einer Gruppenkritik unterzogen wurden. In demokratischer Abstimmung vergaben alle Anwesenden am Ende den Preis der Gruppe 47. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Gruppe zur einflussreichsten Institution innerhalb des deutschen Literaturbetriebs. Viele bedeutende Kritiker:innen und Schriftsteller:innen sind daraus hervorgegangen, die bis heute den Kanon prägen. Die Gruppe war stark männlich bestimmt. Der gemeinsame Preis wurde zehnmal vergeben, darunter gab es nur zwei Preisträgerinnen: Ilse Aichinger (1952) und Ingeborg Bachmann (1953). Sie sind bis heute die bekanntesten Frauen der Gruppe 47 neben zahlreichen Männern (Günter Grass, Uwe Johnson, Walter Jens, Marcel Reich-Ranicki, Hans Magnus Enzensberger, Hans Mayer usw.). Nicole Seifert hat nun in ihrem Buch Einige Herren sagten etwas dazu (Kiepenheuer & Witsch 2024) die Geschichte aus der Perspektive der marginalisierten Schriftstellerinnen neu erzählt, es kommen unter anderem zu Wort: Ilse Schneider-Lengyel (1903– 1972), Helga M. Novak (1935–2013) und Renate Rasp (1935–2015). Im Haus von Ilse Schneider-Lengyel fand 1947 das Gründungstreffen der Gruppe statt. Sie war Dichterin, Ethnologin und Fotografin. Ihr lyrisches Werk entstand unter dem Einfluss des Surrealismus und stieß innerhalb der Gruppe auf starkes Unverständnis, ja sogar Abwehr. Man sprach von „magenverstimmenden Texten“ (Heinz Piontek). Im Laufe der Jahrzehnte wurde Ilse Schneider-Lengyel aus dem offiziellen Gedächtnis der Gruppe aktiv getilgt. Diese Haltung bestimmt bis heute die Rezeption ihres Werks. Die bedeutende Dichterin Helga M. Novak las das erste Mal auf der Gruppentagung in Princeton (1966). Anders als Schneider-Lengyel fand sie dort viele männliche Fürsprecher wie z.B. Günter Grass oder Erich Fried. Tatsächlich blieb sie aber eine Außenseiterin, die von vielen Chronisten der Gruppe übergangen oder auf Äußerlichkeiten reduziert wurde. Der Kritiker Jörg Magenau etwa beschrieb sie als „schöne junge Frau aus der Fischfabrik“.

Renate Rasp las auf der letzten regulären Tagung der Gruppe (1967). Sechs Gedichte trug sie vor, die die teilnehmenden Männer in Aufruhr versetzten. Das Wort „Sexuallyrik“ machte die Runde. Man forderte sie auf, abermals zu lesen, um überprüfen zu können, ob man richtig gehört habe. Der Ruf als Tabubrecherin ging ihr seitdem voraus. Die Zeit überschrieb eine Rasp-Rezension mit „Vorstellung einer Bestie“ und noch der Nachruf in der Süddeutschen, in dem sie als „literarische Domina“ bezeichnet wurde, skandalisierte ihr Werk nachträglich.

In Lesung und Gespräch: Peter Braun | Ursula Krechel | Nicole Seifert | Charlotte Warsen
Moderation: Miriam Zeh

Veranstalter