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George Hesekiel

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Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Von Zwanzig bis Dreißig, Berlin 1898

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George Hesekiel

George Hesekiel

George Hesekiel, 1819 geboren, war der Sohn des Predigers und, wenn ich nicht irre, späteren Konsistorialrats Friedrich Hesekiel zu Halle. Schon dieser war eine volle Persönlichkeit und, wie nach ihm sein Sohn, der Freund eines guten Mahls und eines noch besseren Trunkes. In seinem Keller lag ein alter ausgezeichneter "Naumburger", den ihm eine Bürgerdeputation mit der in gutem Sächsisch vorgetragenen Bemerkung überreicht hatte: "Das ist unser teurer Bürgerschweiß." Und immer, wenn ein Festtag war - und der alte Konsistorialrat hatte gern Festtage -, so mußte George in den Keller, um eine Flasche "teuren Bürgerschweiß" heraufzuholen.

Die Hesekiels, durch zwei Jahrhunderte hin immer Geistliche, stammten aus Böhmen und gehörten, wenn ich recht berichtet bin, einer Adelsfamilie von altböhmischem Namen an. Der Ahnherr verließ nach der unglücklichen Schlacht am Weißen Berge um Glaubens willen seine Heimat und ging nach Sachsen, wahrscheinlich gleich nach Halle. Dort in eine Kirchenstellung eingetreten, begann er damit, wie bis dahin sein böhmisches Vaterland, so nun auch seinen Namen abzutun. Er schlug zu diesem Behufe die Bibel auf und hatte beim Aufschlagen den Propheten Hesekiel vor sich. Den Namen nahm er an. Unser George war mit Recht stolz auf ebendiesen Namen und wurde durch nichts so geärgert, wie wenn man ihn "Hese-Kiel" nannte. "Wenn ich bitten darf, Hesekiel", unterbrach er dann jedesmal.

Er verbrachte seine Jugend in Halle, war als Student viel in dem Fouquéschen Hause - Fouqué in seiner zweiten Periode und mit zweiter Frau - und ging bald nach absolviertem Studium nach Frankreich, das er in jahrelangem Aufenthalt mannigfach durchstreifte. Das gab ihm eine gute Sprach- und Landeskenntnis. Nach Deutschland zurückgekehrt, nahm er seinen Wohnsitz in Altenburg, verheiratete sich hier mit der Tochter eines sächsischen Militärs und gab ein Blatt heraus, das den Titel führte: "Die Rosen". Er war aber damit nicht auf Rosen gebettet; all die Sorgen eines jungen und nun gar damaligen Schriftstellerlebens wurden von ihm durchgekostet. Das Vertrauen der Seinigen, Frau und Schwägerin, war aber so groß, daß die Hoffnung auf bessere Zeiten nie hinstarb. Und dies Vertrauen behielt schließlich recht. Bald nach Gründung der "Kreuzzeitung" ward er bei ebendieser angestellt und redigierte von Herbst 1848 oder 1849 an bis zu seinem Tode den französischen Artikel. Ich glaube hinzusetzen zu dürfen, mit seltener Geschicklichkeit, was in zweierlei seinen Grund hatte: zunächst in gründlicher Kenntnis französischer Zustände, besonders des französischen Adels, und zum zweiten in seiner hervorragenden novellistischen Begabung, die, solange er seiner Redaktion vorstand, in einer wenigstens zeitweilig halb humoristisch gefärbten Lebendigkeit in den Dienst der Politik trat. Ich muß dies hier ein wenig motivieren. Die Zeitung hatte von Anfang an in Paris einen sehr guten Drei-Stern-Korrespondenten, einen feinen, vorzüglich gebildeten Herrn, den ich selber später kennengelernt habe. Neben diesem Drei-Stern-Korrespondenten aber machte sich von einem bestimmten Zeitpunkte ab auch noch ein Lilien-Korrespondent geltend, der sehr bald durch seine pikantere Schreibweise den älteren Kollegen in den Schatten stellte. Was ihm aber mehr noch als seine glänzende Darstellung ein Übergewicht verschaffte, war die sehr bald innerhalb der Partei von Mund zu Mund gehende Versicherung, daß dieser Neuengagierte, wie früher an kleinen deutschen Residenzen, so jetzt am französischen Hofe die allervornehmsten Beziehungen unterhalte, was übrigens nicht wundernehmen dürfe, da dieser neue Lilien-Korrespondent ein legitimistischer Marquis sei. Der Zufall ließ es geschehen, daß ich ebendamals - mehrere Jahre vor meinem persönlichen, erst 1860 erfolgenden Eintritt in die Kreuzzeitungs-Redaktion - viel in Bethanien verkehrte, wo sich bei dem zu jener Zeit in großem Ansehen stehenden Pastor Schultz, einem Freunde meiner Eltern, die führenden Kreuzzeitungs-Leute, darunter namentlich auch von Blankenburg, zu versammeln pflegten. Eines Abends, als ich eintrat, las man in diesem bethanischen Zirkel einen eben unter dem bekannten Lilienzeichen erschienenen, eine Truppenschau in den Champs Elysées oder auf dem Marsfelde beschreibenden Artikel vor, in dem wohl vier- oder fünfmal die Wendung vorkam: "Er - Louis Napoleon - hat den Degen gezogen". Und so war auch der Kopftitel, den die Redaktion dem Ganzen gegeben hatte. Die Meinungen über die Wichtigkeit dieser Korrespondenz gingen auseinander. "Es ist an und für sich nichts," hieß es, "aber es hat eine symbolische Bedeutung und ist jedenfalls ein Avis." Eine Minderheit bestritt auch dies, bis man ihr zu Gemüte führte, "daß es ja der Marquis sei, der diesen Brief geschrieben, ein ernster Politiker also, der den ?gezogenen Degen? nicht vier- oder fünfmal betont haben würde, wenn er dieser Sache nicht eine gewisse Wichtigkeit beilegen wollte." Das schlug durch, und man nahm an, daß eine Kriegserklärung in Sicht stehe. Der an jenem Abend aber die gesamte Kreuzzeitungs-Gruppe so nachhaltig beschäftigende "Marquis" war niemand anders als mein Freund George Hesekiel, Wilhelm- oder Bernburger Straße oder wo sonst er damals gerade wohnen mochte. Wie sich denken läßt, hing der Schöpfer an diesem seinem Geschöpf, der Marquis "wuchs mit seinen größeren Zwecken", und es wird sich ganz ernsthaft sagen lassen, daß Hesekiel an keiner seiner Romanfiguren auch nur annähernd so viel Freude gehabt hat wie speziell an diesem Kinde seiner Laune. Doch alle Freude welkt dahin. Ein Jahrzehnt lang hatte sich die so glücklich erfundene Figur bei Leben und Ansehen erhalten, bis es mit einem Male hieß: "Der legitimistische Marquis der ?Kreuzzeitung? existiere gar nicht." Es war nämlich aufgefallen, daß der Marquis nie schrieb, wenn Hesekiel im Monat Juli in Karlsbad war. Indessen möcht´ ich trotz alledem annehmen, daß der durch diesen Umstand erregte Verdacht wieder hingeschwunden wäre, wenn nicht Hesekiel selbst, als er von dem Stutzen des Publikums erfuhr, zu einem falschen Wiederherstellungsmittel des erschütterten Glaubens an seine Figur gegriffen hätte. Dies falsche Mittel bestand darin, daß er den Marquis auch nach Karlsbad reisen und ihn von dort aus an die "Kreuzzeitung" schreiben ließ. In diesen Briefen sprach er neben anderem auch seine Freude darüber aus, den Dr. George Hesekiel am Sprudel kennengelernt und ihn in seinen legitimistischen Anschauungen als echt und recht erfunden zu haben. All dies war sehr sinnreich ausgedacht, aber doch etwas zu sinnreich, zu kompliziert. Die Komödie, die dadurch verschleiert werden sollte, wurde nur immer durchsichtiger, so daß Hesekiel nach allen möglichen Hin- und Her-Erwägungen endlich den großartigen Entschluß faßte, den Marquis während ihres beiderseitigen nächsten Aufenthaltes in Karlsbad sterben zu lassen. Er führte dies auch mit vieler Kunst, will sagen mit allen für die Wahrscheinlichkeit der Sache nötigen Abstufungen aus, doch weiß ich nicht mehr recht, ob er ihn rasch und unmittelbar in böhmischer Erde begraben oder aber umgekehrt ihn zunächst noch nach Frankreich zurückbegleitet und ihn dort erst in der Nähe von St. Denis bestattet hat. Ich finde, bei allem Respekt vor dem berühmten Bernauer Kriegskorrespondenten, daß dieser legitimistische Marquis seinem Kollegen Wippchen mindestens ebenbürtig ist.

Es mag mir gestattet sein, an das Vorstehende noch eine Bemerkung über "echte" und "unechte Korrespondenzen" zu knüpfen. Der Unterschied zwischen beiden, wenn man Sprache, Land und Leute kennt, ist nicht groß. Es ist damit wie mit den friderizianischen Anekdoten: die unechten sind geradeso gut wie die echten und mitunter noch ein bißchen besser. Ich bin selbst jahrelang echter und dann wieder jahrelang unechter Korrespondent gewesen und kann aus Erfahrung mitsprechen. Man nimmt seine Weisheit aus der "Times" oder dem "Standard" etc., und es bedeutet dabei wenig, ob man den Reproduktionsprozeß in Hampstead-Highgate oder in Steglitz-Friedenau vornimmt. Fünfzehn Kilometer oder hundertfünfzig Meilen machen gar keinen Unterschied. Natürlich kann es einmal vorkommen, daß persönlicher Augenschein besser ist als Wiedergabe dessen, was ein anderer gesehen hat. Aber auch hier ist notwendige Voraussetzung, daß der, der durchaus selber sehen will, sehr gute Augen hat und gut zu schreiben versteht. Sonst wird die aus wohlinformierten Blättern übersetzte Arbeit immer besser sein als die originale. Das Schreibetalent gibt eben den Ausschlag, nicht der Augenschein, schon deshalb nicht, weil in schriftstellerischem Sinne von zehn Menschen immer nur einer sehen kann. Die meisten sehen an der Hauptsache vorbei.


Hesekiel trat, sehr bald nach seinem Erscheinen in Berlin, in den Tunnel ein, wahrscheinlich durch Schneider eingeführt und empfohlen. Aber trotz dieser Empfehlung kam er zu keiner rechten literarischen Geltung, noch weniger zu Ansehen und Liebe. Der Grund lag zum Teil in seiner Zugehörigkeit zur "Kreuzzeitung". Überflog man den zu einem Drittel aus Offizieren und zu einem zweiten Drittel aus adligen Assessoren zusammengesetzten Tunnel, so mußte man - noch dazu nach eben erst erfolgter Niederwerfung einer revolutionären Bewegung - eigentlich mit Sicherheit annehmen, in einem derartig kombinierten Zirkel einem Hort des strengsten Konservatismus zu begegnen. Das war aber nicht der Fall. In dem ganzen Tunnel befand sich, außer Hesekiel, kein einziger richtiger Kreuzzeitungsmann; nicht einmal Louis Schneider, trotz eifriger Mitarbeiterschaft an der "Kreuzzeitung", konnte als solcher gelten. Ihm fehlte das Kirchliche, das durch das Russische doch nur sehr unvollkommen ersetzt wurde. Die Tunnel-Leute waren, wie die meisten gebildeten Preußen, von einer im wesentlichen auf das nationalliberale Programm hinauslaufenden Gesinnung, und bis diesen Tag ist es mir unerklärlich geblieben, daß, mit Ausnahme kurzer Zeitläufte, diese große politische Gruppe keine größere Rolle gespielt und sich nicht siegreicher als staatsbestimmende Macht etabliert hat. Es hat dies nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen weniger - wenn überhaupt - an den Prinzipien unseres deutschen Whiggismus gelegen als an dem Ton, in dem diese Prinzipien vorgetragen wurden. Der Fortschritt ist auch rechthaberisch doktrinär, aber er vertritt mehr den Doktrinarismus eines rabiaten Konventiklers als den eines geistig und moralisch mehr oder weniger in Hochmut verstrickten Besserwissers, und das Hochmütige verletzt nun mal mehr als das Rabiate. Politiker mögen diese Sätze belächeln, es wird ihrer aber auch geben, die etwas Richtiges darin erkennen.

Ich kehre nach diesem Exkurse zu Hesekiel zurück. Sein gelegentlich provozierendes Auftreten war nicht angetan, mit seiner etwas extremen Richtung - sie gab sich extremer, als sie war - zu versöhnen, und so beschränkte sich, soweit der Tunnel in Betracht kam, sein gesellschaftlicher Verkehr auf das H. Smidtsche Haus, das ich schon in einem früheren Kapitel geschildert habe. Dort machte ich auch seine nähere Bekanntschaft und fühlte mich, ich will nicht sagen zu ihm hingezogen, aber doch in hohem Maße durch ihn interessiert. Er war gescheit von Natur, hatte, nicht schulmäßig, aber im Leben und durch Lektüre viel gelernt, kannte tausend Geschichten und Anekdoten von Ludwig XI. an bis auf Ludwig XVIII. und gehörte zu denen, die, wie das Sprichwort sagt, keine Mördergrube aus ihrem Herzen machen. Mit unglaublicher Ungeniertheit gab er die tollsten Skandale zum besten, und was in Vehses "Geschichte der deutschen Höfe" steht, war ein Pappenstiel gegen das, was er in ganzen Katarakten über uns hindonnerte. Mich nahm er dadurch ganz gefangen, denn historischen Anekdoten habe ich nie widerstehen können, bin auch jetzt noch der Meinung, daß sie das Beste aller Historie sind. Was tu´ ich mit den Betrachtungen? Die kommen von selbst, wenn die kleinen und großen Geschichten, die heldischen und die mesquinen, zu mir gesprochen haben. Also, Hesekiel war der Mann der historischen Anekdote, ganz besonders der rücksichtslos-gewagten. Er schrak dabei vor keinem Stand und Berufe zurück, auch nicht vor Adel und Geistlichkeit. Einmal war wieder ein entsetzliches Priesterverbrechen ans Licht gekommen. Er trug es mit breitem Pinsel vor und sagte dann, wie zur Entschuldigung, als er auf manchem Gesichte wohl so etwas wie Mißbilligung lesen mochte: "Verkennen Sie mich nicht. Ich bin aus einer alten Pastorenfamilie, die Glaubens willen aus dem Lande gegangen, und hab´ ein Herz für alles, was zum geistlichen Stande gehört. Aber wenn irgendwas Schreckliches geschieht, wo´s in Frankreich heißt: ?Où est la femme??, da frag´ ich hierlandes unwillkürlich: ?Où est le prêtre??" - Ganz besonders reizend war er, wenn er seine Schriftstellerei bewitzelte. Einmal stritt man sich und holte das Konversationslexikon heran, um ihn mit Hülfe desselben zu bekämpfen. Da kam er in eine helle Heiterkeit. "Wer selber so viele hundert Artikel dafür geschrieben hat wie ich, den müssen Sie mit dem Konversationslexikon nicht widerlegen wollen."

In diesem Stile sprach er beständig, und weil mir das alles ganz ausnehmend gefiel, wurd´ ich mehr und mehr sein Anhänger und habe sehr viel von ihm gehabt. "Ich marchandiere nicht", war eine seiner Lieblingswendungen, und zu dieser Wendung war er voll berechtigt. Walter Scott war sein Vorbild, literarisch gewiß, aber auch in Repräsentation und Lebensführung. Diese letztere - in natürlicher Folge beschränkterer Verhältnisse - konnte selbstverständlich nicht so vornehm sein wie die seines großen Vorbildes, aber an Splendidität und Geldverachtung, halb aus Güte und halb aus Laune, war er ihm womöglich noch überlegen.

Sein "Ich marchandiere nicht" hab´ ich an manchem Abend erlebt, mitunter halb schaudernd. Wenn um acht die Tunnel-Sitzung schloß, so hieß es seinerseits, wenn er nicht gerade was anderes vorhatte: "Ja, was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?" Und ehe noch wer antworten konnte, waren auch schon etliche von den Jüngeren eingeladen, im "Großfürst Alexander" - Neue Friedrichsstraße - seine Gäste zu sein. Die Vornehmeren unter uns lehnten natürlich ab, aber wer seine Bedenken einigermaßen bezwingen konnte, nahm gern an, weil er sicher war, einem zwar anfechtbaren, aber immer interessanten Bacchanal entgegenzugehen. In Kolonne rückten wir nun in das vorgenannte Hotel ein, wo Hesekiel, ich weiß nicht worauf hin, unbeschränkten Kredit hatte. Mit Rotwein oder Mosel zu beginnen, wäre lächerlich gewesen; es gehörte zum guten Ton, mit schwerem Rheinwein, am liebsten mit Sherry, Port oder herbem Ungar einzusetzen, und eh eine Stunde um war, hatten wir ein Wettschwimmen in Zynismen. In Zynismen, aber nicht in Unanständigkeiten. Alles wurde gesagt, aber doch in der Form wohlerzogener Menschen, ja, Hesekiel war stolz darauf, in jedem Zustande sich immer noch in der Gewalt zu haben. "Sieh," sagte er mal zu mir, "manche denken, der und ich, wir wären so einerlei; aber der ist so, und ich bin so" und nun führte er den Unterschied in einem drastischen Vergleiche aus. Was an solchem Abende vertilgt wurde, war unglaublich, und noch unglaublicher war die Zeche, wenn man bedenkt, daß ein Mann von damals sehr bescheidenem Gehalt das alles auf seine Kappe nahm. Es kam denn auch dahin, daß, nachdem dies etwas protzige "doing the honours for all Scotland" ein Jahrzehnt lang gedauert hatte, seine zu sehr wesentlichem Teil durch ebendiese Repräsentationskomödie herbeigeführte Schuldenlast wohl über 10000 Taler betrug, wovon die größere Hälfte auf Zinsen, Wechselprolongationen und dergleichen entfiel. Er näherte sich inzwischen den Fünfzigen, und da nicht bloß seine Schulden, sondern auch seine Gichtschmerzen immer größer wurden, so kam er eines schönen Tages auf den gesunden Gedanken, mit seinem "Schottland die Ehre tun" endgültig Schicht zu machen und lieber seine Schulden abzuzahlen. Und dem unterzog er sich dann auch von Stund an - auch darin seinem Vorbilde Walter Scott gleichkommend - mit eisernem Fleiß und in geradezu großartiger Weise. Tieck hat einmal gesagt: "Einen dreibändigen Roman schreiben, ist immer was, auch wenn er nichts taugt", und jeder, der von Fach ist, wird in diesen Ausspruch einstimmen. Aber was will ein dreibändiger Roman sagen neben zwanzig, dreißig Bänden. Ich besitze selber noch weit über fünfzig seiner Bände, während mir doch vieles von ihm verlorengegangen ist. Nur ein Mann von äußerster Energie konnte das leisten, und mitunter ist es ihm auch sauer genug geworden. Es wird von Ney erzählt, daß er, bevor er in die Schlacht ging, immer erst Kurbetten gemacht und Kreise beschrieben habe; genauso verfuhr auch Hesekiel. An Tagen, wo´s ihm ganz besonders widerstand, ging er zunächst viele Male, wie mit sich kämpfend, um seinen Schreibtisch herum, und erst wenn er alles Widerstrebende niedergezwungen, sich für seine Aufgabe montiert hatte, nahm er seinen Platz und begann zu schreiben. Er schrieb auf Quartblätter, die aufgestapelt vor ihm lagen, und ließ das geschriebene Blatt mit einem kleinen Fingerknips auf die Erde fliegen; da sammelte dann seine Tochter Ludovika, damals noch ein Kind, die zahllosen Blätter und ordnete sie. Von Wiederdurchsehen war keine Rede, kein Wort war durchstrichen, alles ging fertig in die Druckerei. Keiner dieser Romane hat sich bei Leben erhalten, und ihr literarischer Wert mag nicht sehr hoch sein, aber sie enthalten eine Stoffülle und sind für den, der Preußisch-Historisches liebt, eine unterhaltliche und lehrreiche Lektüre. Jedenfalls sah sich sein Fleiß belohnt, und so gering auch die Honorare waren, auch wohl sein mußten, es gelang ihm doch, mit ihrem Ertrage die vorgenannte, für einen deutschen Schriftsteller jener Epoche sehr hohe Schuldensumme zu tilgen. Er hinterließ sein Haus in bescheidenen, aber geordneten Verhältnissen.

Daß er unter der "Ungeordnetheit dieser Verhältnisse" zuzeiten sehr gelitten, mehr, als er zu zeigen liebte, davon war ich an einem mir unvergeßlichen Tage Zeuge. Mitternacht war längst vorüber, und wir schlenderten, nach einem der vorgeschilderten Symposiums, von der Neuen Friedrichsstraße her auf unsere Wohnungen zu, die nahe beieinander lagen. Es war eine wunderschöne Winternacht, nicht kalt, prächtiger Sternenhimmel; so kamen wir bis vor meine Behausung in der Puttkamerstraße und schritten noch ein paarmal auf und ab, weil wir bei einem sehr wichtigen Gespräch waren, nämlich bei dem Thema, wie man sich in Geldverlegenheiten einigermaßen helfen könne. "Ja," sagte ich, "´s ist sonderbar; es geht mir ja mehr als bescheiden, aber ich würde nicht sonderlich darunter leiden, wenn ich nur dann und wann einen Pump zustandebringen könnte. Das kann ich aber nicht. Ich habe durchaus kein Talent zu dergleichen; ich bin zu ungeschickt."

Als ich dies große Wort gelassen ausgesprochen hatte, trat er einen Schritt zurück, und ich sah, wie der letzte Rest von Rausch förmlich von ihm abfiel. Dann kam er wieder auf mich los, sah mich ernst und beinahe gerührt an und sagte, während er seine Hand auf meine Schulter legte: "Gott erhalte dir diese Ungeschicklichkeit. "

Und diese Segnung, denn fast war es so was, hat sich auch an mir erfüllt, und ich habe das Schuldenmachen nie gelernt. Daß es mir in meinem Leben so gut gegangen ist, das verdanke ich nicht zum kleinsten Teile der Andauer jener "Ungeschicktheit", die mir damals mein guter Hesekiel anwünschte.


Meine Beziehungen zu Hesekiel waren bis 1855, wo ich Berlin auf eine Reihe von Jahren verließ, nur oberflächlich; erst von 1859 an wurden sie freundschaftlich. Er leistete mir damals einen großen Dienst, indem er mich aus einer mehr oder weniger bedrücklichen Lage befreite.

Das hing so zusammen.

Ich war in dem zuletzt genannten Jahre von England nach Berlin zurückgekehrt, trotzdem die Zeit, die mir der Minister Manteuffel für den Verbleib in meiner Londoner journalistischen Stellung zugesichert hatte, kaum halb abgelaufen war. "Bleiben Sie doch ruhig hier", hatte mir mein Londoner Chef, der immer gütige Graf Bernstorff, in einem über diese Dinge geführten Gespräche zugerufen. "Das in Berlin da, das dauert nicht lange." Die Richtigkeit davon leuchtete mir auch ein. Aber meine Sehnsucht nach den alten Verhältnissen - in London, so sehr ich es liebte, blieb ich doch schließlich ein Fremder - war groß und trieb mich fort, trotzdem ich wohl einsah, daß es bei meiner Rückkehr mit meinem Verbleiben in der Regierungspresse schlecht aussehen würde. Wer unter Manteuffel, wenn auch nur in kleinster und gleichgültigster Stelle, gedient hatte, war mehr oder weniger verdächtig. Ich also auch. Mir wurde das, kaum in Berlin wieder eingetroffen, auch gleich fühlbar, berührte mich aber so kolossal komisch, daß ich zu keinem Ärger darüber kommen konnte. "Mußt du eine wichtige Person sein", sagte ich mir, während ich doch am besten wußte, daß ich so gut wie gar nichts geleistet hatte. Chef der ministeriellen Presse war unter dem neuen Regime, der sogenannten "Neuen Ära", Geheimrat Max Duncker geworden, ein sehr liebenswürdiger Herr, der von der oben beklagten Eigenart der Gothaner gar nichts oder doch nur sehr wenig aufwies. Ich kam aber trotzdem nicht recht an ihn heran. Alles, während es sich doch - wenigstens uns kleinen Skribenten und Korrespondenten gegenüber - immer nur um Quisquilien handelte, wurde so furchtbar wichtig genommen, und so schied ich denn aus, um anderweitig mein Heil zu versuchen. Aber das war nicht leicht. Wer in ähnlicher Lage gewesen ist, wird mir das bestätigen, auch jetzt noch, trotzdem sich die Dinge seitdem sehr verbessert haben. Ich hatte zehn Jahre lang zur Regierungspresse gehört. In dieser verbleiben zu können, wäre mir schon aus Bequemlichkeit sehr erwünscht gewesen. Aber diese Presse der "Neuen Ära", zu der auch indirekt die nationalliberalen Zeitungen gehörten, mißfiel mir oder ich ihr, und so blieben nur Vossin und Kreuzzeitung übrig. Ich war also in einer argen Verlegenheit und sprach mich zu Hesekiel darüber aus. Der sagte: "Ja, melden kannst du dich nicht bei uns. Aber wenn ein Angebot kommt, dann liegt es doch um ein gut Teil günstiger für dich." Und schon am anderen Tage kam ein solches Angebot. Der Chefredakteur der Kreuzzeitung fragte bei mir an, "ob ich die Redaktion des englischen Artikels übernehmen wolle". Noch ein wenig unter den Gruselvorstellungen stehend, die sich, von 1848 her, an den Namen "Kreuzzeitung" knüpften, war ich unsicher, was zu tun sei, beschloß aber, wenigstens mich vorzustellen. Ein bloßer erster Besuch konnte ja den Kopf nicht gleich kosten. Immerhin hatte die Sache was von der Höhle des Löwen. Vier Uhr war Sprechstunde. Pünktlich erschien ich in der Bernburger Straße, wo der Chefredakteur der Kreuzzeitung schräg gegenüber der Lukaskirche wohnte. Matthäi wäre wohl besser gewesen, aber Lukas war auch gut. Endlich in der zweiten Etage glücklich angelangt, zog ich die Klingel und sah mich gleich darauf dem Gefürchteten gegenüber. Er war aus seinem Nachmittagsschlafe kaum heraus und rang ersichtlich nach einer der Situation entsprechenden Haltung. Ich hatte jedoch verhältnismäßig wenig Auge dafür, weil ich zunächst nicht ihn, sondern nur sein unmittelbares Milieu sah, das links neben ihm aus einem mittelgroßen Sofakissen, rechts über ihm aus einem schwarz eingerahmten Bilde bestand. In das Sofakissen war das Eiserne Kreuz eingestickt, während aus dem schwarzen Bilderrahmen ein mit der Dornenkrone geschmückter Christus auf mich niederblickte. Mir wurde ganz himmelangst, und auch das mühsam geführte Gespräch, das anfänglich wie zwischen dem Eisernen Kreuz und dem Christus mit der Dornenkrone hin und her pendelte, belebte sich erst, als die Geldfrage zur Verhandlung kam. London hatte mich nach dieser Seite hin etwas verwöhnt, und ich sah mit Schmerz die Abstriche, die gemacht wurden. Als so zehn Minuten um waren, stand ich vor der Frage: "Ja" oder "Nein". Und ich sagte: "Ja". Nicht leichten Herzens. Aber vielleicht gerade weil es ein so schwerer Entschluß war, war es auch ein guter Entschluß, aus dem mir nur Vorteile für mein weiteres Leben erwachsen sind. Ich blieb bis kurz vor dem Siebziger Krieg in meiner Kreuzzeitungs-Stellung und muß diese zehn Jahre zu meinen allerglücklichsten rechnen. Daß es so verlief, lag an verschiedenen Dingen. Es kamen die Kriegsjahre 1864 und 1866, die mir Gelegenheit gaben, mich mehr als einmal nützlich zu machen; ich bereiste die Kriegsschauplätze, war in Schleswig, Jütland, Seeland, in Böhmen und den Gegenden des Mainfeldzuges, was mich alles ungemein erfrischte. Zugleich gab es mir ein Relief. Es war auch dasselbe Jahrzehnt, in dem ich meine "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" und meinen ersten vaterländischen Roman - "Vor dem Sturm" - begann. Zudem, von Vierzig bis Fünfzig ist beste Lebenszeit. Aber der Hauptgrund, daß ich mich all die Zeit über so wohl fühlte, war doch der, daß, verschwindend kleine Störungen abgerechnet, das Leben auf der Redaktion und mehr noch das nebenherlaufende gesellschaftliche Leben ein sehr angenehmes war. Von dem sprichwörtlichen "Der schwarze Mann kommt", wovor ich ganz aufrichtig gebangt hatte, war keine Rede; nichts von Byzantinismus, nichts von Muckertum. Alles verlief eher umgekehrt. Stärkste Wendungen, auch gegen Parteiangehörige, fielen beständig und von jener erquicklichen Meinungsfreiheit - der ich übrigens, um von unserem vielverketzerten Metier auch mal was Gutes zu sagen, auf allen Redaktionen begegnet bin - wurde der weiteste Gebrauch gemacht Ich möchte hier überhaupt einschalten dürfen, daß es - was auch ein wahres Glück ist - nach meinen Erfahrungen eine gewisse Zeitungssolidarität gibt, die durch die Parteifarbe wenig beeinträchtigt wird, und so gedenk´ ich denn auch gern eines Wortes, das Professor Stahl einmal in einer Kreuzzeitungs-Versammlung aussprach: "Meine Herren, vergessen wir nicht, auch das konservativste Blatt ist immer noch mehr Blatt als konservativ."

Auf der Redaktion saßen Hesekiel und ich dicht zusammen, nur durch einen schmalen Gang getrennt, und mitunter schrieben wir uns Briefe, die wir uns von einem Tisch zum andern herüberreichten. Es wurden darin immer nächstliegende Personalien verhandelt, anzüglich, aber nie bösartig, vielmehr vorwiegend in so grotesk ausschweifender Weise, daß dadurch der kleinen Malice die Spitze abgebrochen wurde. Meist ging es gegen den Chefredakteur, dessen pedantische Ruhe der Hesekielschen Natur durchaus widersprach. Am ungeniertesten wurde mit dem aus dem Waldeck-Prozeß schlecht beleumdeten Goedsche verfahren, der übrigens keineswegs ein Schreckensmensch, vielmehr, bei hundert kleinen Schwächen und vielleicht Schlimmerem, ein Mann von großer Herzensgüte war; er schrieb damals an seinen, vom buchhändlerischen Standpunkte aus berühmt gewordenen Sir John Retcliffe-Romanen, die, wie er selbst, eine Quelle beständiger Erheiterung für uns waren. Einer dieser Romane hieß "Nena Sahib". Wenn nun eine ganz ungeheuerliche Stelle kam, wo die Schrecknisse sich riesenhaft türmten, so kriegte er es doch mit der Angst, und fühlend, daß er dem Publikum vielleicht allzuviel zumutete, machte er, mit Hilfe eines Sternchens, eine Fußnote, darin es in lakonischer Kürze hieß: "Siehe Parlamentsakten". Er hütete sich aber, Band und Seitenzahl anzugeben. Wenn wieder ein mehrbändiges Werk fertig war, ließ er es jedesmal elegant einbinden, um es dann, in der Privatwohnung des Chefredakteurs, der sehr feinen und sehr akkuraten Dame des Hauses als Huldigungsexemplar überreichen zu können. In besonders schweren Fällen soll er aber hinzugesetzt haben: "Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen." Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: "Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken." Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennengelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler - alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen - er hatte an den Retcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient - ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin, war er sehr elend, infolge einer merkwürdigen, echt Goedscheschen Weihnachtsfeier. Seine Frau war ihm gestorben, und ganz in Sentimentalität steckend, wie so oft Naturen der Art, begab er sich am Christabend nach dem katholischen Kirchhofe hinaus und veranstaltete hier, indem er zahllose Lichter aufs Grab pflanzte, eine Liebes- und Gedächtnisfeier. Er setzte sich auf ein Nachbargrab und sang einen Vers und weinte. Die Folge davon war ein Pyramidalkatarrh, der sein Leben schon damals in Gefahr brachte.

Wie schon erzählt, Hesekiels und mein Arbeitstisch standen nahe beieinander. Aber was jeder von uns an seinem Tische leistete, das war sehr verschiedenwertig. Er war eine Hauptperson der Zeitung, zeitweilig die Hauptperson, und an der Betätigung seiner Gaben war der Zeitung und jedem Adligen und Geistlichen auf dem Lande sehr gelegen. Alle wollten hören, wie der damals noch nicht entpuppte "legitimistische Marquis" über Louis Napoleon denke. Mit dem englischen Artikel, der meine Domäne bildete, lag es umgekehrt, und ich glaube, daß dies auch der Grund war, warum mein Vorgänger Dr. Abel - er wurde später Times-Korrespondent und zeichnete sich als solcher aus - seine Kreuzzeitungs-Stellung aufgab. Es waren, auf England hin angesehen, stille Zeiten, alles Interesse lag bei Frankreich oder bei uns selbst, und so kam es, daß zeitweilig jeden Morgen der Chefredakteur an meinen Platz trat und mir mit seiner leisen Stimme zuflüsterte: "Wenn irgend möglich, heute nur ein paar Zeilen; je weniger, desto besser." Ich war immer ganz einverstanden damit und hatte bequeme Tage. Zuletzt freilich wurde mir das bloße Stundenabsitzen langweilig, und ich trat - ein kleiner Streit kam hinzu - meinen Rückzug von der Zeitung an.



Ich könnte hier noch Welten erzählen, sei´s über Hesekiels persönliches Gebaren, sei´s über Leben und Treiben auf der Redaktion selbst. Ich ziehe es aber vor, hier abzubrechen und in Nachstehendem über das gesellschaftliche Leben auf der Kreuzzeitung, auf das ich schon kurz hinwies, zu berichten. Dies war das denkbar angenehmste, weil alles, was zum Bau gehörte, nicht bloß politisch oder redaktionell, sondern auch gesellschaftlich mitzählte. Mit Vergnügen denk´ ich an den trotz vieler Reibereien und persönlicher Gegensätze doch immer kameradschaftlichen Ton zurück, und ein Ausspruch, den, wenn ich nicht irre, General von Gerlach oder aber sein Bruder, der Magdeburger Oberappellationsgerichtspräsident, tat, zeigt am besten, wie vornehm und frei gerade diese leitenden Herren über solche Dinge dachten: "Ich würde es für klug und wünschenswert halten, daß wir ehrenhafte Leute von der Presse ganz in ähnlicher Weise wie die Geistlichen an uns bänden, ich meine durch Heirat." Ich erzähle das, um an einem Musterbeispiel zu zeigen, wie wenig sich das landläufige Bild von einem Junker mit der Wirklichkeit deckt oder doch mindestens, wie glänzende Ausnahmen sich gerade bei den Klügsten und Besten unter ihnen vorfinden.

Gute Gesellschaftlichkeit, wie hier eingeschaltet werden mag, habe ich übrigens bei den Zeitungen aller Parteien gefunden. Und sehr erklärlich, daß es so ist. Die Redaktionen oder Besitzer haben meistens ein Einsehen von der Wichtigkeit solcher persönlichen Beziehungen, die lehrreich sind und Freudigkeit geben, welch letzteres Moment, bei dem vielen Ärgerlichen und mehr noch bei dem Übelbeleumdetsein unseres Berufs, oft recht wünschenswert ist. Also Gastlichkeit und ein bestimmtes, wenn auch oft nur bescheidenes Maß humanen Entgegenkommens findet sich nahezu überall. Aber ich habe doch gleichzeitig, bei viel Übereinstimmendem in dieser Beziehung, auch große Verschiedenheiten wahrgenommen. In der ministeriellen Presse stand es am ungünstigsten, weil man da selten wußte, wer eigentlich als "hospes" anzusehen sei; kam es aber trotzdem ausnahmsweise zu Repräsentation und Hospitalität, so hatte beides den eigentümlichen Reiz des Offiziösen. Wir wurden dann, in plötzlicher Erkenntnis, daß Gott seine Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen lasse, brüderlich oder doch wenigstens halbbrüderlich unter die Ministerialräte des Innern oder des Kultus eingereicht und fühlten uns nicht bloß geehrt, sondern auch sehr amüsiert. Denn diese Räte waren nichts weniger als steifleinene Herren, vielmehr umgekehrt meist glänzende Causeurs. Ich nenne nur einen, den Geheimrat Stiehl. Er war so witzig, daß man fast sagen konnte, selbst seine Regulative wirkten so. Jedenfalls stand er selber ziemlich kritisch zu seiner Schöpfung, und ich erinnere mich einer bei Gelegenheit seines Sturzes von ihm abgegebenen halb humoristischen, halb zynischen Erklärung, in der er lächelnd zugestand, daß er wohl wisse, wie man das alles auch ganz anders machen könne. Derbheit und Till Eulenspiegelei waren seine Natur. Er selber sagte von sich: "Ich habe da mal ein Tagebuch von meinem in Halle studierenden Großvater gefunden, daraus hervorgeht, daß er ein Renommist und Strenggläubiger war, und ich darf sagen, ich fühle mich als seinen Enkel." Als ich Ende der fünfziger Jahre in England lebte, gehörte ein Mr. Collins, der die Berliner Wasserwerke angelegt hatte, zu meinen Bekannten. Er reiste, trotzdem er nur ein Bein hatte, beständig zwischen London und Berlin hin und her. Einmal war ich bei ihm zu Tisch, in seinem reizenden, am Hereford-Square gelegenen Hause: "Sagen Sie, kennen Sie einen Geheimrat Stiehl?" - "Gewiß kenne ich den; Original, sehr gescheit, sehr amüsant." - "Das will ich meinen. Als ich letzten Dienstag von Berlin abfuhr, stieg mit einemmal ein sonderbar aussehender Herr ein, schimpfte gleich kolossal, aber doch sichtlich bloß zu seinem Vergnügen und zog mich dann sofort ins Gespräch. Als wir in Köln ankamen, war er noch mitten im Satz; so was von einem Erzähler ist mir noch nicht vorgekommen. Von Ermüdung meinerseits nicht die Spur; ich war bloß traurig, daß wir schon in Köln waren." Stiehl heiratete später eine Frau v. M.; er Witwer, sie Witwe. Die Partie wurde viel beredet, denn sie, die Dame, war der Typus der Vornehmheit, was man von ihm nicht sagen konnte. Trotzdem hatte sie richtig gewählt und war glücklich, an die Stelle der "Complaisance", die bis dahin ihr Lebensteil gewesen war, ein Kraftgenie treten zu sehen.

Die kleinen Festlichkeiten der ministeriellen Presse hatten, wie ich nur wiederholen kann, etwas von dem Charme der Offiziosität, die der fortschrittlichen Presse dagegen zeichneten sich durch Stil und Opulenz, durch Heranziehung von Kunst und Literatur aus, die der Kreuzzeitung aber waren die lehrreichsten und, wenn der Damm erst durchbrochen war, auch die gemütlichsten. Sie gaben sich nicht bloß als Extras, als Außergewöhnlichkeiten, sondern bildeten eine Art Institution, gehörten mit zum Programm. Ich muß deshalb etwas länger bei dieser Gastlichkeit verweilen.

Die gesellschaftliche Repräsentation der Kreuzzeitung trat in drei Gestalten auf: als "Cercle intime", als Königsgeburtstagsfeier und als politische Ressource. Diese drei waren, wie von den Gesellschaften der anderen Zeitungen, so auch untereinander ziemlich verschieden. Der "Cercle intime" war gleichbedeutend mit einem Sichversammeln im Familienkreise; nicht die Zeitung als solche lud ein, sondern der Chefredakteur in Person und in seinem Hause. Keine Parteirepräsentation; alles mehr Privatsache. Das zeigte sich schon darin, daß auch Damen daran teilnahmen. Exzellenzen erschienen nur vereinzelt, aber viele Stabsoffiziere, Geistliche, befreundete Professoren, überhaupt Freunde. Manche sind mir sehr lebhaft im Gedächtnis geblieben: Minister Bodelschwingh, Geheimrat von Senfft-Pilsach, Major Ribbentrop von der Gardeartillerie - der sich mit seiner Batterie vor Düppel ausgezeichnet hatte -, Oberstleutnant Graf Roedern von den Gardedragonern, Hofprediger Kögel, Professor W. Hensel, der junge Senfft von Pilsach, Neffe des vorgenannten Geheimrats. -

Über die drei Letztgenannten möchte ich hier ein paar Worte sagen.

Hofprediger Kögel war damals eben nach Berlin gekommen; er mochte vierzig sein. Schlank, grad aufrecht, von einer nervös angespannten und zugleich degagierten Haltung, machte er mehr den Eindruck eines mit glänzenden Aussichten ins Ministerium berufenen Regierungsrats als den eines Theologen. Lebhaft, espritvoll, verbindlich, aber inmitten aller Verbindlichkeit von - übrigens vollberechtigten - Überlegenheitsallüren, konnte er als ein Typus jener aus kleinen in große Verhältnisse hineingeratenen Persönlichkeiten gelten, die, plötzlich auf einer gewissen Höhe angelangt, rasch daselbst die Wahrnehmung ihrer Superiorität machen und in diesem Gefühl zu Tonangebenden und Regierenden werden, selbstverständlich unter kluger Wahrung aller durch Geburt und Verhältnisse vorgeschriebenen Distanzen. Irr´ ich nun aber nicht, so hatte Kögel eine Neigung, diese so viel bedeutenden Distanzen in legererer Weise zu markieren als herkömmlich. Er "markierte" sie wirklich nur, statt ihnen einen starken Akzent zu geben, und bei dem feinen Wahrnehmungsvermögen, das hohe und höchste Herrschaften für solche Dinge haben, mußte sich in bestimmten Kreisen eine gewisse Gegnerschaft gegen ihn ausbilden. Er ist der glänzendste Kasualredner, den ich, sei´s im Leben, sei´s literarisch, kennengelernt habe; seine Gelegenheitsreden sind Musterwerke von Knappheit, Klarheit, Geschmack, und die vordem so beliebte Manier, in Anspielungen zu sprechen und dadurch, weil alles gelobt und alles getadelt wurde, sich nach allen Seiten hin zu salvieren, war ihm fremd. Vor Kennern bestand er glänzend. Aber es gab ihrer einzelne, die sich trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - nicht befriedigt fanden, weil sie nebenher beständig heraushörten: "Ihr seid ihr, und ich bin ich." Es ist dreißig Jahre her, daß ich ihn zuerst sah; er machte schon damals den vorgeschilderten Eindruck, hatte schon damals alles das, was ihn auf seine Höhe hob, aber diese Hochstellung auch bedrohte. Seine Krankheit, die seinen Rücktritt veranlaßte, war vielleicht ein Segen für ihn.

Von sehr anderem Gepräge war Professor Wilhelm Hensel. Er zählte zu den häufigsten Gästen, nahm auch an den offiziellen Festdiners, Königsgeburtstag etc. regelmäßig teil und war allgemein gern gesehen. In Trebbin geboren, märkischer Predigerssohn, war er der Typus eines Märkers, gesund, breitschultrig, festen Willens und mit kleinen, listigen Augen. Trat er ein, so glaubte man einen in die Großstadt verschlagenen Amtmann zu sehen, und - daß ihm, vierzig Jahre früher, die schöne Fanny Mendelssohn zuteil geworden war, konnte wundernehmen. Erfuhr man dann aber, was es mit dem "Amtmann" auf sich habe, so war einem klar, daß die schöne Fanny sehr richtig gewählt habe. Das Preußentum von 1813 ließ sich ganz wundervoll an ihm studieren. Er hatte den Krieg mit Auszeichnung mitgemacht, erfreute sich, wohl zum Teil um dieser Haltung willen, einer großen Beliebtheit am Hofe Friedrich Wilhelms III., nicht minder bei sämtlichen Prinzen, und dies "Mit zum Hofe Gehören", auch mit dazu gehören Wollen, gab ihm ein Etwas, das von der jungen Generation belächelt wurde. Aber ganz mit Unrecht. In dem reizenden Buche "Bismarck und seine Leute" kommt eine Stelle vor, wo Bismarck in Versailles auf offener Straße dem Geheimrat Abeken eine Depesche diktiert. Dieser ist ganz Dienst. Aber mit einem Male wahrnehmend, daß Prinz Karl die Straße herunter kommt, kommt Abeken ins Schwanken; er hat einerseits ein Gefühl von der Wichtigkeit der dienstlich politischen Situation, aber andererseits auch ein Gefühl von der Wichtigkeit einer Prinzenannäherung, und sich hin und her wendend, um, inmitten der Erfüllung seiner Amtspflichten gegen den Kanzler, doch auch die Honneurs gegen den Prinzen nicht zu versäumen, kommt er erst durch eine scharfe Bismarcksche Reprimande wieder zur Haltung und Ruhe. Genauso war Hensel. Eine Prinzenannäherung war doch immer die Hauptsache. Jetzt lachen die Leute darüber, weil sie die frühere Zeit nicht kennen und sich als große Freiheitler träumen; in Wahrheit aber liegt es so, daß die preußische Welt seit König Friedrich Wilhelm I. beständig wachsende Fortschritte, nicht im "Männerstolz vor Königsthronen", sondern umgekehrt im Byzantinismus gemacht hat und daß die eigentlichen Charaktere und die eigentlich mutigen Männer in Tagen lebten, wo´s keine patentierte Freiheit gab und der Krückstock noch wacker umging. Zahllose herzerquickende Worte - auch Taten - sind damals vorgekommen, die heute ganz undenkbar sind. Auf diesem Gebiete sind in unserem modernen Leben auch die mutigsten Leute Drückeberger geworden. - Hensels intimster Freund war der Graf Blanckensee; sie hatten von 1813 bis 1815 in derselben Truppe gedient. Es hieß einmal, daß es nicht leicht sei, mit dem Grafen auszukommen. "Ich bin fünfzig Jahre lang gut mit ihm ausgekommen", sagte Hensel, "und schiebe das auf ein Prinzip, nach dem ich, von Jugend auf, meinen Umgang mit vornehmen Leuten eingerichtet habe. Gegen ihre höhere gesellschaftliche Stellung habe ich nie protestiert, auch im freundschaftlichsten Verkehr immer eine Grenzscheide gezogen, Kordialitäten nie versucht, ihnen immer ihren Stand und ihre Ehre gegeben; aber wenn das geringste geschah, das meine Ehre verletzte, habe ich das ruhig und fest zurückgewiesen. Das ist immer respektiert worden, und ich bin, wie mit Blankensee, so mit allen anderen märkischen Adeligen immer sehr gut ausgekommen." In seinen Anschauungen hatte Hensel viel Gemeinsames mit Louis Schneider, bezeigte sich aber sehr viel feiner in ihrer Geltendmachung. In Gesellschaften war er ungemein beliebt, und mit Recht. Er hielt sich zunächst zurück und sondierte, nahm er aber wahr, daß gute Zuhörer da waren, so öffneten sich die Schleusen, seiner Beredtsamkeit, und daß er, der als Jüngling die Befreiungskriege mitgemacht, dann die Lalla-Rookh-Aufführung geleitet, dann 1848 die Künstler- und Studentenschaft kommandiert und 1860 als Totenwache neben seinem aufgebahrten König Friedrich Wilhelm IV. gestanden hatte -, daß der erzählen konnte, braucht nicht versichert zu werden. Als Maler war er nicht bedeutend, selbst der Wert seiner Porträtmappen wird angezweifelt, weil er noch dem Prinzip huldigte, "die Menschen so zu porträtieren, wie die Natur - ehe Störungen eintraten - die Betreffenden intendiert hatte." Bis zuletzt blieb er bei Kraft, Frische und guter Laune und hatte das Glück, eines schönen Todes oder richtiger das Glück, in einer schönen Sache zu sterben. Eine Frau war überfahren worden; er sprang hinzu, um ihr zu helfen, und erlitt dabei selbst eine schwere Verletzung. Der erlag er. Er war immer hülfebereit gewesen und in einem Samariterdienst schied er aus dem Leben.

Der dritte, von dem ich sprechen möchte, war der junge Baron Senfft-Pilsach, Neffe des vorgenannten Geheimrats, Sohn des pommerschen Oberpräsidenten. Er war - trotz ganz unjunkerlicher Anschauungen - in Erscheinung und Sprechweise der Typus eines pommersch-märkischen Junkers, groß und stark, humoristisch und derb bis zum Zynismus. Er war als Gymnasialschüler bei dem Chefredakteur der Kreuzzeitung in Pension gewesen und hatte sich bei der Gelegenheit, wie das so oft geschieht, von dem abgewandt, dem man ihn zuwenden wollte. Als ich ihn kennenlernte, war er, glaub´ ich, Referendar und einige zwanzig Jahre alt. Wir plauderten miteinander, und er merkte, daß ich Fühlhörner ausstreckte, um über das konservative Hochmaß seiner Gesinnung ins klare zu kommen. Er lachte. "Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders." Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgendeiner Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwescher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. "Keine Umstände, ich werde Ihnen den ?Archibald Douglas? vorsingen." Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich´s hatte, hinzusetzend, ich hätte tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen "Wernigeröder" erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es heiße, daß er womöglich noch besser als Nordhäuser sei; ob ich ihm vielleicht den vorsetzen dürfe? Sein Gesicht nahm sofort einen komisch feierlichen Ausdruck an, und den Rotwein beinah despektierlich zurückschiebend, sagte er: "Dann bitt´ ich freilich um Wernigeröder." Er behandelte ihn wie Frühstückswein und sprach sich, als er mehrere mittelgroße Gläser geleert hatte, voll Anerkennung über den Mann aus, der dies "edle Naß" so rechtzeitig geschickt habe. Diese Begegnung mit ihm fand in Tagen statt, die seine letzten guten Tage waren. Er wurde bald danach krank und verfiel sichtlich. Er ritt viel, von Kur wegen, und wenn ich ihn im Tiergarten traf, ging ich eine Strecke neben ihm her und ließ mir von ihm erzählen. Es war immer noch die alte forsche Sprechweise, aber mit einem Dämpfer drauf, und verhältnismäßig schnell ging es zu Ende. Er war eine Figur und hat sich wohl jedem fest eingeprägt, der ihn kennenlernte.

Alle die hier Genannten gehörten dem Familienkreise, dem "Cercle intime" an. Von sehr anderer Zusammensetzung war der Kreis, der an der offiziellen Repräsentation teilnahm, also wenn Mitarbeiter - meist auswärtige Korrespondenten - eintrafen, die gefeiert werden sollten, oder bei Gelegenheit von Königsgeburtstag. Auch da fanden sich interessante Leute zusammen, aus deren Gesamtheit ich, um mich nicht zu sehr in Einzelnheiten zu verlieren, nur einen herausgreife: den alten Büchsel. Ich hatte das Glück, ihm immer gegenüberzusitzen und ihn dabei studieren zu können, was ich denn auch redlich tat. Sein Kopf war wie der eines märkischen Schäferhundes oder noch richtiger einer Mischung von Neufundländer und Fuchs. Der Fuchs wog aber sehr vor, wodurch, ich kann nicht sagen die Verehrung, aber doch das Interesse für ihn gewann. Er war die personifizierte norddeutsche Lebensklugheit, mit einem starken Stich ins Schlaue. Zu Büchsels wärmsten Verehrerinnen gehörte auch eine Generalin von Gansauge. "Frau Generalin," so begrüßte er eines Tages die alte Dame, "ich habe nicht geglaubt, daß Sie noch so vergnügungssüchtig seien." - "Ich? Vergnügungssüchtig? Aber wie das, Herr Generalsuperintendent?" - "Ja, Frau Generalin. Ich sehe Sie jetzt auch öfter in meinen Nachmittagsgottesdiensten." - Man hat die "Wrangeliana" gesammelt; Büchsels Aussprüche zu sammeln, würde sich noch mehr verlohnen. Von meiner großen Zuneigung zu ihm hatte er keine Ahnung; sie galt dem Menschen, aber noch mehr dem Schriftsteller. Sein Buch "Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen" ist ein Prachtstück unserer märkischen Spezialliteratur.

Ich sprach eingangs noch von einer dritten gesellschaftlichen Vereinigung auf der Kreuzzeitung und nannte sie "politische Ressource". Diese dritte Vereinigung war, ich will nicht sagen die vorzüglichste, aber doch die wichtigste von den dreien und bildete recht eigentlich ein unterscheidendes Merkmal. "Cercle intime" und offizielle Festessen gab es in allerhand Schattierungen auch bei anderen Redaktionen, aber diese politische Ressource war ein Ding, das nur die Kreuzzeitung hatte. Die Gründung war wohl auf Hermann Wagener, den "Kreuzzeitungs-Wagener", zurückzuführen und verfolgte, wenn ich es richtig errate, den Zweck, in jedem Redaktionsmitgliede das Gefühl einer besonderen Zugehörigkeit zu wecken oder, wo es schon da war, es zu steigern. Keiner sollte sich als Lohnschreiber empfinden. Also Umwandlung des Hörigen in einen Freien. Wie bei den Versammlungen im Offizierskasino der jüngste Fähnrich in gesellschaftliche Gleichheit mit seinem Obersten kommt, so sollten in dieser politischen Ressource die Redakteure mit der gesamten Obersphäre Fühlung gewinnen. Es wurde nicht viel daraus, aber die bloße Tatsache, daß Personen da waren, die so was Hübsches im Auge hatten, ist einer dankbaren Erinnerung wert. Außer Wagener nahmen an diesen Réunions auch noch Graf Eberhard Stolberg, Geheimrat von Klützow, Geheimrat Dr. Ludwig Hahn und einige Geistliche teil, und ich gedenke dieser Zusammenkünfte mit einem ganz besonderen Vergnügen. Es war die Zeit, wo die Lassalleschen Ideen im Auswärtigen Amt (Bismarck) Terrain gewannen und wo Hermann Wagener dem Minister einträufelte, "die verhaßte Bourgeoisie durch die Sozialdemokratie zu bekämpfen". In einer mir unvergeßlichen Sitzung geriet er (Wagener) über diese Frage mit Geheimrat Ludwig Hahn in einen sehr hitzigen Disput, in dem er den kürzeren zog, weil er mit der Sprache nicht recht herausrücken und das Spiel nicht aufdecken konnte. Hahn war außerdem in dialektischer Spitzfindigkeit ihm mindestens ebenbürtig, wenn auch Wagener die weitaus genialere und politisch weiterblickende Natur war, eine Art Nebensonne zu Bismarck. Dispute der Art - auch mal über "englische und preußische Polizei", bei welcher Gelegenheit ich, zum Sprechen aufgefordert, als Enfant terrible debütierte (Klützow machte ein langes Gesicht, während Graf Eberhard und namentlich Wagener unbändig lachten) - Dispute der Art, sag´ ich, waren häufig, und es war ein Jammer, daß sich die ganze Herrlichkeit kaum einen Winter lang hielt. Es ging doch wohl nicht recht. Aber wie dem auch sein möge, der ganze Hergang ist mir immer ein Hauptargument, wenn es sich darum handelt, das konservativ-orthodoxe Element gegen unverdiente Beschuldigungen in Schutz zu nehmen[An verschiedenen Stellen in diesem Kapitel klingt es, als ob ich nach dem guten, alten "On revient toujours à ses premiers amours" operieren wollte. Das trifft indessen nicht zu. Meine politischen Anschauungen - allerdings zu allen Zeiten etwas wackliger Natur - haben sich meist mit dem Nationalliberalismus gedeckt, trotzdem ich zu demselben, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, niemals in rechte Beziehungen getreten bin. Also eigentlich nationalliberal. In meinen alten Tagen indes bin ich immer demokratischer geworden, ganz nach dem Vorbilde meines Lieblings "Isegrimm" in Willibald Alexis´ gleichnamigem herrlichen Roman, wohl das Beste, was er geschrieben. Aber wohin ich auch noch geschoben werden mag, ich werde immer zwischen politischen Anschauungen und menschlichen Sympathien zu unterscheiden wissen, und diese menschlichen Sympathien habe ich ganz ausgesprochen für den märkischen Junker. Die glänzenden Nummern unter ihnen - und ihrer sind nicht wenige - sind eben glänzend, und diese nicht lieben zu wollen, wäre Dummheit; aber auch die nicht glänzenden - und ihrer sind freilich noch mehrere - haben trotz Egoismus und Quitzowtum, oder auch vielleicht um beider willen, einen ganz eigentümlichen Charme, den herauszufühlen ich mich glücklich schätze. Die Rückschrittsprinzipien als solche sind sehr gegen meinen Geschmack, aber die zufälligen Träger dieser Prinzipien haben es mir doch nach wie vor angetan. Vielleicht weil ich - ich glaube manche gut zu kennen - an den Ernst dieser Rückschrittsprinzipien nicht recht glaube. Sie können eines Tages total umschlagen.].



Nach dieser weiten Abschweifung, in der ich mich ausschließlich mit dem Ton, der vor dreißig Jahren auf der Kreuzzeitung herrschte, beschäftigt habe, kehre ich zu meinem eigentlichen Thema zurück, zu George Hesekiel, der all die vorgeschilderten Dinge mit mir gemeinschaftlich durchlebte.

Daß er damals das "große Talent" der Zeitung war, sagte ich, glaub´ ich, schon - nicht das große politische, wohl aber das große journalistische Talent. Politiker war er gar nicht; er kultivierte statt dessen das Interessante, das Sensationelle, die Spannung, und wer was vom Zeitungsdienst versteht, weiß, daß das allerdings die Hauptsache bleibt. Die Partei wie die Redaktion wußten denn auch jederzeit, was sie an ihm hatten, aber sie wußten es nicht genug oder nicht jeden Augenblick oder wollten es nicht wissen, und das führte dann mitten in seinem Triumphzuge zu beständig sich einschiebenden Kränkungen und Niederlagen. Allerdings lag die Schuld, wenn von einer solchen überhaupt gesprochen werden kann, nicht bloß bei seinen gelegentlichen Angreifern oder Unterschätzern, sondern auch bei ihm selbst, weil er, wie so oft große Talente, mit dem, was von der anderen Seite her beim besten Willen geleistet werden konnte, nicht richtig rechnete.

Natürlich, wie jeder Eingeweihte weiß, ist unter dieser "anderen Seite" niemand anders als der Chefredakteur zu verstehen, mit dem das ihm unterstellte Personal regelmäßig unzufrieden ist, und Hesekiel war es redlich. Er sah überall Übelwollen, wo nur Zwang der Verhältnisse vorlag. Hätte der Chefredakteur die Romane seines "Romanciers" in fortlaufenden Beilagen zum Druck gebracht, so hätte sich Hesekiels äußere Lage mit einem Schlage glänzend verändert; aber das zu tun - wie´s von ihm gewünscht wurde - war eben ganz unmöglich: es hätte das das Konto der Zeitung nicht bloß zu hoch belastet, sondern auch die Leser aufsässig gemacht, die bald sehr wenig Lust gehabt haben würden, sich Nummer um Nummer immer neue märkische Geschichten auftischen zu lassen. In dies Sich-Abgelehnt-Sehen hatte sich, soweit seine Romane mitsprachen, Hesekiel schließlich denn auch gefunden. Aber da waren auch noch seine kleineren Dichtungen, seine Lieder, und um dieser willen kam der Unmut zum offenen Ausbruch. Gedichte, meist nur zwanzig Zeilen, und von Honorar keine Rede! Das war doch bloß eine Sache der Gefälligkeit, und auch hier eine Ablehnung erleben zu müssen, das war zuviel. So wenigstens dachte Hesekiel. Und mancher Draußenstehende, der das nachträglich liest, wird ebenso denken. Aber wer jene Tage von 1864 und 1866 - siebzig war es ebenso, aber da war ich schon fort - auf der Kreuzzeitung miterlebt hat, der weiß, in welch furchtbarer Lage sich der arme Chefredakteur andauernd befand. Zehn Gedichte in einer Stunde war für Hesekiel eine Kleinigkeit. Wozu Storm fünf Monate brauchte, dazu brauchte Hesekiel fünf Minuten. Ritt Prinz Friedrich Karl von Münchengrätz bis Gitschin, so hieß es "Der rote Prinz bei Gitschin"; ritt er von Gitschin nach Münchengrätz zurück, so hieß es "Der rote Prinz bei Münchengrätz". Jede kleine Notiz wurde sofort zum Gedicht, und all das am anderen Morgen als lyrischen Erguß zu bringen, was am Abend vorher Telegramm gewesen war, war unmöglich. Jeder sah dies ein, nur Hesekiel selbst nicht. Er überschätzte diesen Zweig seines Schaffens. Ich bin damals der aufrichtige Lobredner dieser "Neuen Lieder, gedruckt in diesem Jahr" gewesen und bin es noch; ich habe sogar in der bitteren Fehde "Hesekiel contra Scherenberg", aller Scherenberg-Verehrung unerachtet, konstant auf Hesekiels Seite gestanden, weil ich das echt Volksmäßige seiner Lieder wohl erkannte; aber wie das immer bei dem Volksliedmäßigen ist, neben einem Granat oder einem Karneol liegen hundert rote Glassplitter. So war es auch bei Hesekiel. Er verlangte zuviel und war durchaus im Unrecht, die Ablehnung dessen, was nun mal nicht ging, als Kränkung zu empfinden.

Dies alles spielte sich auf der Redaktion selber ab. Aber auch außerhalb derselben war er Kränkungen von Parteigenossen ausgesetzt. Über zwei dieser Vorkommnisse, die ganz besonders schwer an ihm zehrten, will ich berichten. Es war die Zeit, wo das Wagenersche Konversationslexikon geschrieben wurde, das bekanntlich den Zweck verfolgte, den liberalen Nachschlagebüchern gegenüber auch mal der konservativen Sache zu dienen. In Brockhaus und Meyer fehlte damals Hesekiel, weil er Kreuzzeitungs-Mann war, und dem Wagenerschen Lexikon lag es mithin selbstverständlich ob, dies zu begleichen und der preußisch-konservativen Welt von ihrem Lieblingsschriftsteller George Hesekiel nach Möglichkeit zu erzählen. Aber dieser Artikel blieb aus. Bruno Bauer, der über Wageners Kopf weg alles schrieb und nicht bloß Bauer hieß, sondern auch Bauer war - noch dazu Rixdorfer Bauer -, war nicht der Ehren, auch nur sieben Zeilen über den, all seiner Mängel unerachtet, unbestritten ersten und talentvollsten Romancier der Partei zum Druck zu geben. Hesekiel war ganz außer sich darüber. Was Bruno Bauer zu solcher Haltung bestimmte, weiß ich nicht. Könnte ich annehmen, er habe politisch oder moralisch oder literarisch eine, wenn auch irrige, so doch ehrliche Meinung dadurch ausdrücken wollen, so würde ich das respektieren. Daran ist aber gar nicht zu denken. Man muß diesen Mann gesehen haben, um zu wissen, daß dies ausgeschlossen ist. In hohen Schmierstiefeln und altem grauen Mantel, einen Wollschal um den Hals und eine niedergedrückte Schirmmütze auf dem Kopf, kam er, den Knotenstock in der Hand, jeden Sonnabend von Rixdorf hereingestapelt, um auf der Kreuzzeitungs-Druckerei Bestimmungen über seine Artikel zu treffen. Seine kleinen dunklen Augen, klug aber unfreundlich, beinah unheimlich, bohrten alles an, was ihm in den Weg kam. Eine grenzenlose Verachtung der durch uns repräsentierten kleinen Redaktionskrapüle sprach aus seinem ganzen Auftreten, und der korpulente Hesekiel mit blauem Frack und blanken Knöpfen war ihm wohl ganz besonders unbequem. Die Bauers waren sehr klug, aber wenig angenehm und hatten einen wirklichen und ehrlichen Respekt nur vorm "Arnheim" und dann und wann vor Rußland. Es ist ein Segen und großer Kulturfortschritt, daß diese ganze Menschenklasse weg ist.

Eine gleich große Kränkung, wie die vorstehend erzählte, wurde Hesekiel durch einen Mann zugefügt, der eigentlich an ihm hing und den Hesekiel seinerseits geradezu liebte. Das war ein alter Provinzialedelmann. Der sagte mal: "Ja, lieber Hesekiel, ich weiß, daß Sie´s ehrlich meinen. Aber Sie verfehlen´s. Sie wollen uns glorifizieren, und Sie ridikülisieren uns bloß." Unter allem, was ihm je gesagt worden ist, haben diese Worte wohl den größten Eindruck auf ihn gemacht; denn er war klug und unbefangen genug, das Wahre, das darin steckte, herauszufühlen.

Alles in allem wiederholte sich, trotz seiner vorwiegend großen Wohlgelittenheit in der Partei, auch bei ihm die alte Erscheinung wieder, daß man bei Draußenstehenden, ja bei direkten Antagonisten besser abschneidet als bei den Angehörigen. So kam es denn auch, daß er sich bei der gegnerischen Presse ganz besonderer Beliebtheit erfreute, weil er eine ausgesprochene Persönlichkeit, ein unterhaltlicher Lebemann und vor allem ein guter Kamerad war. Er hatte als Schriftsteller und Zeitungsschreiber ein starkes Standesbewußtsein, also gerade das, was uns in Deutschland noch so sehr fehlt und unsern Beruf so schwer schädigt. Auf diesen Punkt hin angesehen, war er, während er für einen "Feudalen" galt, moderner als mancher der Modernsten.

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