Die Brandenburger Literatouren sind mit freundlicher
Unterstützung der Landeshauptstadt Potsdam und des
Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur
des Landes Brandenburg in den Jahren 2008 und 2009 entstanden.

Lonny Neumann

Hermann Kasack in Potsdam

Peter Walther
3 Std. 12 Km Historischer Rundgang

Die Tour auf den Spuren Hermann Kasacks beginnt in der Hegelallee und endet am Schloss Charlottenhof im Park von Sanssouci

Lonny Neumann

»Hermann Kasack in Potsdam«

Fotos: Peter Walther

I.

Wieder sehe ich im Vorübergehen neben der Tür die kleine Tafel: „In der ehemaligen Kaiser- Wilhelm -Straße 13 lebte von 1928- 1945 der Schriftsteller Hermann Kasack (1896-1966).“

Wieder kreist ein kleiner Schwarm von Schwalben am Julihimmel. Sie unterbrechen ihren kreisenden Rundflug an der nahen Ecke am Dachfirst des Hauses wie in jenem Nachkriegssommer 1945. Als ich stehenbleibe, glaube ich die Stimme des Dichters, die ich von der Schallplatte kenne, aus dem Haus zu hören: „In diesen Tagen der Unbeständigkeit bin ich zum Pförtner unseres Hauses geworden. Zuweilen bilde ich mir ein, das Amt eines Wächters innezuhaben, der über den kleinen Umkreis hinaus auf den Lauf der Welt zu achten hat...“ Aber dies ist nicht mehr die Kaiser- Wilhelm Straße. In der Hegel-Allee sitzt im Haus Nummer 13 die Steuerberatungsgesellschaft Konzept mit Schwerpunkt für Angehörige der Heilberufe. Die Worte fallen in den brausenden Verkehr der belebten Straße. „Hören Sie, warten Sie doch“, möchte ich zu den Vorübereilenden sagen - sage es vielleicht auch, wenn ein zerstreuter Blick auf die Tafel fällt: „In diesem Haus hat ein Dichter gelebt.“

Hegelallee 13

Jalousien hindern meinen neugierigen Blick ins Innere des Hauses. Heute gehe ich nicht wie üblich weiter. Ich drücke auf die Klingel. Eine elegante Steuerberatungsangestellte öffnet und fragt mit befremdlichem Blick auf meine vom Wandern verstaubten Sandalen, wen ich sprechen möchte. Tapfer erwidere ich: „Es war mir eben, als hätte ich die Stimme des Dichters gehört, der hier einmal gelebt hat.“ Ich zeige auf das kleine Schild, nur schauen wolle ich.

„Ach“, sagt sie und kommt einen Schritt auf die oberste Stufe vor die Tür: „Das Schild? Darauf habe ich nie weiter geachtet. Der Tag reicht nicht für alles, was sein muss.“ Sie seufzt. „Hier ist eigentlich schon Feierabend, nur ich bin noch bei der Arbeit.“ Aber sie gibt die Tür frei: „Wenn Sie ihn gekannt haben?“

 „ Nicht persönlich“, sage ich und betrete verlegen die Büroräume mit Aktenordnern und Computern, schmale weiße - Abteile -  möchte ich eher sagen als Räume, und wende mich der Treppe ins obere Stockwerk zu, denn dort hat Hermann Kasack mit seiner Familie gelebt und geschrieben, nachdem der Vater es von der Witwe Hinnerk gekauft hatte und mit der Frau das Erdgeschoss bewohnte.

Aber ich höre: „Dahin können Sie jetzt nicht mehr.“

Wie schade. Ich gelange nicht auf diesen Balkon, der „eines großen Schiffes würdig, das auf einer Fahrt im Meer der Luft hinzutreiben scheint“ und auf dem der Dichter „in einer seltenen Stundeninsel den Wegen nachsann, die der Flug der Schwalben in die Luft schnitt.“ Auch jener Text Hölderlins kam ihm in den Sinn, den er als Student aus der schwer lesbaren Handschrift transkribierte: „Es rauschet  so um der Thürme Kronen / Sanfter Schwalben Geschrei.“ Das war, als der umtriebige Verleger Kiepenheuer auf ihn aufmerksam geworden war. ...

„Hier aber, in diesem, Haus hat Kasack 1942 begonnen, seinen berühmten Roman „Die Stadt hinter dem Strom“ zu schreiben. Noch waren die Städte unzerstört, als der Dichter, seiner „Vision einer gespenstischen Ruinenstadt“ folgend, beschrieb, wie sie „sich ins Unendliche verlor und die Menschen sich wie Scharen von gespenstischen Puppen bewegten.“ Und er schickte den Archivar Lindhoff auf Sinnsuche durch das Totenreich, ausgestattet mit der eigenen inneren Biografie. Doch als die Wirklichkeit den Autor einholte und 900 Bomber im April jenes letzten Kriegsjahres einen brennenden Teppich über der Stadt ausbreiteten - er reichte bis in die Nähe dieses Hauses - hinderte das Entsetzen den Autor, weiterzuschreiben. Und er notierte in seinen „Tage- und Nachtblättern - Dreizehn Wochen“ die persönlichen Erlebnisse in dieser Stadt und in diesem Haus  bei der Besetzung durch die Rote Armee nach Kriegsende, darum bemüht, sie für Dritte festzuhalten...“ So suche ich der Frau zu erklären, welche Bewandtnis es mit diesem Haus und dem Mann darin hat, und berichte auch noch von der Schlüsselszene aus dem Sommer 1945, wie Kasack und seine Frau, drüben auf dem Streifen, dem Haus gegenüber, vors MG und leere Grab gestellt, schon nahe an die Pforten jener Stadt der Toten gekommen waren.

„Aber ich lese nie“, unterbricht mich die Frau, „einfach keine Zeit... mein Mann hat im Urlaub ein Buch über ein Land, in dem Krieg ist, gelesen. Nur: das schreibt heute einer so, und die Nächsten sehen es wieder anders...“

„Aber der hier lebte, hat ja gerade vor dem Zeitgeist gewarnt und hat sich nicht umfälschen lassen wollen“, sage ich - ein wenig ungeschickt - so gebe ich zu, und entschuldige mich für mein Eindringen.

Zweifel kommen mir: Wird es möglich sein, des Dichters „behutsame Aufmerksamkeit auf das Gedeihen der Dinge der Welt“ in die Gegenwart zu holen?

Alter Markt








Straßenkreuzung Acht Ecken
Ehemaliges Victoria-, heute Helmholtz-Gymnasium













Französische Kirche
Kirche Peter und Paul

II.

Und wenn jemand von den Vorübergehenden nun doch fragt: „Hermann Kasack - wer ist das gewesen?“ sage ich: „Kommen Sie! Auf einen halben Tag! Sehen Sie! Falls Sie mit dem Zug kommen, unternehmen wir den Weg vom Bahnhof aus. Bringen Sie getrost Ihr Fahrrad mit. Auch unser Dichter, Verleger, Herausgeber - verlässlicher Freund - war darauf angewiesen, auf `das alte dünne Fahrrad´, das er über den Krieg rettete. Suchen wir uns seiner in der Stadt nach seinem „Rückblick auf mein Leben“ zu erinnern. Ruhig und voller Zuneigung zeichnete er das Bild der Stadt, in der er geboren wurde, länger als ein halbes Jahrhundert darin lebte  und zweimal verfemt war.

 Wir kommen vom Bahnhof her über die Lange Brücke: „In den weiten Raum des Himmels, der sich in der wolkenlosen Majestät seiner tiefen Bläue über der Stadt erhob, ragten die Kuppeln und Türme der Kirche.“ Schon hier sind wir an italienische Stadtbilder erinnert, auch wenn sich seit jener Bombennacht die Kuppellandschaft verändert hat. Wo einst „der großzügige Bau des Stadtschlosses die Mitte“ bestimmte, überqueren wir die Straße, um uns an der Ecke der schmalen Schwerdtfegergasse beim Haus mit der charakteristischen konkaven Eckausbildung einer Anzeige in der „Potsdamer Tageszeitung“, die der Volksmund „Potsdamer Tante“ nannte, zu erinnern. Ihr war zu entnehmen, dass Dr. med. Richard Kasack, praktischer Arzt und Geburtshelfer, niedergelassen in der Schwerdtfegergasse10, und seiner Frau Elsbeth, geborne Huguenuel, am 24. Juli 1896 der Sohn Hermann Robert Richard Eugen geboren wurde. Leider ist dieses Haus hier nicht die Nummer 10, nur der Rest der einst berühmten Straßenkreuzung Acht Ecken, von Carl Friedrich Gontard, dem Quattro Fontane in Rom nachempfunden. Die Eltern Kasack kamen aus angesehenen Familien, die Geschichte der Vorfahren reicht weit zurück. Die Mutter entstammte einer Hugenottenfamilie, die 1690 nach Potsdam gekommen war. Des Vaters Vorfahren lassen sich in der Uckermark finden, dem Namen Kasack nach, dem Slowenischen entstammend. Erst der Großvater war aus der kleinen Stadt Strasburg, aus der auch ich einst zum Studium nach Potsdam kam, hierhergezogen.

Die junge Familie, in der Hermann das einzige Kind blieb, zog bald in eine größere Wohnung am Kanal 15, in deren Räumen mehr als hundert Jahre zuvor der Musiker Joachim Quantz, der Flötenlehrer Friedrich II., wohnte. Ein kurzer Weg bis dorthin, den der Junge mit dem Handwagen, beladen mit seinem Spielzeug, zurücklegen durfte und wohl deshalb die früheste Erinnerung des knapp Fünfjährigen blieb. Ich vermute, es ging über den Kanal, vorüber am damaligen Wilhelmplatz, dem heutigen Platz der Einheit. Aus dem Fenster seines Zimmers blickte der Junge auf den Innenhof der im wilhelminischen Prunkstil errichteten Hauptpost in den „langgestreckten Hof mit den Ställen für die Postpferde und die Quartiere der Postillione. Früh auf dem Posthorn blasend, fuhren sie mit den gelben Paketwagen davon.“ Die Bilder dieser Kindheit - auch der Halley´sche Komet, die ersten Straßenbahnen, das letzte Zollhaus - nährten die Phantasie des Kindes und mischten sich mit den Erzählungen der Mutter, die sie den Balladen Schillers entlehnte, denn in der väterlichen Bibliothek gab es nur wissenschaftliche Bücher. Es klingt nach einem Bedauern, wenn wir im „Rückblick“ lesen: „Ich wuchs ohne die Wörter auf.“ Lesehungrig wie er war, würde der Junge alles nachholen. Der Weg ins Gymnasium ist kurz.

Nach unserem raschen Blick auf die leer gebliebene, verkommen anmutende Fläche, auf der einst das Vaterhaus stand, folgen wir ihm durch die angrenzende Posthofstraße in das einstige humanistische Victoria -, das heutige Helmholtz-Gymnasium in der Kurfürstenstraße. Der imposante Backsteinbau, den schon der Vater besuchte und den sein Sohn Wolfgang besuchen würde, ist erhalten. Hier konnte Hermann, außer, dass er einen Schachklub gründete, seinem Interesse für moderne Literatur nachgehen. Hauptmann und George interessierten ihn mehr als Grillparzer und das heimische Theater, „ Dem Vergnügen der Einwohner“ gewidmet. Seine Leseneigung verband ihn mit dem drei Jahre älteren Edlef Köppen, der den neugewonnenen Freund mit in den Kreis brachte, in dem Kasack seine Gedichtversuche und Teile seines ersten Dramas Leben  las, darin der Vater-Sohn- Sohnkonflikt eines Sechzehnjährigen.



Wir wollen schnurstracks das Holländische Viertel durchqueren, um geradewegs an dieses Haus zu gelangen. Auf dem Schulweg des Gymnasiasten wollen wir die Französische Kirche nicht übersehen, für die Knobelsdorff den Entwurf lieferte, nach dem Boumann den kleinen querovalen Flachkuppelbau ausführte, im Umriss dem römischen Pantheon nachempfunden. Wir eilen nicht vorüber, sondern bewundern im Innern amphitheatralisch ansteigende Bankreihen und den toskanischen Säulenportikus. Jeden Morgen konnte sich der Gymnasiast Kasack an die auf Urlaubsreisen mit den Eltern gewonnen Eindrücke erinnern. Gut möglich, dass er auch deshalb an jenem Juliabend nach Kriegsende Italien sein „Sehnsuchtsland“ nennen wird und die dort bestaunten Mosaiken ihm das Muster für die „Dreizehn Wochen“ lieferten... Die Kirche Peter und Paul, manch einer erinnert sich, das Urbild in Verona, ein wenig außerhalb, gesehen zu haben, nehmen wir uns für kommende Besuche vor.

Als sich der junge Kasack, seine Englischkenntnisse vertiefend, in einer Familie in England aufhielt, ereilte ihn die Nachricht vom bevorstehenden Kriegsausbruch. Mit dem letzten Schiff, das deutsche Passagiere beförderte, verließ er am 2. August Dover. Weniger aus Kriegsbegeisterung, eher weil er die Schule leid war, legte Kasack einen Tag später als Kriegsfreiwilliger das Notabitur ab. Der damit übernommenen Pflicht musste er wegen eines Herzfehlers nicht lange nachkommen, er leistete zivilen Hilfsdienst und unterbrach deshalb seine Studien der Germanistik und Philosophie in Berlin und München

Menzelstrasse

III.

Mit scharfsichtigem Urteil über die gescheiterten Novemberrevolution und, erschüttert von der Ermordung Landauers, kehrte er, auch schon bekannt geworden als expressionistischer Dichter, nach Potsdam zurück, denn  Kiepenheuer holte den jungen Mann, auf den er in München aufmerksam geworden war, als Lektor in seinen aufstrebenden Verlag, mit dem er eben aus Weimar nach Potsdam umzog. Für Kasack hieß das:  Statt der Dissertation über Hölderlin nun die erste Herausgabe der Hymnen und bald danach die Mitherausgabe der dreibändigen Hölderlinausgabe.

Doch zuvor, im Sommer nach dem  Studium, heiratete  Hermann Kasack Maria Fellenberg, die er seit sieben Jahren kannte. Die Wohnungsnot war groß, und ein Notbehelf in Kohlhasenbrück - vergessen, wo - diente nur einen Augenblick.

Wir sind die Kurfürstenstraße zu Ende gegangen und weiter - gegenüber der Gotischen Bibliothek - am Heiligen See entlang, vorüber an alten und neuen Prachtvillen am Seeufer, bis zuletzt die Menzelstraße, die frühere Wörtherstraße, von der Seestraße abbiegt. Es ist jene idyllische Gegend zwischen Jungfernsee und Glienicker Brücke, die uns lange von der Mauer verstellt war.

Das junge Paar zog in die Nummer 3 - ins Souterrain der Villa von Baronin Heimburg, wo dem jungen Paar und seinen Gästen der „Eingang durch den Keller“ zugestanden wurde.

Wir wollen uns dennoch von den beschriebenen Wegen betören lassen, „von sommerlichen Spätnachmittagen mit dem Rad den nahen Uferweg über Moorlake zur Pfaueninsel, oft einhaltend, um den Blick an dem starken Licht des Abends zu sättigen: ohne zu wissen, waren wir ein Teil der Natur...“

Und gern wählen wir für später, für einen anderen Tag, einen der vom Dichter im Rückblick beschriebenen Ausflüge aus, „die herbe Schwermut und die sich öffnende Heiterkeit der märkischen Landschaft: die Baumblüte in Caputh und Werder, Schloss Paretz und die Gewitterschwüle über dem Schwielow-See“  zu erfahren.

Kasack aber radelte damals Morgen für Morgen eine halbe Stunde durch die Berliner Straße, die damals Königsallee hieß und die Reichsstraße 1 war, die aus Königsberg kommend durch Berlin und Potsdam führte. Und, wenn wir ihm folgen, ob mit dem Rad oder Straßenbahn, sehen wir das einstige Mühlenviertel wie schon zu seiner Zeit von Kasernen und von Villen geprägt. Die Radfahrer biegen wie Kasack aus der Zeppelinstraße auf die Geschwister-Scholl-Straße ab, während wir in der Straßenbahn, am Platz der Einheit umsteigen in die Linie zum Schloss Charlottenhof und bis zur Endhaltestelle fahren. Nach wenigen Schritten stehen wir verwundert vor der angegrauten, sonst aber unauffälligen kleinen Villa in der Geschwister - Scholl- Straße 39, nun von mehreren Familien bis unters Dach bewohnt. An Kiepenheuer, der hier „ausgezeichnete Bücher produzierte, ohne sich von Verlusten abschrecken zu lassen und kein Risiko scheute, weil er an die revolutionierende Wirkung des Wortes glaubte“, erinnert sich niemand. Hier gelangten die Manuskripte des noch unbekannten Dichters Brecht in Kasacks Hand, und wir wähnen die bekannt gewordene Stimme Brechts aus einem der Fenster zu hören, wie er mit jenem „unverfälschlichen süddeutschen Dialekt, mit seiner dünnen, hellen Stimme seine Balladen und Songs sang.“

Kasack oblag es bald kurioserweise, das durch Inflation und die Zahlung großzügiger Vorschüsse an Autoren ständig überforderte Unternehmen durch die wirtschaftlichen Fährnisse zu führen. „Ich machte mich mit der Buchhaltung vertraut und lernte, Bilanzen zu frisieren.“ Als ich dies las, vermutete ich, dass hier vielleicht ererbte Gene vom Großvater aus der Uckermark wirkten, der als kleiner Beamter am Rechnungshof begann und mit dem Titel Rechnungsrat verabschiedet wurde.

Hermann Kasack schied nach fünf Jahren aus dem Verlag.

Noch im Souterrain der Wörthstraße gediehen des Dichters Pläne, den eben aufkommenden Rundfunk für den Hörfunk nutzbar zu machen. 1925  gab es die erste Lyriksendung zeitgenössischer Autoren in der Berliner Funkstunde. Gedeihlich entwickelte sich die Zusammenarbeit für den Funk mit Günter Eich, auch mit Edlef Köppen.

Paradiesgarten








Stibadium

IV.

Wir verlassen das Kapitel, indem wir durch den der Geschwister-Scholl-Straße 39 direkt gegenüberliegenden Eingang zum Park von Sanssouci betreten, der für Hermann Kasack wohl immer der „Begriff der Heimat“ blieb, die „Römischen Bäder im Südengefühl“ wahrnimmt.

Wir gehen durch die Hauptallee, vorüber an der Friedenskirche mit dem frei stehenden Campanile, um vorerst den Park zu verlassen. Über die Kreuzung hinter dem Obelisk, dann sind es nur noch ein paar Schritte in die Hegelallee. Als Hermann Kasack mit Frau Maria und der Tochter Renate 1928 in das obere Stockwerk des Hauses in der Kaiser-Wilhelm-Straße zog, konnte er sich auf regelmäßige Einnahmen aus dem Rundfunk stützen.

Würde die Zahl 13, von Kasack immer als magisch begriffen, Glück bedeuten? Der Sohn Wolfgang wurde geboren, aber kurz vor und kurz nach dem Umzug starben seine Freunde: Przygode und Gramatté, und gemeinsam mit seinem Freund Oskar Loerke erkannte er schon früh die heraufziehende Gefahr, die den „Geist Europas um ein Jahrhundert zurückwerfen wird“, so lesen wir im Tagebuch vom 24. September 1930. Und bald, im Januar 1933, erreichte ihn die Nachricht, dass sein „Name im Rundfunk nicht mehr tragbar“ sei. An die hundert Sendungen hatte Kasack bis dahin gestaltet. Nun verlor er die einzige feste Verdienstmöglichkeit. Von nun an fühlte er sich in diesem Haus im „Katakombendasein des geistig Verbannten.“

Die "Machtergreifung" sah er als Signal für den Zweiten Weltkrieg. „Armer Staat Deutschland - reiches Volk Deutschland“, so klagte er, und glaubte sich an die Stimmung vom August 1914 erinnert.

„Wie ich innerlich in dieser Situation arbeiten soll, ist unerfindlich.“

Aber Kasack sammelte seine innere Energie, um zur Selbstbehauptung zu finden. Sie ließ ihn jene geistige Gegenwelt entwerfen, „eine Burg des gedachten, geschriebenen Wortes um mich errichten... Einziger Weg: die Zeit zu negieren und sich in dichterisch - eigene Arbeiten zu verspinnen!“

      Er konnte jedoch nur in seiner Haltung bestehen, weil seine Frau Maria die Praxis als staatlich geprüfte Masseurin erweiterte. So war er um des Gelderwerbes Willen zu keinem Kompromiss gezwungen, wenn seine Arbeit nach außen auch ohne Wirkung bleiben musste.

Wie aber lässt sich leben? Wichtiges Lebenselement blieb die Freundschaft, die tiefe geistige Übereinstimmung mit Oskar Loerke, dem Dichter und Lektor bei Suhrkamp. Kasack hatte ihm, der verehrten dichterischen Instanz, die den jungen Dichter ermutigt hatte, sein 1924 erfolgreich aufgeführtes Stück „Vincent" gewidmet, darin Loerkes Auffassung vom Amt des Dichters: „Ich setze mit dem Bild mein Leben aufs Spiel.“ Sie war auch die eigene geworden. Im wechselseitigen Verstehen der Gedichte des andern, bei der gemeinsamen kritischen Arbeit an Versen, vertiefte sich die Freundschaft, die auch beider Familien einschloss.

Einen Augenblick, der Geschichte dieser Freundschaft, nachsinnend, kehren wir in den Park zurück und gehen wie die Freunde einst in den Paradiesgarten, jene italienisch anmutende Enklave im Botanischen Garten. Gingkobäume, Mosaiken im Fußboden, das Stibadium selbst, waren Raum für Gespräche, oft genug Werkstattgespräche für Loerkes „Silberdistelwald“ und Kasacks „Das ewige Dasein.“

Aber Kasack vermochte nicht, den Freund aus seinem lähmenden, verzehrenden Zorn zu lösen. Das Gespräch zwischen ihnen endete mit dem viel zu frühen Tod Loerkes am 24.2.1941.

Loerkes feierliche Anklage gegen die Nazis, sein „Andenken nicht besudeln zu lassen“, nahm Kasack als Vermächtnis wie sein eigenes auch in sein Tagebuch „Dreizehn Wochen“ auf, „dass nicht gegenüber den vielen, die seinerzeit aus Deutschland emigrierten, alle, die hier geblieben sind, über einen Kamm geschoren“ würden, ...denn „den Emigranten nach außen entsprechen die Emigranten im Innern.“

Schweren Herzens gab Kasack nach Loerkes Tod dem Drängen Suhrkamps nach, an dessen Stelle als Lektor in den Verlag einzutreten und diesen nach Suhrkamps Verhaftung 1944 , der Verabredung folgend, „auf Gedeih und Verderb“ unter einem vom Propagandaminister eingesetzten Verlagsleiter den Verlag zu retten. Und es gelang...

Römische Bäder im Park von Sanssouci
Öffnungszeiten: Mai bis Oktober
Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr
Montag geschlossen
Letzter Einlass jeweils 30 Minuten vor Schließzeit
Bitte beachten Sie die Sonderregelungen zu den Feiertagen
Preise: 3 Euro | ermäßigt 2,50 Euro

Schloß Charlottenhof im Park von Sanssouci
Öffnungszeiten:
Ostern: 10–18 Uhr

Mai bis Oktober
Dienstag bis Sonntag, 10–18 Uhr
Montag geschlossen
Besichtigung nur mit Führung

Letzter Einlass jeweils 30 Minuten vor Schließzeit
Bitte beachten Sie die Sonderregelungen zu den Feiertagen
Preise: 4 Euro | ermäßigt 3 Euro | nur mit Führung

Kombiticket Charlottenhof | Römische Bäder
5 Euro | ermäßigt 4 Euro
Telefon: 0331.96 94-228

V.

Aber im Sommer 45 musste auch Hermann Kasack mit seiner Familie das Haus über Nacht verlassen. Ohne, dass wir noch einmal in die Hegelallee zurückzukehren, durchqueren wir vom Paradiesgarten aus den Park, um Hermann-Kasack in die Sigismundstraße, wiederum ist es die 13, zu folgen, in der Familie Rohde eine Bleibe bot. Über die kleine Holzbrücke, nahe dem Schlösschen Charlottenhof und den Römischen Bädern, gelangen wir zum schönen Eckhaus in der heutigen Hans-Sachs-Straße. Aus einem der oberen Fenster blickte der Dichter in „den sonnengesättigten Park“ und nahm am 13. September mit dem Kapitel 13 die Arbeit am Roman wieder auf. Nehmen wir das Buch nun zur Hand, lesen wir es wie eine übergangslose Fortsetzung des Tagebuches, darin der Archivar mit dem „Sack Asche auf den Schultern“, die der Autor eben noch, beim realen Weg durch die Stadt zu tragen meinte. Welchen Sinn aber hat der Dichter aus der Totenstadt für uns geborgen? Lest nach, wie er die Toten über die Lebenden richten lässt. ... Dem  Archivar gestattet er die Rückkehr ins Leben, wo erst  „auf der Seite der Ungeborenen die alten Gestirne neu entstehen, sichtbar als einzelne Punkte am Rande des irdischen Daseins.“

Noch aus diesem Haus in der Hans-Sachs-Straße, als sich das Leben allmählich beruhigte, unternahm es Hermann Kasack, Kontakte zu den aus dem Krieg und der Emigration Heimgekehrten zu knüpfen. Mit dem „dünnen, alten Fahrrad,“ das zum Glück gerettet wurde, oder auf Fußmärschen in den Verlag nach Berlin, der als Erster die Lizenz zur Weiterarbeit bekam, suchte er am Aufbau eines neuen geistigen Lebens in dem vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland mitzuwirken, gleichzeitig in Ost und West tätig, bemüht, die geistige Einheit der Deutschen zu fördern. Sein Werk, gefeiert von den einen, als dekadent von anderen abgelehnt, blieb im Osten unbekannt. Im Tagebuch zum Ende des Jahres 48 hin notierte er, wie ihn die Polaritäten innerhalb Berlins bedrückten, und weiter im „Rückblick: Als sowjetische Funktionäre suchten, mich im Januar 1949 zu Spitzeldiensten zu verpflichteten, war es das letzte Zeichen, die Zone endgültig zu verlassen.“

Als Anreger und Förderer neuer Literatur, immer „das Bleibende geistiger Existenz“ verteidigend, starb er im Januar 1966, vielfach geehrt, auch als Präsident und Ehrenpräsident der Akademie für deutsche Dichtkunst.

Wer es nun eilig hat, kann den Ort mit der R1 vom Bahnhof Charlottenhof  stündlich bis weit nach Mitternacht verlassen. Das Schlösschen Charlottenhof aber, vom jungen  Schinkel Italienischem nachempfunden, bleibt erlebenswert.