Die Entstehung der Rubrik sowie die Berliner Literatouren wurden 2008 ermöglicht durch die Berliner Landesinitiative »Projekt Zukunft« kofinanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Andreas Gläser

Heraus aus dem Blümchenbezirk!

Tobias Bohm
ca 2.h ca 5,8 km

Im Karree um die Dimitroff Straße und Leninallee, nein, natürlich: Danziger Straße und Landsberger Allee kann man hier ganz unaufgeregt und nüchtern so einiges sportlich Angehauchtes entdecken. Sport frei!

Andreas Gläser

»Heraus aus dem Blümchenbezirk!«

Fotos: Tobias Bohm



Lassen Sie uns meine Literatour sportlich und volksnah angehen, durch einige unangesagte Winkel im Nordosten Berlins: Joggen am Arnswalder Platz, vorbei am Sport- und Erholungszentrum, über das Wettbüro „Goldesel“  zum Sportforum Hohenschönhausen.

An der Danziger Straße

Prenzlauer Berg im Bötzowviertel

Anfahrt: Straßenbahn, Arnswalder Platz, M 20

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Arnswalder Platz
 
Schön, wenn man sich an manchem Morgen den nötigen Tagesschwung holt, indem man kurzerhand aus dem Bett stürzt und auf dem denkmalgeschützten Arnswalder Platz landet, dem kleinen Park im Bötzowviertel, der an der Danziger Straße, einer Hauptverkehrsader des Prenzlauer Bergs liegt. Man erhebt sich aus dem satten Grün, wo die Vögel seit einigen Stunden zwitschern, dreht seine Runden und schwitzt an den Frühaufstehern auf vier und zwei Beinen vorbei. Der Arnswalder Platz bleibt in der Regel von Invasionen verschont, weil er unweit des großen Volksparks Friedrichshain liegt, der die Event-Hopper aus den anliegenden Bezirken locker schluckt. Also schnell zum Bäcker, der diverse politische Systeme überlebt hat, dreißig Ost-Schrippen geholt, die für manch Zugezogenen "DDR-Brötchen" heißen.

Der Fortbestand des architektonischen Zentrums des Arnswalder Platzes, des purpurfarbenen Stierbrunnens, auch Brunnen der Fruchtbarkeit genannt, schien lange ungewiss. Bis 2009 soll er laut der verräterischen Baustellenbeschilderung rekonstruiert worden sein. Ich glaubte lange nicht daran, denn seitdem ich hier lebe, plätscherte niemals Wasser im Brunnen, vom gelegentlichen Regen einmal abgesehen. Der Bauzaun rührte sich nur, wenn die Kinder daran rüttelten, nie weil sich die Bauarbeiter daran machten, das Gestein aufzumotzen. Mit der Einführung der Deutschmark wurde hier der Hahn abgedreht. Schade, denn trotz aller Zerfallsromantik kämen die steinernen Stiere umso sehenswerter rüber, je vollendeter sie rekonstruiert werden würden. Die Erfurcht gebietenden Regungslosen, rund um das 8 Meter breite Becken gruppiert, lugen aus ihrem notdürftigen Gehege. Zur allgemeinen Überraschung werkeln neuerdings einige Arbeiter herum. Es geht voran.

Dieses Altberliner Karree ist eine nette Wohngegend, zentral und ruhig –  zu ruhig. Es gibt keine brauchbare Kulturkneipe, und das im Bezirk, der zu den Hochburgen der Gastronomie zählt. Öffentlicher Drogenkonsum wird hauptsächlich vor der Kaufhalle zelebriert, deren Vorplatz
gerne von den Anhängern des Alkoholismus frequentiert wird. Früher hatten sie hier solche Kneipen wie das „Pasteurstübchen“ und das „Esmarcheck“ unter ihren Fittichen, heute schätzen sie sich glücklich, in der schattigen Ecke geduldet zu werden. Zeitgenossen aus alten Tagen. Unter ihnen ein ehemaliger Fußballer, der seine große Zeit beim sechsmaligen Fußballmeister hatte, dem Armeesportklub „Vorwärts Berlin“, damals in den 60ern, am anderen Ende des Prenzlauer Bergs, im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Selbst wenn man ihn löchert, hält er sich bedeckt. Zu lange her, wie ein anderes Leben.

In der angrenzenden Hans-Otto-Straße trifft man auf Menschen, die so aussehen wie die Straße heißt. Unser Türken-Imbiss nennt sich "Max und Moritz". Ein unbekannter Überbezahlter hat es im Fernsehen verraten: "Die Integration funktioniert, wenn man sich anpasst!" "Max und Moritz" bietet hölzerne Tische und gepolsterte Stühle zum draußen sitzen, keine unstabilen Plastikteile, samt denen man in die Notdurftrückstände der Vierbeiner zu kippen droht. Der Reis ist heiß, die Gäste sind für den Frieden. Nach dem Joggen um den Arnswalder Platz darf man nach Hause schlendern und unter die Dusche straucheln. So lässt sich der Tag gut beginnen; erst das Familienfrühstück, später etwas Kinderfernsehen. Eine Tasse Kaffee am Küchentisch, eine zweite am Schreibpult. Und wenn alles einigermaßen verdaut wurde, sollten so viele Liegestütze und Streckübungen absolviert werden wie man an Jahren zählt, um fit und fertig für die Tour durch die Knautschzone der wundervollen Nachbarbezirke Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen zu sein. Meinetwegen auch Groß-Pankow und Hohenschönhausen-Lichtenberg, doch wer spricht so?

Ich verbinde mit vielen Ecken und Kanten dieser Bezirkszipfel meinen Blues, deshalb soll es die Danziger Straße entlang gehen, die ehemalige Dimitroff oder vor meiner Zeit auch Communikationsweg. Jedenfalls eine allzeit stinkende Hauptstraße. Vorbei am Volkspark Friedrichshain, der vielen jungen Kreativen allnächtlich als Müllhalde dient. Trotzdem ist die Danziger immer noch grüner als meine Kaufhallenstraße, die nördlich parallel verlaufende Conrad-Blenkle, die in der LKW-Fahrer-Szene als Schleichweg gilt. Dort lebt der Arbeiteradel der 50er Jahre. Prima Pflaster für proletarische Flaneure, samt Kirche mit benachbartem Pfarrhaus, deren Pforte es zu durchschreiten gilt, wenn man sich seinen Zettel absegnen lassen möchte, der zur Befreiung von den Kosten der Gebühreneinzugszentrale berechtigt. Die geistlichen Nachbarn haben sich für derartige "amtliche Bestätigungen" herzugeben. Fast wie zu DDR-Zeiten, als es für die Leute, die gewillt waren von Ost- nach Westberlin überzusiedeln, darum ging, bei diversen Ämtern die Bestätigungen zu sammeln, wonach sie bei eben jenen schuldenfrei seien; zum Beispiel beim Amt für Landwirtschaft, einer von Hauptstädtern vermeintlich stark frequentierten Einrichtung.

Wenn man die Uhr ungefähr eine Stunde vor der Mittagssuppe ticken hört, hat man den Sonntagsgottesdienst verpasst. Wieder kein himmlischer Beistand in der Fußballtipp-Frage. Egal. Als Sonntagskind  sollte man sein Leben weitestgehend im Griff haben und sich die gute Laune
nicht durch die Unwägbarkeiten des Glücksspiels verderben lassen.

Danziger Straße / Landsberger Allee

Anfahrt: M 5, 6, 8, 15, 20, 27

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SEZ

10 Minuten entfernt

Vom Arnswalder Platz bis zur nächsten Kreuzung, Danziger Straße/Landsberger Allee, ist es ein kurzer Fußweg. Hier grenzt der Prenzlauer Berg an den Friedrichhain, hier wurde vor über einem Vierteljahrhundert das Sport- und Erholungszentrum erbaut, das SEZ, das sich auf Subventionsdeutsch inzwischen Erlebniscenter nennt. Bis 1979 zerfiel hier ein Altbau vor sich hin, die Sprengung stellte für viele Nachkriegsgeborene ein Schauspiel dar, es wurde sogar in unserer „BZ am Abend“ angekündigt, dem heutigen Kurier. Das SEZ entstand mit der Unterstützung schwedischer Truppen, sie bescherten uns eine republikweite Attraktion mit Wellenbad, Bowlingbahnen und Bodybuilding-Käfig. Das SEZ war so was wie der „Palast der Republik“ der Badehosen- und Bodybuilding-Fraktion. 1981 wurde es feierlich von Erich Honecker eröffnet. Man durfte der DDR eine Chance geben und sich einbilden, dass es solch ein Bauwerk im ummauerten Teil Berlins in jedem Bezirk gäbe. Auf den wahren Trichter kam man ja erst Jahre später, als man die stark beworbene Badeanstalt im Südwesten Berlins besuchte, die dann aber eher einem riesigen Eiscafe mit Kinderplanschbecken glich.

Unser schönes SEZ zerbröselte nach der Wende mehr und mehr. Zuerst musste die Eisbahn daran glauben, dann das Wellenbad. Das riesige orange-violette Gebäude ging vor einigen Jahren an den Fond für Liegenschaften über, was sich nach Rettung anhörte. Aber der Laden blieb weitestgehend ungenutzt und er ist es noch heute zu zwei Dritteln seiner Betriebsfläche. Auf einem Eingangsschild des SEZ hieß die angrenzende Danziger noch lange nach der Wende Dimitroffstraße. Vielleicht heißt die Straße, wenn das Gebäude zerfallen sein wird, wieder Communikationsweg. Bis auf weiteres lockt die Werbung mit Ballsport, Bowling und Sauna. Vom SEZ ist es in Richtung Westen nur ein Katzensprung zum heiß gehandelten Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Wir begeben uns jedoch nach Norden, in Richtung Hohenschönhausen-Lichtenberg.

Goldesel

Landsberger Allee 97
10407 Berlin

030-4212759
Geöffnet: Montag bis Freitag 13 bis 22 Uhr
Sonnabend und Sonntag 12 bis 19 Uhr
Anfahrt: M 5, 6, 8, 15, 27

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Goldesel

5 Minuten entfernt

Die vierspurige Landsberger Allee, die von Mitte über Friedrichshain und Hohenschönhausen bis nach Marzahn führt, war, egal unter welchem Namen, nie und nirgends ein Schnöselprospekt, schon gar nicht während der Jahrzehnte, als sie den Namen Lenins verliehen bekommen hatte. Schon am SEZ versprüht sie richtungweisenden Neubauten-Charme. Nach 5 Minuten Fußweg gilt es, sich den dritten Kaffee des Tages im ersten ostdeutschen Wettcafe der Nachwendezeit zu gönnen, im „Goldesel“, an der Ecke zur verschlafen wirkenden Conrad-Blenkle-Straße. Mehr als das bisschen Kaffeekohle muss man nicht hier lassen, nur den Hunden und Pferden zugucken, bloß keinen Tipp auf irgendwelche Beine oder Bälle abgeben. Zu Hause am Rechner ist es
gemütlicher, wenn die kleinen und großen Fußballligen aller Länder abgescannt werden müssen.

1990 bekam der Betreiber des "Goldesel" als einer von zwei wirklichen Gewinnern die Lizenz zum Zocken, neben den Glaubensbrüdern von "Sportwetten Gera." Die Thüringer Kollegen führten lange den heimischen Markt an, zumindest zur Zeit als das Internet aufkam und es um die Abwicklung weltweiter Wetten ging. Im "Goldesel" versprühte man weitestgehend das Flair
einer Rennbahn, obwohl die Gäule nur über die Bildschirme trabten und galoppierten. Topfpflanzen und Fadengardinen. Internationales Publikum.

Ich habe es nicht so mit den Systemen für die Hunde und Pferde. Sieg, Platz und so weiter. So weit, so klar, aber wo steht die jeweilige Nummer des Austragungsortes und die Nummer des Rennens? An einem der Bildschirme ringsum? Ich bin als derart Begriffsstutziger in guter Gesellschaft, denn einst pikierte sich auch Charles Bukowski in „Die Ochsentour“ über die Wettsysteme in Deutschland. Wetten und gewinnen heißt es. Spaß haben. Nun ja. Die alten Herren an den benachbarten Tischen schreiben und schmunzeln. Zwei Kassiererinnen sitzen anheimelnd in ihrem Holzabteil. Im "Goldesel" ist es nicht so wie in einer beliebigen Internetbude, wo man wie in einen großen Lebensmittelladen eintritt, wo die Typen an den Kassen ständig an ihren Taschentelefonen herumfummeln, wo sie dauernd Plappern, so als hätten sie nicht genug um die Ohren. In vielen Spielhöllen macht einen die Atmosphäre doch eher kirre, mit all diesen tutenden Automaten und dem sonstigen Krach.

Auf halber Entfernung zur großen Freitreppe der Schwimmhalle liegen die Plattenbauräumlichkeiten, in der einst das Literaturcafe "Wolkenbügel" seine Heimatstätte hatte; Landsberger Allee 93 oder 95. Ein Wolkenbügel ist die architektonische Antithese zu den amerikanischen Wolkenkratzern. Heißer Stoff aus den 20zigern, vom russischen Juden Lissitzky. Viele seiner geplanten Wagnisse wurden nie realisiert. Bürokomplexe wie tote Monumente. Schade auch, dass ich nie im Literaturcafe "Wolkenbügel" gewesen war und auch niemanden kenne, der jemals die Schwelle genommen hatte, damals zu DDR-Zeiten. Einige Male hatte ich kurz durch die großen Schaufensterscheiben geguckt und nichts gesehen, obwohl in der "BZ am Abend" die Veranstaltungstermine angekündigt waren – zu systemkritisch dürfte dabei nichts  gewesen sein. Wer erwartete denn etwas von den schreibenden Arbeitern und Bauern? Was sollte denn der "Bitterfelder Weg" sein: eine sozialistische Schreibwerkstatt der Republik oder eine Berliner Sonderschule?

Der "Wolkenbügel" war mit der Wende eingegangen, das lag nicht am Unrechtsregime speziell, sondern an der Lage zwischen dem S-Bahnhof Landsberger Allee und dem SEZ allgemein. Doch ich breche eine Lanze für die DDR, denn heutzutage sind im Lande der Dichter und Denker viele halbwegs erfolgreiche Schriftsteller nur Zeitarbeiter. Alles eine uralte Verteilungsfrage. Als viertklassiger Fußballer kann man vom Spielen leben, aber als Literaturregionalligist muss man dauernd zum JobCenter. Diese Arbeits- und Geldbeschaffungsinstitution ist Deutschlands wahrer Stipendienbefürworter. Ohne das JobCenter würden 77 Prozent aller einheimischen Schreiberlinge endgültig als Alkoholiker enden. Ich behaupte, wenn das Fußballgeschäft genauso stagnieren würde, wie der Literaturbetrieb, würde Michael Ballack noch für den Chemnitzer FC spielen, nicht für Chelsea London, und Arne Friedrich für Bad Oeynhausen United, nicht für Hertha BSC Berlin und so weiter.

Sportschwimmhalle Landsberger Allee

Paul-Heyse-Straße 26
10407 Berlin

S-Bahnhof Landsberger Allee, M 5, 6, 15, 27

Sportschwimmhalle Landsberger Allee

1 Minute entfernt

An der riesigen Freitreppe zum begrünten Dach unserer Schwimmolympioniken-Trainingsstätte angelangt, spürt man das Flair des Sporttempels, sofern man den Weg an einem ruhigen Sonntag wagt. Der Westwind weht eine leichte Brise zum gegenüberliegenden Hausburgviertel rüber. Wenn man die zwei Dutzend Stufen nimmt, die teilweise die Länge und Breite der Halle haben, steht man hoch droben knöcheltief im Gras und hat die Verkehrsader zu Füßen. Der Blick schweift zum S-Bahnhof Landsberger Allee und dem daneben liegenden Blutspendezentrum. Große Plattenbauten, trotzdem weite Sicht, gut. Hier ließen die Herrschaften des ehemals real existierenden Sozialismus seinerzeit die durchaus beliebten Spielzeugeisenbahnen herstellen, die so genannten TT-Bahnen, was für Table Top steht.

Heute wird dieser Bau in der Storkower Straße von den Arbeitern nicht weniger frequentiert, weil sich darin eine Außenstelle des JobCenters befindet. Das scheint typisch für diese Gegend, es herrscht geschäftiges Treiben, aber welches genau? Vom tiefer gelegten Sportkomplex weht über die vierspurige Allee schon mal etwas Chlorwassergeruch zu den Bewohnern der gegenüberliegenden Viertel. Inzwischen setzt man sogar mit dem riesigen Klotz an der Ecke zur Storkower auf die Zukunft, es wird gewerkelt und gelärmt, nachdem die Rohbauruine lange Jahre als Mahnmal der Fehlplanungen herhalten musste. Der Architekt soll Ende der 90er bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein, worauf ewig und drei Tage nichts geschah, vom Einzug der Turmfalken einmal abgesehen.

Bis 1989 verkehrten auf der damaligen Leninallee viele Gäste aus der Republik. Sie taten das nicht nur, um zum SEZ zu gelangen, sondern auch um am Bahnhof eine Kettwurst zu mampfen, am Stand, der sich nach den Rückumbenennungen des Bahnhofs nur unwesentlich länger halten konnte, als es die postkapitalistischen Punks mit ihren polnischen Alf-T-Shirts sowie die
fliegenden Frührentner mit ihrem selbst gebastelten Schmuck vermocht hatten. Es war makaber, wenn die Leute von der S-Bahn in den Bus umsteigen wollten, aber warten mussten, während zeitgleich vom Gelände des benachbarten Zentralviehhofes ein Lastkraftwagen rollte, samt Hänger und offenen Ladeflächen. Er schaffte Berge von Eingeweiden und Knochen über die
Leninallee zur Stadt hinaus. Wenn der Bus hinter dem LKW fuhr, stank es durch die Belüftung herein, so dass die Fahrgäste das Schlachthof-Feeling mit vollem Atemapparat genießen mussten. Einige unter ihnen hatten zuvor in der Freibank des Schlachthofs billige Jagdwurst Ultra gekauft. Nun kamen sie vorzeitig auf den Geschmack. Einmal war ich vor meinem Zustieg beim Zahnarzt
gewesen und saß nun mit einem Tampon im Mund da, bis die Ampel endlich auf Grün umschaltete und der Bus den LKW überholte.

Ein Bekannter erzählte von einem einstigen Kollegen, der nach einer Brigadefeier völlig betrunken umher irrte und sich auf dem Viehhof wieder gefunden hatte, bäuchlings liegend in der Jauchegrube der Schweine, in der er zu ersticken drohte, bevor er weiter irrte und auf dem Bahnsteig auf einer Bank liegen blieb. Soll was Lebensbedrohliches gehabt haben.
Wer hier lange in die Runde guckt, wirkt nicht einmal wie ein Tourist, der die vermeintlich wahre Richtung sucht, sondern eher wie jemand, der gerade seine Betriebsfeier aufarbeitet. Nach der Wende wurde der 50 Hektar umfassende Zentralviehhof geschlossen. Heute erinnern auf dem Gelände dieses aufwendig rekonstruierten und imposant ummauerten Hausburgviertels mit den
Backsteingebäuden nur einige Baudenkmäler an die einstige Fleischerei der Hauptstadt.

Eine Straße wurde nach dem Großbaumeister Blankenstein benannt, aber nur eine kleine, irgendwo quer verlaufende, weil jeder Politpopper mehr zählt. Ein 25 Meter hoher Wasserturm, ziemlich schlicht gehalten, ragt über alte Backsteingebäude und neue Wohnhäuser. Die Bauherren spekulieren wohl, dieses Anhängsel des Prenzlauer Bergs als eine Art Kollwitzplatz anbieten zu
können. Der alte Schlachthof ist lange passé, der Ausverkauf des Ostens war nicht nur schlecht. Hat jemand gehört, dass die Anwohner ein ähnliches Gejammer über die Schließung anstimmten, wie es die verstrahlten Kumpels aus dem Erzgebirge in Anbetracht ihrer Zechen getan hatten?

Forum Bistro

Landsberger Allee 117
10407 Berlin

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Forum Bistro
 
3 Minuten entfernt

Am S-Bahnhof kann man sich mit Freunden und Umzugshelfern was Heißes reinhauen, zum Beispiel im „Forum Bistro“ mit Großbildschirm, bevor man zum echten Fußball geht, zu den Herzensbrechern aus Hohenschönhausen, zum Berliner Fußballclub Dynamo. Eventuell kreuzen an diesem Verkehrsknotenpunkt irgendwelche Truppenteile den Weg, die es zu anderen Sportveranstaltungen zieht. Ein Freund schlussfolgerte angesichts einer jugendlichen Abordnung
aus der Berliner Plattenbauperipherie, dass diese augenscheinlichen Russen sicher nicht jene Lustigen seien, wie wir sie aus unserem Zentrum rund um den Rosa-Luxemburg-Platz kennen; es wären eher die Osteuropäer, die ihn mit einer hinterhältigen Attacke fast um das Augenlicht gebracht hatten, bloß um im Internet bei youtube mit ihren idiotischen Gewalt-Filmchen auf eine hohe  Anzahl von Zugriffen zu kommen. So weit wollte ich nicht gehen. Untereinander scheint die jugendliche Internationale, dieser wie ein Anhängsel des Dichter- und Denkerbezirks wirkenden Gegend, aber miteinander auszukommen.

Hier in der Nähe hätte ich die einstmalige "Palme" vermutet, diese sagenumwobene Obdachlosenunterkunft, die es vor 100 Jahren am Rande des Prenzlauer Bergs gegeben hatte. Doch zu jener Zeit befand sich das Ende unseres Blümchenbezirks ja eigentlich schon zwei S-Bahnstationen weiter westwärts, an der Prenzlauer Allee.
Die Palme jedenfalls war das seit 1886 in der Fröbelstraße bestehende größte Obdachlosenasyl der Stadt Berlin, Die „Palme“ – benannt nach einer in den Anfangsjahren im Vorraum stehenden Topfpalme – bot ein Nachtquartier für bis zu 5000 Menschen.

Sportforum Hohenschönhausen

Steffenstraße
13035 Berlin

Anfahrt: M 5, 15

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Sportforum Hohenschönhausen

15 Minuten

Weiter, immer weiter! Kein kurzer Spaziergang, die Oderbruchstraße mit ihren 50er Jahre- Neubauten entlang, vorbei am Volkspark Prenzlauer Berg, der auf mehreren Trümmerbergen lebensfroh vor sich hin vegetiert. 15 Minuten zum eigentlichen Ziel, dem größten Komplex für Leibesübungen in Europa, dem Sportforum Hohenschönhausen. Hier ist der Lieblingsverein der in Ost-Berlin geborenen Schriftsteller beheimatet, der Berliner Fußballclub Dynamo. Zu DDR-Zeiten wurde er zwar lange nicht so gefördert wie es heute beispielsweise der FC Bayern oder Hertha BSC wird, brachte er es dennoch auf zehn Meisterschaften und drei Pokalsiege. Das regt die Menschen in den Rathäusern und Plattenbauten immer noch auf. Dem BFC ist es nur aufgrund
seiner heldenhaften Anhängerschaft vergönnt, in der fünften Spielklasse zu kicken. Nicht schön, aber echt. Oberliga. Diese Spielklasse hat was von Schwarz-Weiß-Fernsehen.

Dafür ist Hohenschönhausen keine Schwaben-Hüpfburg. Der Bezirk zeigt sich noch heute so herzlich, wie es der Prenzlauer Berg um 1982 gewesen war. Eines Tages wird der BFC im überregionalen Spielbetrieb der Bundesrepublik ankommen und gegen Essen und Hamburg antreten. Dann heißt es für die Fans, mit der Eisenbahn gen Westen und Norden zu reisen; doch bis dahin wird nur mit der Pferdekutsche von Hohenschönhausen nach Rathenow gezuckelt. Bei den Heimspielen des BFC lässt es sich im Vereinsheim aushalten, unter gesprächigen Gästen, bei unterirdischer Musik und korrekten Getränkepreisen.

Das Sportforum Hohenschönhausen ist ein Hort des Friedens, das wissen 3 Millionen Berlinerinnen und Berliner nicht zu würdigen.