von Petra Nagenkögel
Petra Nagenkögel, geboren 1968, Studium der Germanistik, Geschichte, Philosophie, lebt in Wien. Sie ist Autorin und Leiterin des im Literaturhaus Salzburg beheimateten Literaturvereins prolit, der seinen Schwerpunkt auf der Vermittlung mittelost- und südosteuropäischer Literaturen setzt. Zuletzt ist 2019 der Band Dort. Geografie der Unruhe erschienen (Jung und Jung Verlag).
Levin Westermann
farbe komma dunkel
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2021.
„Man muss nämlich überlegen, ob der Satz, den man schreiben möchte, auch notwendig ist. Notwendig hat mit Not zu tun.“ Auf dieses Zitat von Ilse Aichinger referiert Levin Westermann in seinem Essayband Ovibus moschatus (2020) – und er verweist damit nicht zuletzt auf den Anspruch und die Begründung seines eigenen – lyrischen wie essayistischen - Schreibens: es ist ein zwingendes, ein dringliches Schreiben, dessen Notwendigkeit sich sowohl inhaltlich als auch formal vermittelt. Ein Schreiben, das aus der Unmittelbarkeit einer Gegenwart kommt, die wir unweigerlich als unsere begreifen müssen:
und jetzt wird es ungemütlich
denke ich
jetzt wird es richtig ungemütlich
Der hier spricht, ist in einem Provinzort im Osten Frankreichs, er sitzt in einem Wintergarten mit Wänden aus Glas, seine Hüfte schmerzt, er kann nicht wie gewohnt joggen, ist zur Untätigkeit gezwungen; er beobachtet die Umgebung, liest Zeitungen, wartet auf wichtige Post. Im Garten scharren Hühner, von der nahen Weide sind Schafe zu hören, Spatzen schimpfen vom Zaun, eine Katze verschwindet im Stall, vor kurzem hat man ihre Jungen human entfernt, Bukolik und Gewalt liegen nahe beisammen in Saint Germain du Bois, und anderswo brennen die Wälder.
Mehr als diese Ausgangssituation braucht Levin Westermann nicht, um eine weit ausgreifende Denkbewegung in Gang zu setzen, die der Text Zeile für Zeile nachvollzieht: farbe komma dunkel ist ein furioser Monolog, ein im Wechsel von Wiederholung und Variation sich fortschreibendes Langgedicht, so atem- wie ruhelos, kreisend und damit potenziell endlos, ohne einen Beistrich, der eine Pause markieren, ohne einen Punkt, der allem ein Ende setzen könnte -
und dann
geht die sonne wieder unter
und dann
geht die sonne wieder auf
Und während die Sonne unbeirrt ihrem – die Tage und den Text gleichermaßen strukturierenden - Rhythmus von Aufgang und Untergang folgt, geht das Ich des Textes seinen Wahrnehmungen, Reflexionen, Empfindungen nach und ist dabei in permanentem Dialog mit den Stimmen anderer Autorinnen und Autoren; ihre Zitate sind eingewoben in seinen assoziativen Gedankenstrom, sie sind im Text mitlesbar, sodass dieser zum vielstimmigen Echoraum wird und zu einem unausgesetzten Gespräch.
und lese gedichte
ich lese laut gedichte
(…)
und der himmel ist blau
und Annie Dillard schreibt
überall ist dunkelheit
und die präsenz des unsichtbaren
schockt
und ich reibe mir die augen
und es raschelt im gebüsch
(…)
und was mich rettet sind die bücher
Ist die sprache und ihr klang
Was Levin Westermann in farbe komma dunkel befragt, ist nichts weniger als die Fortschrittserzählung der Moderne, die angesichts der globalen ökologischen Katastrophe nicht mehr haltbar ist. Er dementiert den menschlichen Anspruch, sich an die Spitze einer von ihm selbst geschaffenen Hierarchie von Lebewesen zu stellen; er dementiert die Ordnungen, in denen wir uns eingerichtet haben und die wir als Normalität empfinden; und er weist die Anmaßung des Menschen zurück, seinen Erzählungen über die Welt alles Nichtmenschliche unterzuordnen und so den Tieren und Pflanzen eine Rolle zuzuschreiben, die ihre Ausbeutung, Vernutzung oder Vernichtung bedeutet.
und ich lese in der zeitung
und die zeitung sagt: es brennt
und ich warte auf den kaffee
und ich lese ökozid
Ich lese in der zeitung ökozid
(…)
und ich warte auf den kaffee
und es scheint
als ob wir scheitern
ich lese in der zeitung
und es scheint ganz offensichtlich
dass wir scheitern
wild verwegen scheitern
tag für tag
Dieses Buch überzeugt nicht zuletzt durch das Wie der Gestaltung: Wie der Autor es versteht, im verdichteten Zusammenhang seiner Bilder, in der Verbindung von sinnlicher Konkretheit und luzider Reflexion Sprache und Form zu finden für das Unfassbare, für das so greifbar Nahe und zugleich Un(be)greifbare der planetaren Verwüstung. Wie er imstande ist, das Nahe und das Ferne zu verbinden und gleichermaßen an beidem Anteil zu nehmen. Wie er in einer Haltung der Unbedingtheit von der Trauer, der Scham, der Ohnmacht und der Wut spricht, die er empfindet angesichts der globalen Verwüstung und der menschlichen Verantwortung daran. Und wie er schließlich der schonungslosen Analyse unserer anthropozentrischen Weltordnung eine Poetik der Entgrenzung entgegensetzt, die eben diese Ordnung unterläuft - in einem empathischen Sprechen / Schreiben, das der Pluralität des Weltganzen, seinen komplexen Verbundenheiten und Korrespondenzen gerecht zu werden versucht.
Das „und“ bestimmt den Rhythmus, den insistierenden Duktus des Gedichts – ein „und“, das alles mit allem zu verschränken weiß und das entsprechend imstande ist, auf der formalen und sprachlichen Ebene jene Entfremdungen und Spaltungen aufzuheben, die uns erst in die Katastrophe geführt haben: die hierarchische Trennung und Herrschaftsbeziehung zwischen Mensch und Tier, zwischen Kultur und Natur, zwischen Subjekt und Objekt, Ich und Welt.
und was kann man tun
was ist zu tun
frage ich die schafe
Mehr Informationen