Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von Emma Braslavsky

Emma Braslavsky, geboren in Erfurt, schreibt, moderiert, kuratiert, inszeniert. Ihr fünfter Roman Erdling ist gerade bei Suhrkamp erschienen. 

Isabel Fargo Cole
Die Goldküste. Eine Irrfahrt
No. 88 der Reihe Naturkunden, hg. von Judith Schalansky, Matthes & Seitz Berlin, 2022

In diesem Text, der Roman, Essay und Manifest zugleich ist, hängt alles mit allem zusammen. Die Autorin nimmt uns auf eine Reise, die mehr ist als die Suche nach ihrem verschollenen Ururgroßvater Arva Fargo, der Ende des 19. Jahrhunderts Familie und Heim hinter sich gelassen hatte, um sich auf Nimmerwiedersehen im hohen Norden auf die Suche nach Gold zu machen. Diese Spurensuche, verwoben mit einer eigenen Rundreise nach Alaska (die sie 2018 gemeinsam mit ihren Eltern unternommen hat), verwoben mit investigativen Momenten historischer und aktueller US-amerikanischer Politik, diese historische Glückssuche gerät zum unerbittlichen Systemkampf zwischen Mensch und Natur. Dabei oszilliert der Text mit feinem Humor, der immer wieder aus einer gestochen scharfen Sprache angreift, zwischen Apokalypsen der Natur und der Utopie Mensch. Mensch versucht die Natur mit Politik zu beherrschen und zu bezwingen, aber die Natur bezwingt in einigen Fällen wieder Mensch und Politik. Aber nicht in allen! Das Apokalyptische reist mit, mit leichtem Gepäck, in dem sich nur ein Hauch eschatologisches Gefühl vom eigenen Untergang und der Selbstzerstörung befindet, der um unsere kühlen Wangen weht. Die Irrfahrt ist hier das Programm.

Die Goldküste erweist sich als futuristische Odyssee, sie erzählt von unseren ökologischen Herausforderungen, die wir politisch oder wirtschaftlich oft wie Hindernisse betrachten – weil wir sie nicht verstehen –, sie schildert, warum beispielsweise Lachse und Wald untrennbar sind. Sie erzählt von Utopie-gesättigten Missionaren, die aus Europa im Namen des Guten und Wahren kommen, um dann mit Indigenen christlich-heidnische Gemeinden zu gründen. Cole legt auf solche naiven historischen Narrative aktuelle Filter, durch die wir darin die Bilder der Apokalypse, der Kolonialisierung und der Landnahme sehen können. Das Gold, weswegen Menschen alles aufgegeben und sich auf den todbringenden Weg seiner Suche gemacht haben, schimmert in diesem Text so wertvoll wie jeder Kieselstein im Fluss, es wird zu einem untergeordneten Element im Periodensystem. Dieser Traum vom Gold wird zum ökologischen Albtraum.

Beobachtungen von Natur und Mensch greifen hier ineinander. Die Natur wird in ihrem natürlichen Lauf vom Mensch behindert. Und der Mensch scheitert an seinen eigenen Regeln als Mensch. Ein Kampf zwischen Ordnung und Dynamik. Trotzdem bleibt es immer auch eine Glückssuche, denn Cole versteht es, uns weiterhin Hoffnungen zu machen. Bei aller menschlichen Zerstörungswut bietet sie neue Horizonte, kleine Erfolge, Gefühle von Utopie und Freiheit. Mensch und massive Gebirgsketten bringt sie mit Deduktion wieder in die Proportionen, den Menschen entlarvt sie als Träumer und Hochstapler. Selbst so genannte naturverbundene Menschen aus ihrer Reisegruppe demaskiert sie als ängstliche, nach Exotik und Romantik lechzende Natur- und Kulturversager (beispielsweise, als Einheimische sie einmal in Kanus spontan auf ihre Insel einluden, folgten sie lieber dem Reiseprotokoll als der Neugier).

Ein zentrales Bild, das den Text für mich zum tragenden und tragischen Motiv als Manifest werden lässt, ist der Blick auf einen Braunbär am anderen Ufer, der kauend mit einem Büschel Gras im Mund desinteressiert auf die Reisegruppe blickt, deren Mitglieder ihn sämtlich durch ein Fernglas vor den Augen anstarren. So leicht und witzig offenbart Cole hier die überall im Dickicht lauernde ungeheuerliche Wahrheit: die Selbstentfremdung Mensch, als wären sich Mensch und Naturvorgänge artfremd geworden. Mit derartigen subtilen Bildern, die wie Sehenswürdigkeiten ganz selbstverständlich auf dieser großen Reise liegen und besichtigt werden, hebt die Autorin noch mal das Versagen der Politik hervor, ja Politik selbst scheint hier zum Hemmnis im Miteinander von Mensch und Natur zu werden, Politik wird zur Gewalt gegen Naturgewalt, weil Mensch zu klein. Und mithilfe der scharfen, aber harmlos bleibenden Humorsalven, die die Militanz all der historischen Figuren karikieren, entlarvt sie unser heutiges ökologisches Bewusstsein als T-Shirt-Beschriftung.

Alle Informationen zu Veröffentlichungen und Projekten der Autorin und Übersetzerin Isabel Fargo Cole finden sich auf ihrer Webseite.

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