Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von Matthias Jügler

Matthias Jügler, geboren 1984 in Halle/Saale, arbeitet journalistisch und als freier Lektor. Er ist Herausgeber der Anthologien Wie wir leben wollen. Texte für Solidarität und Freiheit (Suhrkamp, 2016) und WIR. GESTERN. HEUTE. HIER. (Piper, 2020) und Autor der Romane Raubfischen (Blumenbar, 2015), Die Verlassenen (Penguin, 2021) und Maifliegenzeit (‎Penguin, 2024).

Paul Jeute
Solche Orte. Möglichkeiten einer Reise
Erzählungen, Skizzenbuch Nr. 23, Trottoir Noir, Verlag Marcel Raabe, Leipzig 2024.

Gerade lese ich Solche Orte. Möglichkeiten einer Reise von Paul Jeute. Jedes Mal, wenn ich mit dem Zug zu einer Lesung fahre, was gerade oft der Fall ist, nehme ich dieses Buch mit, und während ich also selbst reise, lese ich vom Reisen. Denn genau darum geht es in diesem Buch. Das erste Mal begegnete ich Paul Jeute während der Aufnahmeprüfung für den Masterstudiengang Literarisches Schreiben des Deutschen Literaturinstituts. Weil ich Hilfswissenschaftler bei Michael Lentz war, durfte ich auf der Seite jener sitzen, die entschieden: Wir nehmen dich auf – oder eben nicht. Schon damals, vor vielleicht zwölf Jahren, erzählte Paul Jeute während der sogenannten Eignungsfeststellungsprüfung von dem alten Haus in der strada Liviu Rebreanu im rumänischen Sibiu, seiner zweite Heimat. Er erzählte von seinen Reisen in den Osten, und was das mit ihm macht. Ich erinnere mich gut an einen flüchtigen Moment während dieser Aufnahmeprüfung: Die Professoren tauschten Blicke, weil da einer in seinen Texten vom Reisen in den Osten erzählen wollte, was in gewisser Weise ungewöhnlich war. Die allermeisten, die uns an diesem Nachmittag gegenübersaßen, sprachen von Coming-of-age-Plots, von etwas verkopften Ideen für Essaybände, Campusromane, etc. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Sache ziemlich schnell entschieden war: Da saß einer vor uns, der etwas zu erzählen hatte, der mit so viel Enthusiasmus vom europäischen Osten sprach – wenn er das irgendwie auch aufs Papier bekommt: Nur zu!

Daran musste ich denken, als ich vor ein paar Tagen begann, Solche Orte zu lesen. Ich reise nach Gera, Berlin, Bamberg oder Coburg, lese aber währenddessen von Cluj, Chișinău, Sibiu, Odessa, Gjumri oder Iași. Von Menschen, die auf der Suche nach Halt sind, nach Heimat und vielleicht auch einem inneren Frieden. Und von einem Ich, das mehr Fragen als Antworten hat. Manchmal ist das, was Verlage über ihre Bücher schreiben, ja Murks. In diesem Falle aber könnte es zutreffender nicht sein. Der kleine, aber sehr feine Verlag Trottoir Noir schreibt auf seiner Homepage: „Paul Jeute erzählt vom Unterwegssein, von all den Möglichkeiten, die sich immerzu ergeben, und vor allem vom Warten – der vielleicht ehrlichsten Form des Lebens.“

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