Leselampe

2024 | KW 20

© Son Binh Hoang

Buchempfehlung der Woche

von Dang Lanh Hoang

Dang Lanh Hoang, geboren in Vietnam, studierte Chemie und arbeitete nach seiner Promotion als Hochschullehrer und später als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Nationalen Forschungszentrums in Ho Chi Minh Stadt (ehemals Saigon). 1988 kam er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentralinstitutes für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR nach Berlin, wo er bis heute lebt. Seit seinem Ruhestand 2014 widmet er sich der literarischen Übersetzung vom Deutschen ins Vietnamesische. Zuletzt übersetzte er Eugen Ruges Roman Metropol (Rowohlt, 2019) und soeben ist seine Übersetzung von Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein in Hanoi erschienen. Seine eigene Lebensgeschichte hat er unter dem Titel Mauerfälle 2021 im Selbstverlag veröffentlicht.

Hans Fallada
Jeder stirbt für sich allein
Roman, Nachwort und hg. von Almut Giesecke, Aufbau Verlag, Berlin 2011.

Es ist die 10. Auflage der Neuausgabe von 2011, die Falladas letzten Roman erstmals in der ungekürzten Originalfassung präsentiert. Diese zeigt ihn in einer raueren, derberen, aber intensiveren und genaueren Form, die wahrscheinlich dem anfänglichen Vorhaben des Autors näher und besser entspricht. Ergänzt wird der Text durch Glossar und zeithistorische Dokumente sowie Bilder und ein Nachwort von Almut Giesecke.

Der Roman Jeder stirbt für sich allein wurde ursprünglich 1947 durch den Aufbau Verlag herausgegeben. Der Verlag und sein Autor galten aber im Ausland für lange Zeit als unbekannt. Erst mehr als sechzig Jahre nach dem Tod von Hans Fallada wurde das Buch durch die Übersetzungen ins Französische und ins Amerikanische Englisch schnell zum Toptitel in mehreren Ländern. Man kann es als eine Wiederentdeckung betrachten, breite internationale Leserschichten wurden erreicht.

Der Roman handelt von der illegalen Tätigkeit eines Werkmeisters namens Otto Quangel und seiner Frau Anna, die nach dem Kriegstod ihres Sohnes beschlossen haben, Zeichen des Widerstandes gegen das Naziregime zu setzen. Mit einfachen Mitteln wollten sie die Lüge des Regimes offenlegen. Quangel verteilte mit Hilfe seiner Frau Postkarten in Berlin, auf denen sie mit einfachen, unbeholfenen, aber eindringlichen Worten klar formulierten, für wie unheilvoll sie den Weg hielten, den das deutsche Volk unter der Führung von Hitler und seiner NSDAP eingeschlagen hatte. Die stillen, bescheidenen Eheleute hofften dabei, die Lügen und das mörderische Gesicht des Naziregimes zu offenbaren. Sie träumten von einem weitreichenden Erfolg und ahnten nicht, dass die Menschen in ihrer großen Angst, die Postkarten zum großen Teil bei der Gestapo abgaben. So wurden sie nach zwei Jahren des aussichtslosen Widerstandes verhaftet und vom Volksgerichtshof zu Berlin zum Tode verurteilt. Herr Otto Quangel wird durch das Fallbeil hingerichtet und seine Frau Anna kommt durch eine Bombe ums Leben, die den Teil des Gefängnisses, wo sie gerade in einer von seinen Zellen gehalten wurde, in Schutt und Asche legt.
Auch weitere Schicksale von Menschen wie Trudel Baumann oder Ulrich Heffke werden erzählt, die ebenfalls brutal ermordet werden. Man wird finden, wie Hans Fallada selbst in Vorwort geschrieben hat, „dass in diesem Buch reichlich viel gequält und gestorben wird… Etwa ein gutes Drittel dieses Buches spielt in Gefängnissen und Irrenhäusern, und auch in ihnen war das Sterben sehr im Schwang.“

Der Roman Jeder stirbt für sich allein wurde von manchen Kritikern nicht zu den literarischen Meisterwerken gezählt. Es macht tatsächlich nicht immer den Eindruck, als wäre der Roman sorgfältig durchgearbeitet worden. Sein Text scheint einfach, ungeschönt zu sein; die Figuren sind zwar vielfältig, entwickeln sich aber nur wenig, in macher Hinsicht sogar widersprüchlich. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Hans Fallada, basierend auf Akten der Gestapo über die illegale Tätigkeit des Berliner Arbeiter-Ehepaares Hampel während der Jahre 1940 bis 1942, diesen voluminösen Roman nur in wenigen Wochen im Herbst 1946 kurz vor seinem Tod niedergeschrieben hat.

Der Roman ist aber gerade auf Grund dieser Authentizität besonders. Seine Besonderheit besteht darüber hinaus auch darin, dass sein Autor ein nicht emigrierter Schriftsteller ist, was ihm sicherlich ermöglicht hat, ein einzigartiges Panorama des Berliner Lebens in der Zeit des Naziregimes zu beschreiben. Es ist eine realistische Darstellung über das Leben unauffälliger, kleiner Leute im Naziregime, einem Regime, das seine mächtigen Machtorgane wie die Gestapo bzw. den Volksgerichtshof, der in jener Zeit nichts mit dem Volk zu tun hatte, zur Terrorisierung der Menschen nutze. Das Nazi-Regime, wie alle Diktaturen verschiedenster Formen, hatten es verstanden, Lügen zu verbreiten und Menschen gegeneinander auszuspielen und ihre Schwächen sowie Ängste zu eigenen Zwecken auszunutzen.

Die Darstellung des Widerstandes der sogenannten „kleinen“ Leute widersprach dem Bild, wonach das deutsche Volk jener Zeit nur aus Mitläufern bestanden hat. Der Roman kann darüber hinaus den Menschen überall auf dieser Welt auch Mut machen, sich gegen herrschende Regimes der Ungerechtigkeit zu wehren, auch wenn sie übermächtig erscheinen mögen, und so, die eigene Seele zu retten sowie die menschliche Würde zu bewahren.

Das sind womöglich Gründe, warum der Roman einerseits in Deutschland vielgelesen und mehrfach verfilmt wurde und in letzter Zeit wieder breite internationale Anerkennung gefunden hat.
Und man muss sich beim Lesen des Romans ernsthaft fragen, warum ein solches Terrorregime, in welchem alle in letzten Jahrzehnten erreichten Errungenschaften der Menschheit, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte unterbunden wurden, aber Rassismus, Antisemitismus sowie Fremdenfeindlichkeit befürwortet wurden, heutzutage von manchen Kräften wiederersehnt wird.

In dieser Hinsicht ist der Roman, angesichts der Erstarkung des Rechtsextremismus und Antisemitismus im In- und Ausland, verblüffend aktuell. Daher ist er auch für breite Schichten von Lesern sehr zu empfehlen. Er mahnt uns alle wachsam zu bleiben und motiviert uns, möglichst aktiv bei der Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde mitzuwirken.

Mehr Informationen