Die Entstehung der Rubrik sowie die Berliner Literatouren wurden 2008 ermöglicht durch die Berliner Landesinitiative »Projekt Zukunft« kofinanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Tanja Dückers

Schoko-Kunst-Tour

Tobias Bohm Foto Berlinische Galerie: Betty Müller
Schoko-Kunst-Tour

Die wichtigsten Adressen für alle Schokoholics!

Wo man am besten Schokolade im Ostteil der Stadt konsumieren bzw. gleich vor Ort genießen kann, verraten die Stationen 1-9; 10-17 beschreiben Orte im Westteil der Stadt und am Ende gibt es noch drei Vorschläge für Potsdam. Für die Regenerationsphasen zwischen dem einen und dem anderen Schokoladenstück gibt es Empfehlungen für Museen.

Als Hör-Tour

Gelesen von Nina West
Laufzeit: ca 57 Minuten

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Tanja Dückers

»Schoko-Kunst-Tour«

Fotos: Tobias Bohm Foto Berlinische Galerie: Betty Müller



Sie sollten keine Diät planen. Sie sollten auch nicht an Biowahn leiden, denn Schokolade ist niemals, auch nicht in seiner ökologischsten Variante, ein „gesundes“ Nahrungsmittel. Die vielen fachwissenschaftlichen Artikel, die man unlängst zum Thema Zartbitterschokolade und Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen lesen konnte, unterschlagen meistens, dass lediglich ein kleines Stück Noir-Schokolade am Tag (nicht ein Riegel, nicht ein Doppelstück, sondern 1 Stück!) ausreicht, um die notwendige Menge an Flavonoiden zu liefern. Jedes Stück mehr schlägt auf die Waage und nicht fürs Herz.

Ferner sollten Sie auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie sich mal etwas außerhalb besonderer Anlässe gönnen. Mit einer Erst-die-Arbeit-dann-der-Lohn-Haltung kommt man auf einer Schoko-Kunst-Tour nicht weit. Sie können natürlich einfach die vielen kleinen und manchmal auch etwas größeren Spaziergänge oder U-Bahnfahrten (oder PkW-Fahrten) als gerechte Strafe Gottes für ihre süßen Versündigungen betrachten.

Und Sie sollten sich für Berlin interessieren.
Die einzelnen Stationen können natürlich beliebig kombiniert werden, es gibt eine Ost- und eine Westtour, aber da Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte alle recht zentral liegen, lässt sich auch nach Belieben eine andere Tour zusammenstellen. Oder Sie betrachten die Empfehlungen als Einzeltipps.
Los geht’s!


„in’t Veld Schokoladen“

Dunckerstraße 10
10437 Berlin

Mo–Fr 11 – 20 Uhr
Sa 11 – 18 Uhr
Tel.: 48 62 34 23

Webseite

Im Ostteil der Stadt:


In’t Veld

Die große Schoko-Kunst-Tour beginnt am Helmholtzplatz, unweit des U- und S-Bahnhofs Schönhauser Allee.
Wir beginnen mit einem Ort, an dem man meist nicht selbst schon Schokolade konsumiert (wobei es eine großartige „Schokoladen-Theke“ mit einzelnen Trüffeln und Pralinen gibt), sondern sich erst einmal einen Eindruck von ihrer Vielfalt verschaffen kann. Es heißt ja: „Das Auge ißt mit“. Wenn einem dann schon das Wasser im Munde zusammenläuft, ist dies die richtige Einstimmung für die nächstfolgende Schokoladenstation. Vielleicht kauft man sich ja auch ein Täfelchen als Wegzehrung für die vielen Spaziergänge, die noch bevorstehen.

Dieses Schokoladengeschäft ist wirklich ein Kleinod, ein Unikum, eine Schatzkiste, der Traum eines jeden Schokoladenliebhabers, einfach etwas ganz Besonderes. Der Nachteil bei diesem Start ist: So etwas ist einfach nicht mehr zu toppen. Aber ich verspreche: Es geht weiter auf gleich bleibend hohem Niveau.
Schon von außen fällt der Laden auf: nämlich durch ein Leuchtschild, auf dem ein alter Dampfer auf rotem Hintergrund abgebildet ist. Der Dampfer, bei dem man vielleicht an die vielen Kakaobohnentransporte aus exotischen fernen Welten denken kann, ist das ungewöhnliche und einprägsame Logo von „Int’ Veld“.
Der Name macht zunächst ein wenig stutzig. Doch er erklärt sich schnell: Holger Int’ Veld ist der Name des passionierten Schoko-Ladenbesitzers, der niederländischer Abstammung ist. Wie ein „typischer“ Unternehmer sieht er nicht gerade aus, eher wie ein Maler oder ein Hausbesetzer. Vater und Großvater des langhaarigen und fünftagebärtigen Edel-Chocolatiers waren Seeleute – das letzte Schiff, das sein Vater lenkte, steht als Modell im Schaufenster – , weshalb der ganz kontinental in Berlin lebende Sohn nostalgisch das Schiffsmotiv gewählt hat. In jedem Fall ist es eine gute Idee gewesen.
„In’t Veld“ ist der Inbegriff eines der geglückten neuen Projekte im Prenzlauer Berg, die von jungen Menschen mit guten Ideen und wenig Geld ins Leben gerufen wurden. Hedonistisch, eigen und ein wenig exzentrisch versuchen sie, ihren eigenen abgefahrenen Traum zu verwirklichen und etwas aufzubauen, was es so vorher noch nicht gegeben hat. Als Holger In’t Veld 2002 den Laden eröffnete, hielten ihn viele für verrückt: Ein Laden nur mit Schokolade? Das klappt nie – hieß es.
Holger In’t Veld hat, das merkt man seinen Ausführungen über Schokolade und seinen manchmal ziemlich ungewöhnlichen Schokoladenkreationen an, Spaß am Experimentieren, am kreativen Umgang mit dem nur vermeintlich altbekannten Material „Schokolade“, dem er seine persönliche Note geben möchte. In seinem „Manifest“ (zu lesen auf der Website von In’t Veld) schreibt er durchaus poetisch über das jeder Schokolade immanente Ur-Spannungsverhältnis, nämlich das zwischen „bitter“ und „sweet“.  Weiter spannt er den Bogen von scharf über nussig, mild, salzig, herb, fruchtig, würzig und so weiter. Wen verwundert es, dass seine neueste Kreation „ Zartbitter Ackerminze“ heißt?
Er verkauft nicht nur Edelschokoladen anderer Hersteller, sondern hat seine eigene Marke „In’t Veld“ ins Leben gerufen – feine Schokoladentäfelchen in einem sehr schönen Pappkarton  –  mit, natürlich, dem Schiffslogo auf dem Deckel. Dabei gelingt es ihm, nicht nur nostalgisch das abzubilden oder wiedereinzufangen, was Generationen vor ihm und uns erfunden und produziert haben (sowohl an Imagos als auch an Schokolade und Geschmacksrichtungen), sondern in überzeugender und origineller Weise alte und neue Elemente im Design und im Geschmack zu verschmelzen: So finden wir neben dem alten Dampfer den Berliner Fernsehturm, umsäumt von Palmen .... oder eine Tafel Vollmilchschokolade, die jedoch auf Ziegenmilch basiert. Oder einen Pappkarton mit „Salzstangen“, Schokoladenstangen, salzig. Oder eine „Schokoladen-Single“, abspielbar. Mit dem Ohrwurm von Trude Herr aus den Zwanzigern „Ich will keine Schokolade“.
Das richtige Geschenk für in sich gespaltene Diät-Schokoholics.
„In’t Veld“ ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Synthese aus guter Schokolade und guter Präsentation von Schokolade: Weder muß man Schokolade auf genußmittelunwürdige Weise (bis weit ins 20. Jahrhundert hinein galt Schokolade als Luxusgut, im 19. Jahrhundert wurde sie noch – als Stärkungsmittel –  in Apotheken verkauft!) von Paletten picken wie bei Lidl, noch wird sie einem mit allzu vielen Rosen und anderem Tand als Geschenkartikel verkitscht, verniedlicht und versüßlicht dargeboten. Die Tafeln stehen einzeln, nicht als Massenware, in einem dunklen Regal. Man kann die Kunden dabei beobachten, wie sie die Tafeln ehrfürchtig betrachten,  sie drehen und wenden und mit gefurchter Stirn auf „die Prozente“, also den Kakaoanteil, hin untersuchen. Den Puristen schlägt das Herz bei 99 % oder gar 100 % höher, die Moderaten – wie ich –  fühlen sich von gemäßigten Werten, also 45 – 75 %, angesprochen.
An den Wänden hängen alte Länderkarten, die ein wenig an die exotische Herkunft der Kakaobohne erinnern, die man vorm Supermarktregal schnell vergißt.

Holger In’t Veld geht eklektizistisch vor und zitiert, dennoch kann man ihn mitnichten mit Totschlagbegriffen wie „postmodern“ oder „zynisch“ beschreiben, denn er scheint die Schokolade, und die mit ihr für ihn verbundenen sinnlichen Erfindungen und Ideen wirklich als Lebensinhalt zu betrachten. Er ist ein echter Affectionado, nicht jemand, der „Geld machen“ will (das ist bei ihm wohl eher ein wenngleich sicher willkommener Kollateralschaden gewesen).  Schokolade scheint ihm wirklich am Herzen zu liegen: Selbst das Wort „Fundamentalismus“ benutzt er im Zusammenhang mit seiner Manufaktur: „Fundamentalismus. In der Werkstatt wird zunehmend mit puren Bohnen und 100%igen Massen experimentiert. Unser Ansatz ist, alle Möglichkeiten des Kakaos zu erforschen und die Idee von Schokolade ständig zu erweitern.“ Wir sehen, hier ist ein junger Revoluzzer am Werk!
Doch dann lesen wir erleichtert weiter und merken, doch, wir befinden uns noch im Berlin zu Anfang des 21. Jahrhunderts:
„Dabei ist es besonders wichtig, beim Genuss den Spaß nicht zu vergessen. Wir wollen besten Inhalt UND gutes Design. Wir wollen dunkle Schokolade – also Kakao – als Genussmittel neu beleben. Ob es die Schoko-Single ist, die man tatsächlich abspielen kann oder die per Name als Junk-Food erscheinenden Salzstangen – in jedem Fall ist es High-End-Schokolade, die viel Kakao enthält, aber mit dem Klischee dröger Bitter-Schokolade nichts zu tun hat. “
Von dröge kann auch bei den anderen Sorten, die In’t Veld zum Beispiel von der bekannten österreichischen Schokoladenmanufaktur Zotter einkauft, nicht die Rede sein: Das Sortiment reicht von „Dattel  Shiitake“ über „Ananas Paprika“ und „Kürbiskerne  Hanf“,  „Tofu  Sake“, „Marille Vanille“, „Rote Rüben Galgant“ bis hin zu „Grammelnussen“, „Graumohn  Kirsch“  und „Paradeiser flüssige Oliven“.
Das ist nicht jedermanns Sache!
Aber „In’t Veld“ ist so erfolgreich, dass es mittlerweile schon eine Filiale im Westteil der Stadt gibt, ferner das angrenzende Schokoladen-Café „Kakao“ und seit letztem Jahr auch die eigene Schokoladenmanufaktur (vorher wurden die Schiffstäfelchen bei Domori in Turin in Auftrag gegeben). Selbstbewußt sagt der ansonsten so scheu, fast verhuscht wirkende Holger:  „Der 2002 gegründete Laden in der Dunckerstraße ist ein wesentlicher Grund für den Schokoladenboom und die Blaupause für die meisten der neuen »Schoko-Läden«.“
Er hat recht: „In’t Veld“ war das erste neue erfolgreiche Schoko-Projekt in Berlin, neben den „Traditionalisten“ wie „Fassbender & Rausch“ oder „Erich Hamann“, die wir auch noch besuchen werden.

„Kakao“

Café + Bar von In’t Veld

Dunckerstraße 10
10437 Berlin

Täglich ab 12 Uhr
Tel. 030 44 03 56 53

Webseite

Kakao

Zwei Häuser weiter befindet sich das zum „In’t Veld“-Schoko-Laden gehörige Café. Und hier können Sie sich nun für die 20 Meter Fußweg und vor allem die visuellen Qualen zuvor angesichts all der verpackten Köstlichkeiten belohnen. Das „Kakao“ hat auch abends auf, aus dem Schokocafé wird dann eine Schokobar ... Ich kann es nicht leugnen: Dieser Laden ist zu meinem Wohn- und manchmal auch Arbeitszimmer mutiert. Ich habe nie viel von Alkohol (schlafe ich sofort von ein), Zigaretten (muß ich wie ein Kind husten) oder anderen Genussmitteln (hab schon genug Phantasie, wozu noch rosa Elefanten?) gehalten, aber ein Leben ohne Schokolade kann ich mir schlecht vorstellen. Und so tröste ich mich, wenn ich die köstliche Orangen-Schokoladenmilch (ich empfehle auch den Mandelkakao) trinke: Andere geben jede Menge Geld für Wein oder Zigaretten aus, ich nur für Schokolade ...
Das Café ist in sanft abgestuften Brauntönen gehalten; an der Decke des hinteren Zimmers ist eine große Weltkarte abgebildet, auf der die Hauptanbauregionen der Kakaobohne rot markiert sind. Während man also verzückt die Augen verdreht und von „geil“ bis „köstlich“ sagt, was so dem eigenen Sprachschatz entspricht, lernt man gleich noch etwas über die Herkunft des braunen Golds, das einem gerade die Geschmacksnerven betört.
Noch etwas spricht für diesen Ort: Dem Berliner Bezirk Prenzlauer Berg wird oft eine gewisse ethnische Monokultur nachgesagt. Es heißt, außer ein paar zigarettenstangenverhökendern Vietnamesen gäbe es kaum Ausländer hier. So ganz stimmt das mittlerweile eh nicht mehr – und auf die Gäste des „Kakao“ trifft diese Diagnose gar nicht zu. Hier hört man viele Sprachen und sieht viele Hautfarben – der Kakaobohne kann man eindeutig eine völkerverbindende Wirkung nachsagen.

Wenn Sie sich fragen, warum bezahle ich knapp vier Euro für eine Tasse Kakao oder nebenan im Schokogeschäft „In’t Veld“ genauso viel für eine einzige Tafel Schokolade – die ich bei Lidl für 50 Cent kriegen könnte, dann sei dazu gesagt, dass nur 5 % der Kakaobohnenernte weltweit Edelbohnen sind – und die sind nun mal ein wenig teuer. Auch sind gerade in den letzten Jahren die Zucker- und Milchpreise angehoben worden.
Aber Ihre Frage müsste anders lauten: Wie in Gottes Namen kann eine Tafel Schokolade nur 50 Cent kosten? Zwölf verschiedene Herstellungsschritte sind nötig, um aus einer Kakaofrucht (die erst einmal angebaut und geerntet werden muß) zum Beispiel eine Tafel Schokolade herzustellen, über Verfahren wie Rösten, Mahlen, Schalen entfernen, Conchieren, Kakaobutter herausschmelzen und wieder hinzufügen, – dann ist meist noch ein Transport über viele Tausend Kilometer zu leisten. Nach all diesem Aufwand liegt dann eine Tafel Schokolade für nur 50 Cent bei uns im Supermarkt? Das ist, wenn man sich einmal eingehender mit dem Anbau und der Verarbeitung von Kakaobohnen beschäftigt, unvorstellbar wenig! Da kann etwas nicht stimmen. Und was da nicht stimmt, ist für die einheimischen Kakaoanbauer in den Ländern der Dritten Welt schlimmer als es für unseren Geldbeutel gut ist.
Also, Mut zu Schokolade, die auf Fair-Trade-Wegen zu uns gelangt und im Übrigen mehr Kakao und weniger Zucker (viel billiger als Kakao) enthält, und weg von der Geiz-ist-geil-und-wie-es-dem-Rest-der-Welt- geht-ist-doch-scheißegal-Haltung.
Noch etwas: Im Café „Kakao“ haben Sie auch die Gelegenheit, etwas vergleichsweise Herzhaftes, nämlich Bruchschokolade mit vielen Nüssen, zu verputzen. Vielleicht keine schlechte Idee, bevor es in das nächste süße Paradies geht.

Nun geht es die Dunckerstraße entlang bis zur Danziger Straße und von dort in die Rykestraße. Je nachdem, wie viele heiße Schokoladen oder Kuchenstücke sie im „Kakao“ verzehrt haben, brauchen Sie 7 bis unendlich viele Minuten für den Weg. Im Schnitt schafft man den Weg aber in 7 – 10 Minuten.

„Albrecht’s Patisserie“

Bäckerei, Confiserie und Café

Rykestraße 39
10405 Berlin

Täglich 10 -18:00 Uhr
Tel.: 030-4417373

Webseite

Albrecht’s Patisserie

Die Albrecht’s Patisserie ist einfach ein Traum. Und wie viele real gewordene Träume verwandelt er die Menschen, die sich in ihm bewegen. Schon manch schwieriges Gespräch und manch Interview, auf das ich gerade nicht so richtig Lust hatte (auch auf die Gefahr hin, dass diese Äußerung divenhaft klingen könnte - nun, das passt zum Sujet), nahm dort eine angenehmere Wendung als erwartet.
Nach zwei, drei der wunderbaren kleinen französischen Törtchen lockert sich die Zunge, hellt sich die Stimmung auf, die bornierte Autorin, die dem Journalisten zunächst wortkarg gegenübertrat, gerät ins famoseste Plaudern, während das Gäbelchen immer wieder zwischen den Mundwinkeln verschwindet. Sie merken schon: Etwas hat auf meine Wortwahl eingewirkt – es ist nichts Geringeres als der leicht tanten- oder omahafte Charme des Cafés. Wenn man sich hier so seine Törtchen munden lässt, sieht man auf jeden Fall plötzlich nur noch die positiven Seiten des Alterns: Zeit für Entspannung und Genuß.
Die „Albrechts Patisserie“ ist aber keines dieser Plüsch-Oma-Cafés, sondern gehört eher zu der Sorte Oma, die sich die Küchenschürze umbindet, die Ärmel hochkrempelt, die Plastiktischdecke mit einem kurzen entschlossenen Wisch von Krümeln befreit (auf allen Tischchen liegen knallrote steife Plastiktischdecken – man denkt an eine 50er-Jahre-Eisdiele) und danach munter den Teig ausrollt. Will sagen, die „Albrechts Patisserie“ verströmt genau die richtige Mischung aus Romantik und Pragmatismus, die man sich für großmutterhaftes Ambiente wünscht.
Bei Großmuttern hat man schließlich nicht nur auf dem Sofa gefläzt und Kuchen gegessen, sondern auch praktische Ratschläge und Tipps erhalten.
Konstruktive Gespräche sind hier wirklich am rechten Ort, man sitzt mit geradem Rücken auf kleinen Metallstühlchen (mit Kissen) und sinkt nicht in tiefe Polsterteile, man schlafft nicht ab, man konsumiert keine Riesentortenteile, sondern kleine, gut portionierte (dosierte) Minitörtchen, die mindestens so sehr Kunstwerk wie kulinarische Spitzenklasse sind.

Unlängst klagte eine Freundin, sie hätte gerade eine sehr blöde Radiosendung gehört: In der Sendung wurde nämlich im Detail von den Neuheiten bei einer Modenshow berichtet. Die Sprecherin langweilte mit endlosen Beschreibungen irgendwelcher Kleidungsstücke, die man sich doch nicht richtig vorstellen konnte.
Genau in diese Klage sollen Sie nicht ausbrechen, nachdem Sie diese Schoko-Kunst-Tour gelesen haben. Die Gefahr ist aber groß: Denn es ist wirklich nicht einfach, mit Worten wunderbare kleine farbenfrohe Törtchen und das mit ihnen verbundene Geschmackserlebnis adäquat und sinnlich-prall zu beschreiben. Wo käme ich hin, wenn ich versuchen würde, Ihnen sprachlich die Tarte au Citron, die Opéra-Schnitte, den Schokoladen-Dom, das Himbeerjohurt-Törtchen, das Passionsfrucht- Törtchen, das Nugattörtchen, die vielen Éclairs, die Birnen-Tarte, das Waldfrucht-Röllchen, die Aprikosen-Tarte, die Apfel-Tarte, die Tarte Tatin, das Nu-Ki-Törtchen (Vanille-Creme mit Kirschen auf Nussboden im Schoko-Mantel), die Birnen-Charlotte, das Erdbeer-Tiramisu, das Johannisbeer-Baiser, das Herrentörtchen, das Cassis-Törtchen, das Mango-Käsesahne-Törtchen, das Erdbeer-Käsesahne-Törtchen, das Limonenmousse-Törtchen, das Pflaumenmustörtchen und den Kindermuffin nahezubringen? Übrigens: Die Auswahl ist noch reichhaltiger, ich habe mich gerade kurz gefasst.
Um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was die „Albrecht’s Patisserie“ so anbietet, empfehle ich wärmstens, einmal auf die Website www.albrechts-patisserie.de zu schauen und dort den schönen Button „Tarts und Törtchen“ anzuklicken. Da sind nämlich prima Fotos zu finden.
Als nächstes beträgt ihr Fußweg genau 20 Sekunden:

„choco finesse“

Pralinen und Porzellan

Rykestraße 40
10405 Berlin

Di–Sa 12-20 Uhr
Tel.: 0173 – 1652460

choco finesse

Dieser Laden, direkt neben der „Albrecht’s Patisserie“ gelegen, ist ungefähr so groß wie eine erlesene Pralinenschachtel. Angesichts der Mieten in der Nähe des Kollwitzplatzes ist diese Platzbeschränkung sicher eine richtige Entscheidung gewesen. Wenn sich mehr als drei Gäste gleichzeitig in dem Lädchen aufhalten, wird es also eng, aber für die nur hier zu erstehenden Schokofrösche (entweder in grün gefärbter Vollmilchschokolade oder in zartbitterer Froschkönigvariante mit rotem Pfefferkorn als Krone) lohnt sich jeder Einsatz! Außerdem sind die Gäste meist sympathisch, und manch nettes Gespräch entspann sich hier schon von Schokofrosch zu Froschkönig(in).
Ferner gibt es hier schönes Porzellan, vornehmlich kleine Schüsseln, geeignet für Kekse oder Pralinen – oder Schokofrösche. Porzellanfrösche gibt es auch.
Ähnlich einem Kleinstverleger oder Veranstalter einer kleinen, aber feinen Lesungsreihe ist die Verkäuferin dieser Preziosen zutiefst beseelt von ihrer Sache und nicht frei von missionarischen Absichten – der freundlich-forschen Aufforderung, doch auf einen Kakao einzutreten, kann man kaum widerstehen. Spätestens bei den Fröschen kapituliert man eh.

Nun haben Sie vermutlich erstmal keinen Appetit mehr – die Schoko-Kunst-Tour führt als nächstes ins

Prenzlauer Berg Museum

Prenzlauer Allee 227
10405 Berlin

Mo-Fr 9 – 19 Uhr (nur werktags)
Die Öffnungszeiten der Sonderausstellungen variieren.
Eintritt frei!

Webseite

Prenzlauer Berg Museum

Nachdem Sie nun ziemlich viel Schokolade konsumiert haben, sollten Sie mal wieder etwas für eine andere Körperregion tun. Der kleine Fußmarsch von der Rykestrasse zur Prenzlauer Allee ist der perfekte Verdauungsspaziergang. Nachdem Sie gerade an vier verschiedenen Orten in diesem Stadtteil den Müßiggang gepflegt haben, haben Sie vielleicht Lust, über das Schokoladieren hinaus, ein bisschen mehr über diesen Bezirk zu erfahren. Das Prenzlauer Berg Museum – eine alte Schule –  nervt nicht mit grellen Versuchen, die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zu ziehen; man kann sich noch wie früher in einer Ausstellung fühlen, ohne zu meinen, ausversehen in einen Freizeitpark oder eine Disko geraten zu sein. Sie erfahren hier viel über die Geschichte des Bezirks. Sehenswert ist die Fotoausstellung „Zeitbilder“.
Ferner gibt es eine Ausstellung über die jüdische Schule in der Rykestr. 53, die 1904 eröffnet wurde und 1941 wieder schließen musste. Die jüdische Schule gehört mit der im Hinterhof gelegenen Synagoge zu den wichtigsten noch erhaltenen jüdischen Orten Berlins.

Zeiss Großplanetarium

Prenzlauer Allee 80
10405 Berlin

Tel.: 030/42184512
Montag geschlossen!

Webseite

Zeiss Großplanetarium

Nach einem langen Schokoladen-Tag bietet es sich an, den Abend im Zeiss Großplanetarium ausklingen zu lassen.
Schon von Weitem ist die große silberne Kuppel erkennbar. Wie immer unterschätzt man die Größe solch eines Planetariums, wenn man erstmal nur außen davor steht. Das Gebäude ist riesig, die Sessel sind bequem, die Shows prima geeignet für Hobbyastronomen und/oder gesättigte Schokoholics, denen man in ihrem matt-seligen Zustand und nach dem Besuch mehrerer Museen nun zu später Stunde nicht noch einen Urania-Vortrag über die kosmische Hintergrundstrahlung oder die Rotverschiebung zumuten  möchte.
Das Zeiss-Planetarium hat ein sehr vielseitiges Programm. Oft bin ich nach einem ausgiebigen Schokoladenmahl gar nicht zu kosmologischen Vorstellungen gegangen, sondern zu Lesungen, Hörspielen oder Konzerten unterm Sternenhimmel. Wenn nochmal Torsten Schulz’ „Boxhagener Platz“ im Programm steht, sollten Sie sich das nicht entgehen lassen. Das Publikum ist immer eine solide Berliner Mischung: Rentnertrupps mit Astro-Faible, Familien, Verliebte („Klassik unterm Sternenhimmel“), Knallbirnen und Kids. Vom Prenzlauer Berg Schnöselvolk kann keine Rede sein. Man kann vor, während und nach der Show prima soziologische Studien betreiben und lernt auch etwas über die Jugend von heute.
Besonders empfehlenswert sind nach meinen Dafürhalten die Programme: „Sterne, Nebel, Feuerräder“ und „Die große Tour durch die Welt der Planeten“.
Berlin verfügt immer noch über mehrere Planetarien. Im Westen gibt es noch das ebenfalls sehr schöne Planetarium am Insulaner, mit Sternwarte (die befindet sich im Ostteil der Stadt in Treptow: Archenhold-Sternwarte) - das Planetarium am Insulaner empfiehlt sich natürlich im Anschluß an die „Schoko-Kunst-Tour“ im Westteil der Stadt.

Nun sind Sie schon wieder ein wenig unterzuckert. Deshalb empfehle ich zum Ausklang, wieder in das Schokoladencafé „Kakao“ zu gehen, das auch abends lange geöffnet hat, und sich dort einen selbigen zu genehmigen. Machen Sie sich keine Gedanken darum, dass Sie zweimal an einem Tag dort aufkreuzen. Sie sind nicht der oder die einzige, dem „so was passiert“. Man wird mit Nachsicht darüber hinwegschauen und Sie besonders erfreut bedienen.

Es gibt auch noch eine andere schöne Variante für einen Schokoladentag im Ostteil Berlins: Sie gehen nicht ins Prenzlauer Berg Museum, ins Planetarium und ins „Kakao“, sondern ins Naturkunde-Museum an der Invalidenstraße und danach in Europas größtes Schokoladenhaus: Das Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus.
Dazu steigen Sie auf der Prenzlauer Allee in die S-Bahn und tuckern zum Nordbahnhof. Von dort sind es 5 Minuten zum

Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin

Invalidenstrasse 43
10115 Berlin

Tel.: 030 2093-8591
Di bis Fr: 9. 30 bis 17.00 Uhr. Sonnabends, Sonntags und an Feiertagen von 10.00 bis 18.00 Uhr. Letzter Einlass ist stets 30 Minuten vor Schließzeit des Museums. Montags ist das Museum geschlossen.

Webseite

Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin

Ich glaube, dass es berechtigte Gründe für die Annahme gibt, dass Menschen, die gern Schokolade essen, auch ein Faible für Dinosaurier-Skelette haben. Der erste Grund ist der, dass ich, wie so viele Menschen, insbesondere ein wenig kindlich gebliebene, einfach gern von mir auf andere schließe. Punkt. Der zweite wurde eben auch schon angedeutet: Menschen, die gern Schokolade essen, haben meist eine gewisse kindliche Seite in sich konserviert. Und je kleiner der Mensch desto größer die Begeisterung für alte Riesenechsen. Wenn Sie in ein Naturkundemuseum gehen, werden Sie sehen, dass sich hauptsächlich die Altersgruppe von 3-10 vor den alten Monstern bzw. dem was von ihnen übrig geblieben ist, versammelt – abgesehen von den paar Älteren, die heimlich an ihrem Schokoriegel mümmeln und zur Tarnung hin und wieder mal in andere Räume schlappen.
Als Schokoholic werden Sie also zu schätzen wissen, dass Berlin das derzeit größte Saurierskelett der Welt beherbergt. Da sich die Funde und Zahlen ständig ändern, schelten Sie mich nicht, sollte, wenn Sie diesen Text lesen, gerade irgendwo in Tansania oder im Regenwald ein noch größerer Saurierknochenhaufen gefunden wurden sein – es wird nichts daran ändern, dass das Berliner Brachiosaurus-Skelett wirklich sehenswert ist:  Es ist über 13 Meter hoch, 15 Meter lang und 150 Millionen Jahre alt. Der Saurier ist Teil einer neuen sehenswerten Ausstellung über die Evolution. Wenn Sie mit dem Talent der meisten Schokoholics, nämlich chamäleonhafter Verwandlungsfähigkeit in punkto Vorlieben (zartbitter, süß, scharf, mild etc.) ausgestattet sind, können Sie sicher auch nach Anblick des Riesensaurierskeletts plötzlich Gefallen finden an der einfach wunderbaren Mineraliensammlung. Etwas Poetischeres habe ich selten gesehen – oder gelesen.
Das Museum für Naturkunde ist übrigens eines der größten und berühmtesten Museen seiner Art weltweit. Nach zweijähriger Umbauphase hat es im Herbst 2007 seine Pforten wiedereröffnet. Der Museumsdirektor meinte stolz in einem TV-Interview: „Das ist der größte Umbau, den wir seit 1899 hatten!“ Also, lassen Sie die nächsten hundert Jahre nicht naturkundelos verstreichen, kommen Sie jetzt.

Vom Naturkundemuseum müssen Sie nur die U6 (U-Bahnhof Zinnowitzer Straße) nehmen und „Französische Straße“ oder „Stadtmitte“ aussteigen und dann ein paar Schritte zum Gendarmenmarkt laufen. Sie können auch die ganze Strecke laufen, wenn Sie Berlin ein wenig kennenlernen und einen Bruchteil der vielen konsumierten Kalorien abstrampeln wollen (nicht, dass ich zu so etwas raten würde):

„Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus“

Schokoladengeschäft + Restaurant + Café

Charlottenstraße 60
10117 Berlin

Öffnungszeiten:
Schokoladenhaus
Mo–Sa 10 – 20 Uhr
Sonntag 11:00–20:00 Uhr
Schokoladen-Café und Schokoladen-Restaurant
Mo-So 11 - 20 Uhr

Webseite

Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus

Das Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus ist, wenn mir ein etwas unpassender Vergleich gestattet sei, so etwas wie der Mercedes Benz unter den Berliner Chocolatiers. Also arg staatstragend, pompös, hervorragend ausgestattet, nicht billig, aber irgendwie eindrucksvoll. Die Schaufenster des riesigen Schokoladen-Department-Stores mit integriertem Restaurant und Café zieren das Brandenburger Tor, der französische Dom und die Titanic – aus Schokolade versteht sich. Es gibt auch – ganz eruptiv-sinnlich – einen Schokoladenvulkan, der vor den armen Menschen, die sich draußen die Nase plattdrücken, munter vor sich hinsprudelt.
Drinnen irrt man ob der Vielfalt zwischen Plantagenschokolade, schokoladierten Trockenfrüchten, Pralinensortiment und Trüffeltheke fast ein wenig verloren umher – ein Fahrstuhl befördert einen in die obere Etage, wo das Café und das Restaurant zu finden sind. Auch hier ist alles weitläufig, der Blick über den Gendarmenmarkt touristengerecht und fotogen. Meistens ist es voll hier; abends sollte man auf jeden Fall einen Tisch bestellen.
So ein Schokoladendinner sollte man jedoch wenigstens einmal zu sich genommen haben. Ein kleiner Auszug aus der Speisekarte:
Ententerrine mit Kakaobruchstücken und kleinem Blattsalat; Blattsalat mit hauchdünn geschnittenem Lomo Embuchado und Süßholz-Dressing mit Plantagenschokolade; Rauchlachstatar mit weißer Schokolade und Lachskaviar, in der Jacobsmuschel serviert; Kreolische Schaumsuppe mit Eukalyptusöl und Plantagenschokolade Tobago.
Übrigens werden alle Speisen in Kakaobutter gebraten und mit Edelkakaos „abgerundet“.

Die Geschichte des Fassbender & Rausch-Schokoladenhauses ist beeindruckend: Seit 1863 stellte Heinrich Fassbender in unmittelbarer Nähe zum Gendarmenmarkt, in der Mohrenstrasse 10, feine Pralinen und Trüffel her. Wegen seiner außergewöhnlichen Kreationen wurde er zum Königlichen Hoflieferanten befördert. Einige Jahre später, 1890, eröffnete Wilhelm Rausch seine erste Confiserie, um feinste Schokoladen,  Pralinen und Honigkuchen an die Berliner zu bringen. Nach dem Ersten Weltkrieg erfreute sich die Confiserie besonderer Popularität: Die Berliner, zumindest die wohlhabenden, rannten kriegsmüde und genussorientiert wie sie waren, dem Chocolatier die Bude ein: Bald gab es schon sieben Rausch Confiserie-Geschäfte. Im Jahr 1999 taten sich schließlich die beiden Familien – Fassbender und Rausch (beide Unternehmen wurden von Kindern, Enkeln und Urenkeln weiter geleitet) zusammen, und es entstand das große Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus am Gendarmenmarkt. Der jüngste Inhaber der Rausch-Dynastie –  Jürgen Rausch –  hat ein ebenso schlichtes wie überzeugendes Credo für sein Unternehmen formuliert: „Gute Schokolade macht glücklich!“ Heinrich Fassbender hat ein genauso ergreifendes Motto: „Junge, Junge, denk an die Zunge!“

Ein weiterer empfehlenswerter Schokoladenort:

Café „Kavarna“

Gabriel-Max-Straße 4
10245 Berlin

Tel: 257 689 40

Café Kaverna

Eher modern und loungig eingerichtet ist das Café „Kavarna“, im Bezirk Friedrichhain gelegen (Schwerpunkte: Kaffee und Schokolade). Hier finden auch Veranstaltungen wie Lesungen, Kaffeeseminare und Schokoladenverkostungen (!) statt. Das Team ist sehr sympathisch; auch hier ist die Begeisterung fürs „Thema“ dem Ort und seinem Personal anzumerken.

„Erich Hamann“

Schokoladenfabrik

Brandenburgische Straße 17
10707 Berlin

Mo-Fr: 9-18 Uhr
Sa: 9-13 Uhr
Tel.: 030- 8 73 20 86

Im Westteil der Stadt:


Erich Hamann

Wir beginnen im fernen Charlottenburg, bei „Erich Hamann“. Bei „Erich Hamann“ stehen keine jungen Studentinnen im Retro-80s oder -70’s-Outfit mit gewölbtem Schwangerschaftsbauch und Tattoo auf dem Oberarm an der Theke wie in den hippen Läden im Prenzlauer Berg oder deren Filialen am Winterfeldplatz: Forsche Mittfünfzigerinnen stöckeln in Blütenkleidern auf einen zu, Frisuren wie Torten, Wangen wie Marzipanäpfel, goldene Klunkerringe an den überraschend zarten, das Lupfen von Pralinen und Trüffeln gewöhnten Händen. Kaum betritt man den Laden, der in einem modernistisch-schlichten Altbau am Konstanzer Platz untergebracht ist, heftet sich der feste Blick einer dieser entschlossenen Verkäuferinnen auf einen. Denn man hat es hier nicht so gern, wenn der Kunde ewig herumhängt, die Schokolade im Geiste kostet und tausend Packungen antatscht – die Damen bei „Erich Hamann“ möchten zur Sache kommen. Wie anders doch hier der Umgang mit Schokolade im Vergleich zu den „loungigen“ Prenzlauer-Berg-Schokoladentempeln ist, wo bewusst Wohlfühlkuschelflair, Wellness-Atmosphäre und angenehme Musik zum Verweilen einladen sollen. Hamanns Damen scheinen hier schon seit Jahrzehnten beschäftigt zu sein, man meint jedoch, vor 30 oder 50 Jahren hätten sie auch so ausgesehen wie jetzt. „Erich Hamann“ braucht kein „Retro-Design“ zu bemühen, denn der Laden ist selbst ein Standbild aus dem frühen 20. Jahrhundert –  man hat das Gefühl, von einer Zeitreisemaschine ausgespuckt worden zu sein. „Hamann“ ist ein Traditionsbetrieb, der schon im Jahr 1912 gegründet wurde. In den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erlebte dieses Unternehmen seine Blütezeit, bald wurden eine ganze Reihe von Filialen betrieben. Heute stellen die zwölf Mitarbeiter jedoch nur noch im Berliner Stammhaus die phantastischen Pralinen und Schokoladen her, die den Namen Hamann so bekannt gemacht haben. Was aber in der Hauptsache an der Qualität der Schokolade liegt. "Gute Schokolade knackt, glänzt und schmeckt", wissen Gerhard und Andreas Hamann.

Die damalige Zeit war überhaupt eine Ära der aufkeimenden Schokoladenbegeisterung in Berlin: Das schon erwähnte Fassbender & Rausch-Schokoladenhaus und auch die berühmte Sarotti-Manufaktur wurden damals ebenfalls gegründet.

Die Hamänner waren so klug, sich nicht dem jeweiligen Zeitgeist an den Hals zu werfen, sondern bei dem alten, ersten Verpackungsdesign aus den Zwanziger Jahren zu bleiben – also dem tischdeckenartig karierten Umschlagspapier, in dem alle Schokoladenerzeugnisse stecken. Darauf der wunderbare, geschwungene Schriftzug Erich Hamann. Mittlerweile hat es Kultstatus. Mehr ist nicht nötig, auf den Inhalt kommt es an.

Das einzige Zugeständnis an den Zeitgeist ist die vor einem Jahr eingeführte Sorte Chili. Dies ist im Übrigen nach Ansicht der Hamanns eine der wenigen Zugaben, die wirklich mit Schokolade harmoniert. Entsprechend betrachtet man hier die unzähligen abgefahrenen Schokoladenmischungen aus dem Ostteil der Stadt als trendige Eintagsfliegen. Bei „Erich Hamann“ gibt es keine Schweinskrusten-, Stutenmilch- oder Basilikum-Schokolade, sondern – neben Marzipankartoffeln und Geléefrüchten sowie einer phantastischen Pralinen und Trüffelauswahl –  ganz klassisch Zartbitter-, Edelbitter-, Vollmilch- und Mokkaschokolade. Besonders beliebt in Borkenform oder in Plättchen. Während an der Theke Geld und Schokolade ihren Besitzer wechseln, arbeiten in den hinteren Räumen die über 100 Jahre alten Schokoladenmaschinen.
Entsprechend der Anti-Trend-Haltung schließt der Laden pünktlich um 18.00 Uhr.
Von „Erich Hamann“ aus müssen Sie nur einmal kurz über den Kudamm promenieren, vielleicht 10 Minuten, dann sind Sie in der

"Café Konditorei Richter“

Giesebrechtstr. 22
10629 Berlin

Tel.: 3243722

Café Konditorei Richter

Das  Café der Konditorei Richter ist eines meiner Lieblingscafés im Alten Westen, schon allein wegen der Schloss-Neuschwanstein-Tapete, aber natürlich auch wegen der extrem guten Torten ... Manchmal ist der Inhaber mit dem schönen Namen Horst Richter auch dort, und das ist immer eine erfreuliche Begegnung. Der Inhaber ist auch der Konditor, das spricht für sich. Wer nicht unter der Fuchtel von jemand anderem backen, stanzen und streuseln muß, hat meist mehr Spaß an seiner Sache.

Auch hier hat man das Gefühl, eine Zeitreise anzutreten. Während man im gerade besuchten  „Erich Hamann“ meint, in die Welt der Zwanziger Jahre einzutauchen, sind es hier eher die Fünfziger Jahre. Die komischen, nicht eben eleganten Holzstühle und Tische, die riesige Motiv-Tapete, das entsprechende Wilmersdorfer-Witwen-Publikum, gelegentlich durchsetzt von ein paar jüngeren Leuten, die in den letzten Jahren vor den Mieten in Mitte, Prenzlauer Berg und neuerdings auch Kreuzberg in den westlichen Westen geflohen sind, tragen zur Atmosphäre bei. Als ich meine Ohren spitze, denn nichts tue ich lieber als anderen Caféhausgästen bei ihren Gesprächen zu lauschen, geht es um einen Schrebergarten („direkt unter der Autobahnauffahrt, aber schön! Und das haben wir schon seit 25 Jahren!“), dann werde ich Zeuge eines Für und Widers zweier Damen über verschiedene Teppichreinigungsmittel („das schäumt zu stark!“, „Nein, gerade richtig“, „Nee, zu stark“, „Nö – gerade richtig“ – Schweigen) und eines angeregten Gesprächs zweier alter Pärchen über „Urlaub auf Balkonien“, statt wie wohl zunächst geplant, in Österreich. Daneben dann zwei glatzköpfige gepiercte Männer, die immer wieder andächtig die Augen schließen, wenn sie einen Bissen ihrer Kirschtortenstücke zu sich nehmen.
Der Ort ist einmalig, die Kaffeehausmusik großartig, der Charme des Ladens nicht aufgesetzt oder kalkuliert – als „alte“ Westberlinerin fühle ich mich hier immer wie damals mit fünf Jahren am Rockzipfel meiner Mutter beim Kuchenholen nach dem „Kudamm-Shoppen“ – zu einer Zeit, als man dachte, Berlin würde ewig Oase und Frontstadt vor oder hinter, je nachdem, der Mauer sein und bleiben. Eine etwas triste, aber auch gemütliche Zeit.

Entweder wieder kurz übern Kudamm oder durch die Mommsenstraße im Charlottenburger Kiez geht es (ca. 7 – 10 Minuten) weiter zum

„nibs cacao“

Schokoladen-Café + Laden

Bleibtreustrasse 46
10639 Berlin

Mo – Sa 11-20 Uhr
So 13-18 Uhr
Tel.: 030 - 263 76 740

Webseite

nibs cacao

„Nibs cacao“ klingt wie einer dieser üblichen bedeutungslosen Nonsens-Nippes-Namen – es hat aber tatsächlich eine, wenn man so will, tiefere Bedeutung: „nibs“ ist der englische Begriff für Kakaobohnenbruchstücke – aus Sicht mancher Affectionados eine besondere Köstlichkeit. Zumindest bekommt man, wenn man sie sich zu Gemüte führt, mal einen Eindruck vom Ursprung der Schokolade und dem Grad der Verfeinerung, der nötig ist, um zur Tafel oder zum Trüffel zu gelangen. Nibs sind hart wie Nüsse, schmecken nach herber Schokolade, sind aber, da noch der Zuckerzusatz fehlt, wenig süß. Jetzt wissen Sie, was Nibs sind. Kennen Sie Churros?
Churros sind eine Spezialität aus Spanien. Ich selber habe zweieinhalb Jahre in Barcelona gelebt und den Tag oft mit ein paar Churros beginnen lassen, statt, wie vorher in Berlin, mit einem gesunden, aber vergleichsweise kargen Haselnuß-Haferflocken-Weizenkeime-Müsli mit fettarmer Milch.
Churros sind wurstähnliche Teigwaren, so ähnlich wie Pommes Frites, aber dicker und mit netten Riffeln an den Seiten. Die Riffeln rühren von der Churro-Maschine her, die die Churro-Würste so ähnlich ausspuckt wie eine Nudelmaschine die Pasta.
Die Churros werden in Fett gerollt und danach in warme, dickflüssige Schokolade getunkt.  Diese wird in einer Tasse serviert, was irreführend ist, ein Puddingbecher wäre passender. Und dann wird der schokoladierte Churro mit all seinen köstlichen Kalorien und Zuckermolekülen und Fettäugelchen in den Mund befördert. Will sagen: Man ißt sich ziemlich schnell satt und sollte als Laie immer erst eine kleine Portion Churros bestellen.
Bei der Schokolade kommt es stark auf die Qualität an, nicht jede Churro-Bude in Barcelona (ein Äquivalent zu unseren Pommes-Buden) bietet die beste Ware feil, aber das Berliner „nibs cacao“ verwendet hervorragende Schokolade – und man fährt gern quer durch die Stadt, nur um das Glück beim Churrosessen zu suchen und zu finden. Denn schon manch Versuch, sich zuhause schmackhafte Churros selbst zu machen, ist gescheitert – an der Fertigung der Teigwürste, an dem richtigen Wasserbad für die zu erhitzende Schokolade, an der Qualität derselbigen oder an der Unterschätzung der Fettmenge (dann schmeckt’s nicht richtig – es gibt Nahrungsmittel, die einfach keine Öko- bzw. gesunde Variante zulassen – hier muß man klar sagen: ganz oder gar nicht). Seien Sie kein Öko-Weichei. Für Schokoholiker ist dieser ganze grassierende Gesundheitswahn nicht die richtige Ersatzreligion (wie offenbar für so viele andere Mitmenschen, früher Rosenkranz, jetzt Rosenöl).
Wer weiter weg wohnt und nicht den Weg in die Bleibtreustrasse auf sich nehmen will, dem empfiehlt sich das Schokoladenabonnement: Jeden Monat ein Überraschungspaket frei Haus!
Nachteil: Churros können auf diesem Weg nicht an Ihren Gaumen gelangen.

Zucker-Museum

Amrumer Straße 32
13353 Berlin

Tel.: 030/ 314 275-74
Mo bis Do: 9.00 bis 16.30 Uhr
So/feiertags: 10.00 bis 18.00 Uhr

Webseite

Zuckermuseum

Nun haben Sie ziemlich viel gegessen. Sie könnten entweder noch weiter in den Westen fahren und einen Gang um den Lietzensee einlegen oder – mein Vorschlag – sich zur Weiterbildung ins „Zuckermuseum“ begeben (U-Bahn Linie 9 Station „Amrumer Str.“ oder Linie 6 bis „Seestraße“). Nach dem hemmungslosen Schlemmen ist ein kleiner Verdauungsspaziergang mit anschließender vertiefender Erfahrung in Sachen Süßspeisen nicht verkehrt.

Hier erfährt man – durchaus kritisch im Tenor – einiges über die 8000-jährige Geschichte des Zuckerrübenanbaus und dessen Verwertung. Es gibt einzelne Räume zu Themen wie „Kolonialzucker für Europa“, „Plantagen und Sklavenwirtschaft“ oder, nicht ohne Pathos: „Zuckerrübe: Königin der Feldfrüchte“ oder schlicht und lehrreich „Ohne Zucker kein Alkohol“ und „Zuckerkonsum“. Nach den vielen wissenschaftlichen Ausführungen appelliert die  letzte Ausstellungsstation noch einmal so richtig an die Gefühle der visiting sugarholics: „Was wäre die Welt ohne Zucker?“

Das Berliner Zucker-Museum ist das älteste Spezialmuseum seiner Art in der Welt. Im Jahr 1904 wurde es zusammen mit dem Institut für Zuckerindustrie zunächst im Wedding eröffnet. Als Gründung der deutschen Zuckerindustrie kam das Museum nach 1945 in den Besitz des Landes Berlin und wurde 1978 von der Technischen Universität Berlin übernommen. Seit dem 1. November 1995 gehört es zum Deutschen Technikmuseum Berlin (Achtung: der Standort des Technikmuseums ist aber nicht identisch mit dem des Zuckermuseums in der Amrumer Str.). Dem Standort des Museums kommt eine besondere Bedeutung zu, da Berlin Schauplatz bedeutender Vorgänge in der Geschichte des Rübenzuckers ist (was uns als Steilvorlage für die bedeutenden Vorgänge in der Geschichte der Schokoladenproduktion gar nicht so recht überrascht!): Hier entdeckte 1747 Andreas Sigismund Marggraf, der berühmteste Chemiker seiner Zeit im deutschsprachigen Raum, den Zucker in der Runkelrübe. Nun ja – danke, Sigismund Marggraf, danke Runkelrübe.


Der Bezirk Schöneberg ist ein Eldorado an schönen Schokoladencafés:

Weit haben Sie es vom Zuckermuseum nicht, um Theorie wieder in Praxis umzusetzen. Zwei der schönsten loci chocolati aus dem Prenzlauer Berg haben Filialen am Winterfeldplatz aufgemacht.
In’t Veld, Filiale vom Laden in der Dunckerstraße (Prenzlauer Bergl), Winterfeldstraße 45, 19781 Berlin (Text bitte unter „Ostteil“ nachlesen)
 Albrecht’s Patisserie, 1. Filiale vom „Muttergeschäft“ in der Rykestraße im Prenzlauer Berg,   Winterfeldstraße 45 (direkt am Winterfeldplatz), 10781 Berlin (Text bitte unter „Ostteil“ nachlesen)
Die „Albrecht’s Patisserie“ hat auch noch in Wilmersdorf eine weitere Filiale:
Albrecht’s Patisserie, 2. Filiale vom „Muttergeschäft“ in der Rykestraße im Prenzlauer Berg,  Fasanenstraße 29, 10623 Berlin

In Schöneberg liegt auch das wunderbare Schokoladengeschäft  „Das süße Leben“ (hier können Sie zum Beispiel Proviant für danach folgende längere U-Bahnstrecke nach Kreuzberg einkaufen):

„Das süße Leben“

Salzburger Straße 7
10825 Berlin

Tel. 030-74760500
Mo bis Fr 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr

Sa 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr

Webseite

Das süße Leben

„Das süße Leben“ ist ein wunderbarer Laden in Berlin-Schöneberg, der seinesgleichen sucht. Über 100 Sorten erlesener Pralinen warten auf den unterzuckerten Kunden! Die Schokoladen-Spezialistinnen Ingrid Lang und Karin Krömer-Rüde testen alles selbst, bevor sie es einkaufen, und man kann Ihnen nicht Monotheismus, Sektierertum oder Engherzigkeit vorwerfen. Wie viele andere bedeutende Chocolatiers haben auch Sie eine großartige Lebensweisheit von sich gegeben: „Alles ist gut, wenn es aus Schokolade ist“.
Wie Sie schon gemerkt haben, befinden sich viele Philosophen unter den Chocolatiers.
„Das süße Leben“ kann ich auch noch aus einem anderen Grund empfehlen: Hier finden nämlich, ähnlich wie bei „Karvarna“ in Berlin-Friedrichshain, Schokoladenverkostungen statt. Man sollte rechtzeitig vorher buchen, denn der Andrang ist groß. In einer kleinen Gruppe erfahren Sie viel über die Kulturgeschichte des Kakaos und die Geheimnisse der Schokoladenherstellung. Man kann hemmungslos fragen, was man schon immer über Schokolade wissen wollte (ich erinnere mich an eine lebhafte Diskussion über die angebliche „aphrodisierende“ Wirkung von Schokolade). Natürlich werden auch verschiedenste Schokoladenkreationen probiert – die Stimmung ist ähnlich wie bei einer Weinprobe. Aber: Ziehen Sie sich warm an! Denn wegen der vielen Schokoladen und Pralinen ist im Verkaufsraum nicht geheizt. Die Raumtemperatur liegt konstant bei etwa 18 bis 20°C. Im Sommer werden Klimaanlagen angeworfen. Dies bekommt auch den sehr empfehlenswerten Birnen-Spezialitäten der Berliner Firma „Herr von Ribbeck“ gut.

Wer es nicht hierher schafft, dem sei unbedingt das Pralinen-Memory-Spiel auf der Website vom „Süßen Leben“ empfohlen: Es ist das schönste Memory-Spiel, das ich kenne. Sie finden es unter dem Begriff „Pralinen-Spiel“. Ich bin eigentlich kein Internet-Junkie, aber bei dem Pralinen-Memory musste mich mein Liebster mal nachts um vier vom Computer wegtragen – ich konnte nicht aufhören.

Nun dürstet es Sie wahrscheinlich erst einmal nicht mehr nach Kakao, sondern nach Kunst: Daher möchte ich Ihnen noch die „Berlinische Galerie“ in Kreuzberg, mein derzeitiges Lieblingsmuseum, ans Herz legen:

Berlinische Galerie

Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur

Alte Jakobstraße 124
10969 Berlin

täglich (außer Dienstag) 10 - 18 Uhr
Tel.: 030-789 02 600

Webseite

Berlinische Galerie

Die „Berlinische Galerie“ präsentiert in Berlin entstandene Kunst von 1870 bis heute: Die Sezessionisten und die Jungen Wilden, Dada und Fluxus, Neue Sachlichkeit und Expressionismus, Russen in Berlin, die Avantgarde in Architektur und Fotografie, Berlin unterm Hakenkreuz, die Stadt in Trümmern, Kunst aus dem Ost- und dem Westteil der Stadt, aus der wiedervereinten Metropole und sehr vieles, auch gute temporäre Ausstellungen, aus der zeitgenössischen Szene. Ich habe hier noch keine Ausstellung besucht, deren Besuch sich nicht gelohnt hätte.
Das Gebäude an sich ist sehenswert, und wenn Sie durch die Alte Jakobsstraße eilen und schon von Weitem eine große Fläche mit ausgestanzten Buchstaben auf gelbem Plastikboden vor einem Eingang sehen, wissen Sie, dass Sie richtig gelaufen sind.
Auch der Kuchen in der Cafeteria ist in Ordnung.

Und noch ein guter Tip für die Schoko-Pause:

Kreuzberg-Museum


Hier lernt man den Bezirk Kreuzberg unter soziologischen, (inter)kulturellen und stadtplanerischen Aspekten besser kennen.
Ein Ausstellungssegment behandelt zum Beispiel das Thema Immigration:
Verschiedene Einwanderungsgruppen wie Hugenotten, Italiener und Türken werden vorgestellt. Soziologisch untersucht wird auch die jüngste Einwanderungsgruppe in Berlin-Kreuzberg . Es sind – die  Schwaben.

Den Abschluß der Schokotour West krönt ein Besuch des schönen Cafés am Engelbecken:

„Café am Engelbecken“

Michaelkirchplatz /Engelbecken
10179 Berlin

Mo bis So 10 – 24 Uhr
Tel.: 28 37 68 16

Webseite

Café am Engelbecken

Das „Engelbecken“ ist noch nicht auf allen Berliner Stadtplänen zu finden. Auf meinem Stadtplan von 2004 ist statt des Teichs noch eine grüne Fläche, eine Wiese, eingezeichnet. Irgendwann jedoch stieg immer mehr das Grundwasser immer nach oben, und plötzlich entstand ganz ungeplant ein See mitten in der Stadt zwischen 4- und 5-stöckigen Häusern. Früher ist hier freilich schon mal Wasser langgeflossen. Der jetzt begrünte, mit Gehwegen und etwas seltsamen Bronze-Skulpturen versehene Kanal führt unter Brücken bis zum Oranienplatz. In den Zwanziger Jahren wurde er durch den „Schlitzer vom Engelbecken“ berühmt-berüchtigt, der ein paar Menschen dort ins Jenseits beförderte. Der in kaum einem Stadtplan verzeichnete neu entstandene Sponti-Teich an der Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte blieb zunächst eine Art Geheimtipp. Im Winter liefen Anwohner zwischen den bizarren Schatten von Fabrikschornsteinen, Plattenbauten, Dachausbauten und der St. Michaelskirche Schlittschuh, ansonsten stapften Dealer mit ihren Tölen und Wagenburgler mit ihren Zotteln dort entlang.
Die Gegend war seltsam, nicht mehr richtig Kreuzberg und auch nicht Mitte, eher ein Niemandsland am ehemaligen Todesstreifen. Was mit dem Wasser, das keinen Abfluß hat, passieren sollte, war niemandem klar und schien auch niemanden zu interessieren. Türkische Familien begannen dort zu picknicken, ein paar Punks kifften abends gemütlich am Ufer.
Eines Tages – ich wohnte mehrere Jahre in unmittelbarer Nähe des Engelbeckens – stand ein komischer Metallkasten am Wasser, eine Art Box für Bauarbeiter. Nichts geschah. Anwohner rätselten; man dachte sich, daß das Bassin wohl wieder zugeschüttet werden und ein kleiner Park entstehen sollte. Dann kam plötzlich Leben in die Box. Holzbänke und -tische wurden am Ufer aufgebaut, es rauchte aus dem Schornstein. Auf einmal war da eine Oase der Ruhe und des Wohlfühlens am ehemaligen Todesstreifen; weiße Bänke, Stühle und Tische vermittelten südliches Flair, obendrein schwamm seit einer Weile auch noch ein Schwanenpaar auf dem trüben Teich, das im letzten Sommer Junge bekommen hat. Guckt man nach links, sieht man unrenovierte Altbauen aus Kreuzberg 36, nach rechts die Rückseiten der Plattenbauten von der Heinrich-Heine-Straße; heterogener geht’s nicht. Entsprechend gemischt ist auch das Publikum: Bunte Kreuzberger Langschläfer und brave Plattenbau-Pärchen um die Fünfzig sitzen plötzlich beim Bier nebeneinander. Türken aus dem alevitischen Kulturzentrum in der Waldemarstraße und Vietnamesen aus den Asia-Shops und – Take aways der Heinrich-Heine-Straße, deren Lebenswege sich sonst vermutlich nie kreuzen würden, treffen an der Bar aufeinander und begutachten jeweils ihren Nachwuchs.
Ja, an den Nachwuchs, der nicht nur in Prenzlauer Berg, sondern auch in Kreuzberg allerorts anzutreffen ist, haben die Inhaber des „Café am Engelbecken“ nicht so recht gedacht. Die Holzstege, auf denen die lauschigen Tische und Stühle stehen, reichen direkt bis ans Wasser. Und da steht mannshoch Schilf, und plumps, geht’s ab in’s Naß. Als ich im Sommer wieder einmal die zweihundert  Meter von unserer Wohnung zum „Café am Engelbecken“, meinem Stammcafé, ging, drang schon von Weitem aufgeregtes Geschrei an mein Ohr. Ein Zweijähriger war beim Schwäne-Gucken vom  Steg ins Wasser gefallen – ein Mann lag quer über den Steg und schaffte es schließlich, das klatschnasse, nach Atem ringende Kind aus dem Schilfgeäst zu befreien und nach oben zu zerren. Wie tief das Wasser des Engelbeckens ist, weiß niemand. Sicher nicht tief, aber sicher zu tief für Kleinkinder. Andererseits ist es aber auch ganz schön, mitten in der Berliner Innenstadt auf einen Ort stoßen zu können, wo ein schimmernder Teich nicht mit häßlichen Balustraden oder Mauern blickfern gehalten wird. Etwas Risiko gehört dazu. Die gepiercte Lady neben mir schnürt sich ihren Kleinen mit einem Batiktuch fest auf den Rücken - so geht es auch.   

Mittlerweile ist das „Café am Engelbecken“ kein Geheimtipp mehr. Das ist wohl der Lauf der Dinge, alles, was schön, skurril und gemütlich ist, gefällt meist nicht nur einem selber, sondern auch noch einer ganzen Reihe anderer Leute. So ist das mit dem kollektiven Individualismus. Und wenn ein Café seine Anziehungskraft dann auch noch gerade daraus bezieht, die unterschiedlichsten Leute zu versammeln, dann liegt es in der Natur der Sache, daß eine weiße Holzbank an die nächste gerückt wird, bis man vom Ufer nicht mehr viel sieht. Die Gespräche über das Wohlergehen des Schwanenpärchens und seines Nachwuchses machen überall die Runde, machen sprechen schon vom „Schwanencafé“, und schon sieht man die ersten Leute aus dem Scheunenviertel und vom Boxhagener Platz, die extra angereist gekommen sind, um den sich spiegelnden Vollmond zwischen Schilfgräsern auf dem Wasser zittern zu sehen.

Falls Sie Ihre Tour als eine Ost-West-Tour zusammengestellt haben, kommen Sie vielleicht vom oben erwähnten größten Schokoladenhaus Europas, dem „Fassbender & Rausch“- Schokoladenhaus am Gendarmenmarkt. Dann empfehle ich die ganze Tour (oder Teile) in umgekehrter Richtung.

„La Maison du Chocolate“

Restaurant & Café

Benkertstraße 20
14467 Potsdam

im Holländischen Viertel von Potsdam
Tel.: 0331- 2370 730

Webseite

And last but not least:


Tipps für Potsdam:

La Maison du Chocolat

Wen es schon mal nach Potsdam verschlagen hat, der wird sich nicht nur kurz hier aufhalten wollen, sondern vermutlich für einen Tagestrip unterwegs sein. Da braucht der Körper natürlich Energie, ein bisschen Kraftfutter. Also gehe man doch zielstrebig ins „Maison du Chocolat“.
Hier kann man wirklich sehr sehr guten Kuchen verspeisen, die Sorten aufzuzählen käme Selbstquälerei gleich, denn ich befinde mich in gut anderthalbstündiger Entfernung von Potsdam und dem „Maison du Chocolat“, und es sieht nicht so aus, als ob ich in allernächster Zeit dort einkehren könnte.
Von einem Linguisten habe ich mal gehört, dass Doppelungen wie „sehr sehr“ albern seien und die Bedeutung, die man einer Angelegenheit beimessen möchte, auch nicht weiter steigern – kurz: Ein einziges trauriges „sehr“ habe zu reichen. Aber ich glaube, dass dies falsch und albern didaktisch ist, denn allein der sprachlich unschöne Aspekt des „sehr sehr“ führt beim Leser zu Irritation, Aufhorchen, Nachfühlen, gedanklichem Nachschmecken... warum macht der Autor so einen Quark? Bitte, probieren Sie mal den Apfelkuchen oder die große Schokotorte – und auch Sie werden mit vielen vielen „sehr sehr“s auf den Lippen nach Hause fahren - und Potsdam in bester Erinnerung haben.
Hinzu kommt nämlich, dass man im „Maison du Chocolate“ auch einfach sehr sehr gut (herum)sitzen kann. Besonders schön ist es, wenn man draußen schokoladieren kann, daher empfiehlt sich für dieses wunderbare, gemütliche, etwas trubelige Café die wärmere Jahreszeit. Und die beginnt bei Berlinern und Brandenburgern bekanntlich Anfang März und geht bis Mitte November. Ohne Scherz. Und falls Sie draußen doch ein bisschen frösteln sollten (wer weiß, wie es so mit den Heizpilzen weitergehen wird?), dann bestellen Sie sich einen zünftigen Kakao, der ist nämlich auch sehr sehr gut hier. Es gibt eine puddinghafte Variante – eine wahre Schokobombe - und die flüssigere (hat’s auch in sich). Machen Sie nicht den Anfängerfehler, sowohl ein Stück der Großen Schokotorte als auch einen Kakao zu bestellen: Sie schaffen nicht beides.
Wenn Sie schon mal in Potsdam sind, sollten Sie die Gelegenheit beim Schopfe packen und sich noch weitere Schokoladentempel anschauen. Immerhin gibt es drei in der vergleichsweise kleinen Stadt (aus Berliner Sicht, kein Potsdamer wird dies gern lesen. Nennen Sie Potsdam NICHT eine kleine Stadt oder gar eine Kleinstadt, wenn Sie dort herumspazieren und schokoladieren, sondern sprechen Sie ehrfurchtsvoll von der „Hauptstadt des Landes Brandenburg“).

„Schokokunst Potsdam“

Café mit Galeriecharakter

Hebbelstraße 46
14467 Potsdam

am Rande des Holländerviertels in Potsdam
Di bis Fr: 11 - 18. Uhr
Sa: 10 - 18 Uhr
So: 14 - 18 Uhr,
Mo geschlossen (!)
Tel.: 0331- 2705599

Webseite

Weitere Tipps für Potsdam:

Schokokunst Potsdam


„Schokolade macht glücklich, Schokolade ist gesund. Schokolade herzustellen ist eine hohe Kunst. Deshalb ist „SchokoKunst“ der Laden für Schokoladensüchtige.“

Derart vielversprechend beginnt der Einführungstext auf der Website von „Schokokunst Potsdam“ – ein Ort, der die beiden Begriffe dieser Literatour, nämlich Schokolade und Kunst, aufs Schönste miteinander amalgamisiert. Aber mal ehrlich: Der Schokokunst-Laden ist eher für seine gute Schokolade, will sagen seine Schokoladenkünste berühmt als für seine Kunst jenseits der Schokolade. Es gibt schönes Porzellan hier und anderes schokoladenkompatibles Kunsthandwerk. Erwarten Sie aber keine Gemälde, die demnächst in der Neuen Nationalgalerie hängen werden.  
Was wirklich für den Laden spricht, ist, dass seine Besitzerin, Susanne Müller, ebenso wie Holger In’t Veld aus dem fernen Prenzlauer Berg, wirklich ein passionierter Schokoholic mit bemerkenswerten Fachkenntnissen ist. Man kann sie alles fragen, über verschiedene Schokoladenkreationen und -geschmacksrichtungen, über die Musik aus dem Film „Chocolat“ (die hier oft läuft) oder nach passendem Rotwein zur dunklen Schokolade ... womit auch immer man ankommt, Frau Müller nimmt ihr Sujet bitterernst, und das steht ihr gut. Die Fotografien aus Havanna (nicht nur ein Tabakparadies) an den Terracotta-Wänden stammen übrigens von ihr selbst und sind nicht das Schlechteste, was dieser Laden an Kunst zu bieten hat.
Frau Müller berät auch fachkundig in kniffligen Fragen bezüglich des in ihrem Laden käuflich erwerbbaren Schokoladenbiers oder des Schokoladenparfums, dessen Anwendung doch ein wenig Fingerspitzengefühl erfordert.

Auch noch Schokolade:

„Altes Potsdamer Tee & Gewürz Kontor“

(alter Laden, auch mit Schokolade im Angebot)

Brandenburgische Straße 11
14467 Potsdam

Lindenhof-Passage
Tel.: 0331-2701897

Webseite

Auch noch Schokolade:

Altes Potsdamer Tee & Gewürz Kontor


In Potsdam gibt es genug Museen und Sehenswürdigkeiten, die nach oder vor dem Schokopäuschen angeschaut werden können – diese sind in jedem Stadtführer zu finden, daher findet sich hier an dieser Stelle keine Extra-Erwähnung.