Die Entstehung der Rubrik sowie die Berliner Literatouren wurden 2008 ermöglicht durch die Berliner Landesinitiative »Projekt Zukunft« kofinanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Veronika und Christoph Peters

Was uns fehlen würde...

Tobias Bohm
ca. 6 Std ca. 19 km Familientour

Diese Ost-Berliner Tour beginnt im schönen Prenzlauer Berg, zentriert sich in Friedrichshain, und endet schließlich im Tierpark Friedrichsfelde.

Als Hör-Tour

Gelesen von Nina West
Laufzeit: 20:28 min

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Veronika und Christoph Peters

»Was uns fehlen würde...«

Fotos: Tobias Bohm

Carla, Christoph und Veronika Peters machen eine Familientour.

»Wir sind zwei große und ein kleiner Mensch, haben einen freien Tag und Lust, ihn damit zu verbringen, uns mal wieder zu vergegenwärtigen, warum wir gerne in dieser Stadt leben. Konzept: Lieblingsorte-Tour für drei. Material: Mann, Frau, Kind, Schrippe. Stationen: Frühstück, grüner Tee und eine Übung der Geduld, Ausweichmanöver im Park, Versuch der Klärung einer existentiellen Kinderfrage, lecker Essen mit dem besten „Ich seh etwas, was du nicht siehst“ aller Zeiten, Rundblick über die Stadt für Leute, die sich die Wirklichkeit hinter den Dingen vorstellen mögen, etwas Waghalsigkeit mit Nostalgie, Auffrischung des „Boulevardgefühls“, Bücherfinden, Kaffee beim theoretischen Kommunismus, Erinnerung an einen motorisierten Traum und Frischluft bei diebischen Halbaffen. All das würde uns fehlen, wenn wir nicht hier leben würden und wenn die Mauer noch da wäre.«



enten und katzen

Bio-Deli und Café

Winsstraße 58
10405 Berlin

Tel.: 030 440 41 552

Webseite

enten und katzen

Angesichts unseres satten Tagesprogramms machen wir erst mal Frühstückspause. Unter der Überschrift „Bio-Deli-Cafe“ (nicht zu viel Bio, genug Deli und reichlich guter Kaffee) findet sich für jeden von uns dreien etwas, um den Lieblingsorte-Tag würdig einzuläuten. Die verklinkerte Fassade lässt bei dem Niederrheiner gerade so viel Heimatliches anklingen, dass es noch angenehm ist, die Kaffeesüchtige weiß, dass die Frau hinter der Theke schon bei ihrem Anblick die Maschine anwerfen wird, und die Tochter betritt mit den Worten „Brezel, Saft, wo ist die Baukiste?“ ähnlich wohlgestimmt den Laden. Vielleicht leben wir auch deshalb gern in Berlin, weil es inmitten der städtischen Weite und Anonymität, in der sich zu verlieren auch schön sein kann, diese Inseln dörflicher Vertrautheit gibt, die man heutzutage in den tatsächlichen Dörfern kaum noch findet. Im enten und katzen jedenfalls kann man ebenso unhektisch wie endlos vor oder im Laden sitzen, mit der Bedienung plaudern oder es sein lassen, dick nach Wahl belegte Brötchen vertilgen und sich vom polierten Edeldesign der allgegenwärtigen „Coffeeshops“ erholen. Der Rundblick übers bunte Warenallerlei wirkt anregend auf Menschen, die gerne kochen und solche, die sich gerne bekochen lassen (in unserem Fall im Verhältnis 1:2). Schreibende bekommen hier im Sommer schon mal das Stromkabel nach draußen gelegt, wenn der Akku schlapp macht, oder von der Chefin etwas bei Wikipedia recherchiert, wenn der Text an einer einzigen fehlenden Information zu scheitern droht. Und im Notfall kann man sich neben lecker Schinken, Obst und Gemüse auch mit Katzenstreu eindecken. Letzteres ist aber nur zu empfehlen, wenn man keine weitere Tour vor sich hat.

Runge & Graf

Teefachgeschäft

Käthe-Niederkirchner-Str. 15
10407 Berlin

Tel.: 40043273
Mo-Sa 10 -20 Uhr

Webseite

Runge & Graf

Zugegeben: dieser Lieblingsort ist sogar innerhalb unserer Tourmannschaft umstritten und tagesformabhängig. Ein Teeladen der besonderen Art, der nur und ausschließlich solchen zu empfehlen ist, die es auf keinen Fall eilig haben und für die Übung in der Tugend der Gelassenheit kein Fremdwort ist. Die Mischung aus meditativer Langsamkeit und kreativem Chaos ist nicht jedermanns Sache, wer sich aber darauf einlassen mag, kann erfahren, dass mitten in Berlin etwas Merkwürdiges mit der Zeit geschehen kann.

Liebhaber erlesener Tees finden eine erstklassige Auswahl von Spitzenqualitäten aus allen berühmten Anbaugebieten. Viele davon Exclusivimporte, darunter eine große Zahl aus kontrolliert ökologischer Landwirtschaft. Der Niederrheiner kauft Tamaryokucha von der japanischen Insel Kyushu, weil der schmeckt wie sattes, frisch gemähtes Gras riecht.

Etwas enttäuscht finden wir den Teemeister heute nicht wie sonst mit feuerrot hennagefärbtem Haar und sakral anmutendem langen schwarzen Gewand vor: Er trägt Jeans, Pullover und kurze angegraute Haare, was ihn allerdings nicht dazu bringt, ein westeuropäisches Tempo anzunehmen. Das hinwiederum beruhigt uns enorm.

Wer aber meint, das sei nun definitiv nichts für Kinder, dem sei gesagt, dass unseres stets freudig die beiden chinesischen Steinlöwen rechts und links der Tür begrüßt, anschließend auf das zerschlissene Ledersofa klettert, die Nase hebt und murmelt: „Hier riechts aber gut!“ und sich die Wartezeit damit verkürzt, kuriose Dinge wie Jadedrachen und ein als Teeregal benutztes Klavier zu kommentieren.

Elterntipp: Vor dem Betreten des Runge & Graf Gummibärchenbelohnung versprechen, falls keine Teeschale zu Bruch geht.

Volkspark Friedrichshain

Am Friedrichshain & Danziger Straße & Friedenstraße & Landsberger Allee & Margarete-Sommer-Straße & Virchowstraße

Schwanenteich im Volkspark Friedrichshain

Zu den frischluftfanatischen Leuten gehören wir nicht gerade, aber trotzdem: kein Familienausflugstag ohne Gang durch den Lieblingspark. Angeblich hat sich Gustav Meyer 1870 bei der Erweiterung des Volksparks Friedrichshain am New-Yorker Central Park orientiert, was uns reichlich merkwürdig vorkommt. So groß ist er nun auch wieder nicht. Und wofür braucht man ein amerikanisches Vorbild? Wir entwickeln aus den nervenden Joggern, Rollschuhfahrern (früher hießen die so), Fahrradraudis und Hundebesitzern eine Art Überlebenstraining für die Tochter: Reaktionsvermögen, Schnelligkeit und Selbstbewusstsein in Augenhöhe eines übergewichtigen Rottweilers. Carla findet’s lustig. Am Schwanenteich will sie wissen, wieso der Schwanenteich nicht Ententeich heißt, wo sie doch noch nie einen Schwan drauf gesehen hat. „Vielleicht weil’s damals, als der Teich seinen Namen bekommen hat, noch Schwäne gab.“ – „Aber jetzt ist Schwanenteich geschwindelt.“ – „Stell dir einfach vor, es wären Schwäne drauf.“ – „Luftschwäne?“ – „Ja.“ – „Sind Luftschwäne geschwindelt?“ – „Ich glaube nicht.“ – „Na gut.“

So einfach kann die Vermittlung des Verhältnisses von Wirklichkeit und Fiktion sein!

Bei unserem letzten Besuch waren die Enten so fett und faul, dass sie sich nicht herabgelassen haben, unserem vor Enttäuschung weinenden Kind auch nur einen Weißbrotkrumen abzunehmen. Heute finden wir das Schild „füttern verboten!“ vor, die Viecher fressen die mitgebrachte Schrippe in Rekordzeit und werden wieder in unsere Herzen aufgenommen.

Schönbrunn

Café/ Restaurant/ Biergarten

Am Schwanenteich im Volkspark Friedrichshain
10249 Berlin

Tel.:  030 46 79 38 93

Webseite

Restaurant Schönbrunn im Volkspark Friedrichshain

Zeit für eine Frischluftpause, Zeit für das Mittagessen: Es sind nur wenige Schritte vom Teich zum Schönbrunn, wo das Wiener Schnitzel unbedingt zu empfehlen ist und der Milchreis mit drei Himbeeren und karamellisierten Äpfeln jedes Kind glücklich machen dürfte. Die Kuchenvitrine bietet so wohlklingende und -schmeckende Dinge wie „Linzer Nusskuchen“, „Baumkuchentorte“, „Schokosahne“ oder „Bretonischer Apfelkuchen“. Wer hier hungrig wieder herausgeht, ist selber Schuld! Wer sich mit einer kalorienbewussten Freundin verabredet auch!

Bei der Platzwahl ist zu bedenken: die fünf schwarz-weißen Plastikkühe (der informierte Niederrheiner weiß, dass die Rasse eigentlich schwarz-bunt heißt) auf dem benachbarten Flachdach geben Anlass zu einem der besten „Ich-seh-etwas-was-du-nicht-siehst-Rätsel“, das man sich vorstellen kann. Es kann lange dauern, bis ein Erstbesucher des Schönbrunn von „...und das ist schwarz.“ auf die Flecken der zweiten Kuh von rechts kommt.

Im Sommer meiden wir die von szenigen jungen Menschen überbevölkerte Terrasse, aber drinnen wird es meistens erfreulich still. Der Service ist seit einiger Zeit auch richtig nett, und würde man nicht im Winter zu oft mit leerem Magen und voller Schnitzelvorfreude vergeblich an der geschlossenen Tür rütteln, könnte man schoenbrunner Stammgast werden.

Volkspark Friedrichshain

Auf dem grossen Mont Klamott

Zwei ehemalige Flakbunker, aufgeschüttet mit den Trümmern angrenzender Wohngebiete, angelegt und bepflanzt: das sind der große und der kleine Bunkerberg, im Volksmund „Mont Klamott“. Das klingt nett – auch dann noch, wenn man weiß, dass Wolf Biermann einmal das Wort „Apfelkompott“ darauf gereimt hat. Was kann der Bunkerberg dafür?

Wir machen dem kleinen Mädchen den Aufstieg auf den größeren der beiden mit „da kann man über das ganze Berlin gucken“ schmackhaft, ohne vorher bedacht zu haben, dass wir bislang nur im Winter oben waren. Bei unserer Ankunft ist die Plattform ringsum von blickdichtem Blattwerk umgeben. In die Mauer sind Schriftzüge mit den Sehenswürdigkeiten und Stadtteilen eingemeißelt, die man an den entsprechenden Stellen sehen könnte, wenn man was sehen könnte. Alles Weitere bleibt unserer Vorstellungskraft überlassen. Wir versuchen das erzählerisch zu kompensieren, aber der Tochter ist die Wirklichkeit hinter dem Grün egal. Sie beschließt, Zirkus zu spielen und rennt im Kreis, ist ein Pferd, das mit roten, weißen und blauen Federbüschen geschmückt ist. „Und Glitzerpferdedecke!“ Sie lässt sich von ihrem Vater auf die Mauer heben und hüpft arglos über „Alexanderplatz/Fernsehturm“, „Berlin Mitte“, „Brandenburger Tor“, „Tiergarten“. Das Grün schillert stellenweise bereits in Gelb und Rot. Schön sieht das aus. Eine Verheißung auf den baldigen Blick in die Berliner Weite...

Und wer weiß, ob wir den Echopunkt entdeckt hätten, wenn die Aussicht unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht hätte? Der hat uns nämlich eine ganze Weile ziemlich viel Spaß gemacht!

Straussberger Platz

Berlin-Friedrichshain

Über die Karl-Marx-Allee ist der Straußberger Platz mit dem Alexanderplatz und über die Lichtenberger Straße mit dem Platz der Vereinten Nationen verbunden.

Straussberger Platz

Niemand soll sagen, wir hätten davor nicht gewarnt: Es ist gefährlich eine mehrspurige Strasse zu überqueren, wenn da weder Ampeln noch Zebrastreifen sind! Und noch dazu mit einem Kleinkind! Tun Sie das nicht, auch wenn es lustig ist!

Unter Einsatz unseres Lebens überqueren wir den Kreisverkehr und kommen zum großen Ringbrunnen von Fritz Kühn, in den man im Sommer hineinsteigen kann, wenn man nicht sonderlich empfindlich in punkto Sauberkeit des Wassers ist und den Gedanken ignoriert, dass das Baden im Brunnenbecken möglicherweise genauso untersagt ist, wie das Herumlungern auf der vom Autoverkehr umtosten Wiese. Wir haben jedenfalls schon öfter die Füße ins kühle Nass hängen lassen und nach mancher Kneipentour auf der Umrandung liegend in die Sterne geschaut, während das Spritzwasser langsam unsere Kleider durchnässte. Ein ehemaliger Nachbar hat mal erzählt, der Brunnen wurde früher „Margots Brosche“ genannt, weil er wie eine riesige Kopie der Schmuckbroschen aussah, die Frau Honecker zu tragen pflegte. Aber vielleicht hat der Nachbar sich das nur ausgedacht, der war ein Geschichtenerzähler.

Flankiert wird der Platz von abgetreppten dreizehnstöckigen Hochhäusern. In einem von ihnen, dem „Haus des Kindes“ befand sich einmal ein Dachcafé, in das Erwachsene nur in Begleitung von Kindern durften. Carla gefällt diese Geschichte. Immer wenn wir am Straussberger Platz sind, werden wir ein wenig melancholisch. Hier haben wir in unseren ersten Berliner Jahren gewohnt und hatten das Glück, über einen Trittbalkon mit Blick auf den Brunnen zu verfügen. Wenn die meterhohe Fontäne angeschaltet war, übertönte bei geöffnetem Fenster das Rauschen des Wassers den Straßenlärm. Einmal sah ich die schöne Brasilianerin von nebenan in einem schneeweißen Leinenkleid dem Wasser entsteigen und fragte mich kurz, ob ich dem traurigen Single im Stockwerk unter uns Bescheid sagen sollte.

Karl-Marx-Allee

Die Karl-Marx-Allee ist zusammen mit der Frankfurter Allee eine der acht nach Norden, Nordosten und Osten führenden radialen Ausfallstraßen, die vom historischen Zentrum der Stadt, vom Hackeschen Markt und Alexanderplatz, ausgehen.

Karl-Marx-Allee

»Es wächst in Berlin,
in Berlin an der Spree,
ein Riese aus Stein
in der Stalinallee«

(Kinderreim)

Sie ging einst an den Start als „nationales Symbol der Einheit und des Friedens“, wurde von Walter Ulbricht als „Grundstein des Sozialismus in Berlin“ bezeichnet. Eine als „Schaufenster des Ostens“ angelegte, 2.5 km lange Magistrale, 90 Meter breit („Unter den Linden“ misst nur 50 Meter!), mit sechs Fahrspuren und einem baumgesäumten Mittelstreifen, beiderseits „Wohnpaläste für das Volk“ im „sozialistischen Historismus“ Moskauer Provenienz, verkleidet mit Keramikkacheln aus Meißen, die in den späten Nachmittagsstunden, ein seltsam goldenes Licht widerspiegeln. Als 1961 über Nacht das Stalin-Denkmal verschwand, wurde ihr ursprünglicher Name gelöscht und fortan hatte Karl Marx die Ehre. Aber auch das hat ihr wohl wenig Glück gebracht.

Vielleicht hätte sie heute noch das Zeug zum Prachtboulevard, obwohl sie gegenwärtig weitgehend von Billigläden und zweifelhaften Restaurants geprägt wird und eher den Eindruck eines vernachlässigten städtischen Stiefkinds macht. Sollte sich nicht mal jemand um sie kümmern?

Dennoch: wir mögen sie, wie sie ist, die KMA, sie erzählt ihre ganz eigene Geschichte, verbreitet ihren Charme aus seltsam schönen baulichen Fehlgriffen. Eine schlafende Riesin, von der man nicht weiß: weilt sie noch im Schlaf oder schon im Koma?
Die großzügigen Bürgersteige, Kieswege und Wiesenstreifen bieten reichlich Platz zum Schlendern sowie fürs Boule-Spiel und Fahrradfahren. Und achtet man auf den Altersdurchschnitt der Passanten, kommt man sich mit über vierzig plötzlich beinahe jugendlich vor. Als wir noch hier wohnten, haben wir den Geschichten der Alten zugehört, und unsere westliche Überheblichkeit als solche zu erkennen und in Frage zu stellen gelernt. Aber vielleicht auch dies: Dass selbst die historische Wahrheit allenfalls Version sein kann.

Wir erweisen der Riesin die Ehre, zu uns ist sie gut gewesen. Und wie auch immer sie jetzt aussieht, wir geben die Hoffnung nicht auf: eines Tages erwacht sie, streckt die steifen Glieder und erhebt sich zu neuer Pracht. Dann kommen wir gratulieren und freuen uns still darüber, rechtzeitig weggezogen zu sein.

Karl-Marx-Buchhandlung

Karl-Marx-Allee 78
10243 Berlin

Tel.: 030 29 33 37 0
Mo.- Fr. 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr,   Sa. bis 10.00 - 16.00 Uhr

Webseite

Karl-Marx-Buchhandlung

Früher die größte Ostberliner Volksbuchhandlung, ist sie heute eher etwas für Liebhaber des Antiquariats. Wer Zeit mitbringt, kann beim Stöbern in den alten Holzregalen so manchen wertvollen oder kuriosen Fund machen. Carla blättert in einem alten Atlas zur Anatomie des Menschen und schaut ungläubig, als wir versuchen ihr zu erklären, was es mit den rätselhaften Abbildungen auf sich hat. Überzeugt, dass ihre Eltern ihr mal wieder Quatsch erzählen, wechselt sie bald in die Bilderbuchecke und freut sich über „Jussikes sieben Freunde“, 1969 in einem Tallinner Verlag erschienen, in dem sich am Ende der Satz findet: „Das Sonntagsmädchen lobte alle für ihre gute Arbeit und meinte, das Sonntagsland sei nur für diejenigen, die fleißig gewesen sind, ein angenehmer Aufenthalt.“ Der arme Jussike hatte nämlich auf dem Weg in besagtes Land montags bei der Heuernte geholfen, dienstags einen Kindergarten gebaut, mittwochs ein Kälbchen eingefangen, donnerstags Blumen gejätet, freitags Wäsche gewaschen und samstags (!) Teppiche geklopft. Wir zögern etwas, der Tochter das Buch zu kaufen, aber die Kleine will sich nicht einmal auf einen Tausch gegen „Oh wie schön ist Panama“ einlassen. Ihr ist es ernst und das Buch kommt trotz ideologischer Bedenken mit. Beim nächsten Besuch meiner Schwiegermutter werde ich es dann aber wohl doch unter dem Janosch-Stapel verstecken...

Auch die Großen verlieren sich im bibliophilen Suchen und Finden. Wir kaufen, neben Jussike, afrikanische Reiseberichte von 1963, eine Uralt-Ausgabe von Gedichten des Li Tai-bo und Postkarten mit historischen Aufnahmen der Karl-Marx-Allee.
Versuchen Sie das mal bei einer modernen Buchhandelskette zu bekommen!

Ehrenburg

Espressobar

Karl-Marx-Allee 103
10243 Berlin

Tel.: 42105810
tgl. 10 - 02 Uhr
Anfahrt: U5 Weberwiese

Webseite

Ehrenburg

Das Zweitwichtigste bei Familienausflügen: Pausen! Schließlich will man Kleinkinder nicht überfordern – von sich selbst ganz zu schweigen. Im Ehrenburg, einer der wenigen „Perlen“ der Allee, kann man neben gutem Kaffee, heißer Schokolade und Gebäck auch die Schriften von Marx und Engels sowie die gesammelten Werke des Namensgebers Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg zu sich nehmen, von dem unser Meyer’sches Lexikon sagt, er vertrat zwar kommunistische Ideen, scheute jedoch nicht vor offener Kritik am sowjetischen System zurück. Sein Roman „Tauwetter“ gab angeblich der politisch veränderten Periode nach Stalins Tod ihren Namen.

Die hausgemachten Kekse jedenfalls schmecken lecker. Und wir haben ja noch eigenen Lesestoff dabei. Im Übrigen kommen wir gerne her, um in netter Umgebung einfach nur dazusitzen und auf das vorbeilaufende Restleben der Karl-Marx-Allee zu schauen.

Frankfurter Tor

Der Platz befindet sich am Kreuzungspunkt der Frankfurter Allee und Karl-Marx-Allee mit der Petersburger und Warschauer Straße.

Frankfurter Tor

Hier endet unser Spaziergang über die Karl-Marx-Alle und selbige ebenfalls. Noch einmal Blick auf monumentale Architektur, die zwei kuppelgekrönten Turmbauten ragen steil und immer noch beeindruckend in den Himmel. Ein Freund, der als Kind in einem der beiden Türme wohnte, erzählte uns, das Geräusch der herabfallenden Kacheln hat bereits wenige Jahre nach der Fertigstellung zu den Klängen gehört, die seinen Nachtschlaf begleiteten. Heute sind die Türme restauriert, die Kacheln ersetzt und heil, die Gebäude finanziert durch Fonds privater Anleger.

Wir stehen in der Nachmittagssonne, das kleine Mädchen springt singend von Pflasterstein zu Pflasterstein und seiner Mutter fällt eine Geschichte ein:
Als ich neu in Berlin war, stand ich öfter abends hier und träumte davon, mir für einen Tag ein Cabrio zu mieten, um damit nachts um drei mit Vollgas vom Frankfurter Tor bis zum Straussberger Platz und wieder zurück zu rasen. Soll man nicht machen, hab’s nicht gemacht, denn als ich eines Tages eine schöne Erzählung las, in der jemand eine Stunde lang die Frankfurter Allee rauf und runter fährt bis er zu seiner Mitfahrerin sagt: „Verstehst Du?“ - da verstand ich und gab die Idee auf, mich und meinen Führerschein aufs Spiel zu setzen. Es war nicht mehr nötig.

Tierpark Friedrichsfelde

Am Tierpark 125
10307 Berlin

Tel.: 51531-0
1. Januar -11. März: 9.00 - 16.00 Uhr
12. März - 31. März: 9.00 - 17.00 Uhr
1. April - 10. September: 9.00 - 18.00 Uhr
11. September - 15. Oktober: 9.00 - 17.00 Uhr
16. Oktober - 31. Dezember: 9.00 - 16.00 Uh
Direkt zur Station "Tierpark" mit: U-Bahn Linie U5; Tram-Linien M17, 27; Bus-Linien 296, 396

Webseite

Vari-Gehege im Tierpark Friedrichsfelde

Zum Abschluss des Tages: Erholung von der Großstadt. Am Frankfurter Tor nehmen wir die U5, die uns direkt zum Tierpark bringt. Als glückliche Besitzer einer Dauerkarte, halten wir uns nirgends auf und steuern für die letzte Stunde Tageslicht, die uns bleibt, zielsicher die Einggangsschleuse zum Areal der madagassischen Halbaffen an, wo wir uns auf einer Bank im Gehege der Varis niederlassen und auf das Erwachen der putzigen Tiere warten, die faul auf den Bäumen hängen. Plötzlich kommt aus einer Ecke ein Geheul, dass wie das irre Lachen eines Menschen klingt. Scheint ein Signal zu sein, denn jetzt fallen von allen Seiten Stimmen ein, entfalten sich zum kollektiven Gebrüll, das schlagartig abbricht und in eine wilde Verfolgungsjagd mündet. Pfeilschnelles Schwarz-Weiß, unterbrochen von gelegentlichem Rot-Braun huscht neben, über, unter uns und vorbei. Der Lemur variegatus ist wach.

„Füttern verboten!“ auch hier, wofür wir Verständnis haben. Ein Vari, der sich einen Dreck um Verbote schert, steckt blitzschnell die kleine schwarzledrige Hand in unsere Vorratstasche und hat schneller einen Butterkeks geklaut, als man das Wort buchstabieren kann. Wir machen uns Sorgen: 1. um das Tier (verträgt der das?) und 2. bezüglich eines möglichen Verweises des Tiergartens. Wir sind unschuldig! Pelzige Wesen stürzen sich auf uns, besetzen Schultern und Schösse, greifen nach der Tasche, die wir abwechselnd an uns drücken, als wären die Tiere auf unsere Brieftaschen aus. Eine Passantin beäugt uns misstrauisch. – „Keine Ahnung, was die auf einmal haben. Vielleicht riechen sie unsere Katzen?“ Die Dame schüttelt den Kopf, zuckt noch einmal zusammen, als Carla ruft: „Die wollen mehr Kekse!“ Kriegen sie aber nicht. Wir erklären dem Kind, dass Varis Früchte, Blätter und Samen fressen, die ihnen ihre Pfleger in ausreichender Menge zukommen lassen (sieht sie nicht ein), und dass wir sofort und für immer aus dem Tierpark fliegen, wenn wir noch einen einzigen Keks rausrücken (sieht sie sofort ein). Dafür streicheln wir die Varis ausgiebig, kraulen das weiche warme Fell, auch wenn unsere Hände bis ins Badezimmer zuhause nach Halbaffe stinken werden.