Leselampe

2016 | KW 13

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Buchempfehlung der Woche

von Thomas Wohlfahrt
Leiter der Literaturwerkstatt Berlin/Haus für Poesie

Christoph Wenzel
lidschluss
(Gedichte), Edition Korrespondenzen, Wien 2015

„WIR SIND EIN FUNDBÜRO ..., wir sind chroniker, chronisten“. Der so spricht, scannt, was ihm vor das Auge, innen wie außen, oder ins Herz gerät, auch wenn man hier „ohnehin sein herz unter der zunge / trägt“. Das Rheinische Braunkohlerevier und Westfalen sind Christoph Wenzels Heimat. Und wie ein „Lidschluss“ Erinnerungen auf die Linse des Auges projiziert, fängt er mit Sprachfindungen ein, was dem bloßen Betrachter öde und fad erscheinen mag: „die felder / dazwischen, raps, raps, raps und mais“. Sezierend klar sind seine Sprachbilder: „WESTFALEN WIEGT SCHWER, hier, / heißt es, lagert das lachen / bei den kartoffeln: kühltrocken im keller.“ Die Droste steht im Raum mit unterkühlter Emphase oder Willy Brandts Umweltrede von 1961. Wenzel erschreibt der geschundenen Landschaft ohne Dorfleben ihre Würde. Landschaften und die Menschen, die in ihr leben, spiegeln einander: „hier kennt noch jeder jede linde / jeden stammhalter persönlich“, „ungelenkig lehnt ein besen / an der wand, erbschaften im hauseingang, scherben zu haufen / wie braunes, trockenes laub“. Selten sind mir unaufgeregte Landschaften und ihre Menschen so aufregend erschienen. Meine Lyrik-Empfehlung 2016.

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