Leselampe

2016 | KW 36

© M.F. Schorro

Buchempfehlung der Woche

von Beat Mazenauer
Autor, Kritiker und Literaturnetzwerker, Redakteur beim online-Periodikum viceversaliteratur.ch, Leiter der Literaturplattform literaturschweiz.ch

Jens Nielsen
Flusspferd im Frauenbad
(Kleine Erzählungen), Der gesunde Menschenversand, 2016

Alltag ist, wenn es alle Tage ist, wie es muss und kommt. Exakt dieser Alltag gerät in Jens Nielsens „Flusspferd im Frauenbad“ auf ebenso komische wie manchmal gespenstische Weise durcheinander. In der Titelgeschichte beispielsweise büxt ein Flusspferd aus dem Zoo aus, um zuerst mit den Trams zu reden, dann die Frauen im Frauenbad zu entzücken und schließlich – ein ganz ganz leises Plätschern verrät es, in einem Wassertropfen unter einem Mikroskop wieder in den Zoo heimzukehren.
Wehe, ein Rädchen greift nicht, eine Vorstellung wehrt sich, ein Wort entfällt. Sogleich öffnen sich Abgründe, jäh blicken wir den Paradoxa des Lebens ins Auge. Da steht der große dünne Mann in der Bäckerei und sagt, „Ich hätte gerne eine“. Weiter kommt er nicht, so oft er es auf Zuspruch des Bäckers versucht. Der reibungslose Verkaufsvorgang scheitert, die Normalität gerät aus den Fugen. Der Autor wirft etwas Sand ins Getriebe, und schon drehen die Räder leer. Sinn und Unsinn vermischen sich munter, Mikro- und Makrokosmos geraten durcheinander, das gut Mögliche schwappt unvermittelt ins Unmögliche hinüber und zieht weitere Kreise, bis einen der Mut verlassen könnte.
„Sie haben recht. Ich bin verrückt. Aber man merkt es kaum“, heißt es einmal in seinem vorletzten Buch „Das Ganze aber kürzer“ (2012). Eine solche Verrücktheit – eine leichte Verschiebung der Wahrnehmung, nichts weiter – beschleicht den Erzähler und mit ihm den Leser auch dieser neuen „kleinen Erzählungen“. Sie kondensieren den Alltag aufs Knappste – nicht ganz freiwillig. Fürs Morgenradio entstanden sollten sie eine Minute Sprechzeit nicht überschreiten. So gab der erklärte Spätaufsteher Nielsen den noch schlaftrunkenen Zuhörern seine guten Vorsätze mit auf den Weg, auf dass diese schnurstracks in die Irre führen.
Jens Nielsen ist jedoch ein überaus liebenswürdiger Erzähler – und (als Schauspieler von Beruf) ein wunderbarer Bühneninterpret der eigenen Geschichten. Ihn interessiert das allzumenschliche Scheitern, die Kehrseite all der guten Absichten, mit denen wir uns täglich gut zureden. „1 Tag lang alles falsch machen“ oder eine Liste all der ungetanen Dinge – wie Schwäne verprügeln oder in ein Brot hineinkriechen – führen, im Wissen darum, dass “man nichts Wichtiges anpackt im Leben“. Daran gemessen verschwinden die getanen Dinge immer mehr, bis nur noch die ernüchternde Einsicht bleibt: „Wenn man lange genug leben würde / Hätte man irgendwann fast gar nichts gemacht“.
Die verspielt abstrusen Erzählungen kokettieren mit dem netten Schrecken, der niedlichen Kalamität, die nie eintritt, womöglich. Mit ihnen im Kopf geht man, wie es einmal heißt, „vorsichtig durchs Leben. Wenn überhaupt.“ Wer sie liest, könnte leicht versucht sein, doch lieber zuhause zu bleiben – und einfach weiter zu lesen.

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2016

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