Leselampe

2016 | KW 8

Buchempfehlung der Woche

von György Dragomán
Ungarischer Schriftsteller und Übersetzer (Sein 3. Roman "Scheiterhaufen" ist 2015 in deutsch im Suhrkamp Verlag erschienen. Sein 2. Roman „Der weiße König“ ist in 30 Sprachen übersetzt und gerade mit u.a. Jonathan Pryce u. Greta Scacchi verfilmt worden.)

Géza Ottlik
Die Schule an der Grenze
(Roman); Aus dem Ungarischen von Charlotte Ujlaky, Die Andere Bibliothek/Eichborn, Frankfurt am Main 2009

Das ist ein absoluter Kultroman in Ungarn, der eine ganze Reihe von Schriftstellern geprägt hat. Péter Esterházy, zum Beispiel, übertrug den gesamten Text eigenhändig auf ein einziges Blatt Papier (Er kopierte Seite für Seite übereinander, es entstand ein Kunstwerk.) als Hommage an den Autor und als Geschenk. Es ist ein Roman über Jungs, Terror und Gewalt in einer Kadettenschule an der ungarisch-österreichischen Grenze im Jahre 1923, wo die zehnjährigen Neulinge schnell lernen müssen wie totale Macht funktioniert: Auf den militärischen Machtverhältnissen der Institution fußend haben die allmächtigen und gewalttätigen Studentenbanden eine brutale Kinderdiktatur entwickelt. Aber trotz all der physischen Gewalt und seelischen Quälerei ist es doch ein Roman über Freiheit, Rebellion und Freundschaft, der uns mit einer objektiven, präzisen und oft warm leuchtenden Prosa die wichtigste Lektion von allen erteilt: Widerstand ist nie unmöglich.
Als ich das Buch noch in Siebenbürgen während der Diktatur mit vierzehn Jahren zu lesen anfing, hasste ich es, weil es mit solch unerträglicher Genauigkeit über unser Leben sprach. Als ich jedoch mit dem Lesen fertig war, hasste ich das Buch nicht mehr, sondern mich selbst, und uns alle, die wir gezwungen waren Mitspieler in diesem albernen Machtspiel der Diktatur zu sein. Und ich wusste, dass wenn ich jemals über Macht schreiben würde, dann nur so wie es Ottlik es getan hat.
Wenn man nur einen ungarischen Roman des zwanzigsten Jahrhunderts lesen kann, dann sollte es ohne Zweifel „Die Schule an der Grenze“ sein.

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