Leselampe

2019 | KW 41

© Privat

Buchempfehlung der Woche

von Katharina Herrmann

Katharina Herrmann ist Studienrätin für Deutsch und evangelische Religionslehre an einem Ingolstädter Gymnasium. Seit 2013 betreibt sie den Blog Kulturgeschwätz, wo sie regelmäßig Belletristik und Sachbücher rezensiert. Darüber hinaus arbeitet sie an ihrer Dissertation zum Thema: „Gesungene Katechese. Kulturelle Repräsentationen eines engagierten Protestantismus im Neuen Geistlichen Lied“. Sie ist neues Jurymitglied für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Berit Glanz
Pixeltänzer
(Roman); Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2019

Das Vorwort des von ihm herausgegebenen Sammelbandes „Absolute Gegenwart“ beginnt Marcus Quent mit einer Feststellung: „Weit verbreitet scheint heute der Eindruck, die eigene Gegenwart sei unfassbar und ein eingreifendes Handeln, das qualitative Veränderungen provoziert, unmöglich geworden. Die Gegenwart stellt sich den Zeitgenossen als ein rasanter und beziehungsloser Leerlauf dar, dem Vergangenheit und Zukunft abhanden gekommen sind, als ein monolithischer Block, der dem Verstehen und Handeln im Wege steht.“
Eben diesen Eindruck von der Gegenwart hat auch Beta, die Protagonistin aus Berit Glanz‘ Debütroman „Pixeltänzer“: Sie arbeitet als Junior-Quality-Assurance-Testerin in einem StartUp, das von ihr verlangt, sich so vollständig mit ihrem Arbeitsplatz zu identifizieren, dass auch die wenige Freizeit mit den Kollegen verbracht werden muss. Beta lebt in einer Welt, die ihr tausend Optionen ermöglicht und doch keine: Sie kann zwischen dutzenden Eisdielen wählen und bekommt überall dasselbe Eis, die kann dank Onlinedating zwischen dutzenden Partnern wählen, individuell ist keiner von ihnen. Bis sie durch eine Weck-App zufällig mit einem mysteriösen Fremden in Kontakt tritt, der sie auf eine Schnitzeljagd durch das Internet schickt, auf den Spuren von Lavinia Schulz, einer Schauspielerin und Tänzerin aus der Zeit des Expressionismus. Indem Beta durch Lavinia und deren Ringen um Rebellion und kreativen Selbstausdruck einen Zugang zur Vergangenheit findet, macht sie sich auch auf, ihre absolute Gegenwart zu durchbrechen und nach eigenen Wegen zur Entfaltung ihrer Kreativität und ihres Selbst zu suchen. Beta sucht den Ausbruch aus einem System, das tausend Optionen lässt und doch keine. „Pixeltänzer“ ist ein sehr lesenswerter und kluger Roman nicht nur über die aktuellste Gegenwart, sondern auch über ihre notwendige Verbindung zur Vergangenheit.

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