Leselampe

2023 | KW 19

© privat

Buchempfehlung der Woche

von Annette Mingels

Annette Mingels wurde 1971 in Köln geboren. Studium der Germanistik, Linguistik und Soziologie in Frankfurt, Köln, Bern und Fribourg. Promotion in Germanistik. Von 1997 bis 2009 lebte Annette Mingels in der Schweiz, danach für zwei Jahre in Montclair (USA) und anschließend in Hamburg. Von 2018 bis 2021 lebte sie in San Francisco, seitdem bei Berlin. Zuletzt sind von ihr die Romane Dieses entsetzliche Glück (Penguin Verlag, 2020) und Was alles war (Knaus Verlag, 2017) erschienen.

Helen Hodgman
Gleichbleibend schön
(Roman), Aus dem Englischen von Anne Rademacher, Knaus Verlag, München 2012.

Ein seltsames Buch. Das war es, was ich dachte, als ich den Roman Gleichbleibend schön von Helen Hodgman gelesen hatte. Nun ist „seltsam“ keine besonders konkrete Beschreibung; es ist nicht einmal unbedingt klar, ob sie positiv oder negativ konnotiert ist (in meinem Fall ersteres), aber je nun: das war meine Empfindung.

Das Wort seltsam beinhaltet eine gewisse Verwirrung seitens des so Empfindenden, ein Befremden, ein Interesse auch, unter Umständen die Lust, sich den so bezeichneten Gegenstand gleich noch mal genauer anzusehen, um herauszufinden, was dieses eben so Verwirrende, Befremdliche, Interessante ist. 

In Hodgmans Fall kommt es denkbar unspektakulär daher. Da ist die sehr junge Frau, die eher nebenbei Mutter wird und, weil man dies eben so macht (das Buch erschien 1976), den Kindsvater heiratet. Sie ziehen in die Nähe seiner Mutter, in ein schäbiges Holzhaus irgendwo an der Küste Tasmaniens. Die Tage sind heiß und träge, mit einer gleißenden Sonne am gleichleibend blauen Himmel. Während die anderen Mütter sich zu gut organisierten Gruppen am Strand zusammenfinden, gibt die Erzählerin wann immer möglich ihr Baby der Schwiegermutter, um in ihrem eigentlichen Leben fortzufahren - Freunde zu besuchen, Affären zu haben, sich auszuprobieren, kurz: das Leben einer modernen jungen Frau zu leben, ohne sich von der Tatsache, vormodern früh Mutter geworden zu sein, weiter irritieren zu lassen.

Nicht, dass es je explizit reflektiert würde, aber der Roman spielt auf der Schnittstelle dieser weiblichen Lebensmuster: dem klassischen mit der Bestimmung, Ehefrau und Mutter zu werden, und dem (post-)modernen, in dem die éducation sentimentale eben nicht im Muttersein ihr Ziel und ihren Abschluss findet. Dies alles ist situiert in einer atemberaubend schönen Landschaft, in der nur wenig noch an die von den Briten ausgerotteten Ureinwohner erinnert - im Museum stehen einige Aborigines-Modelle, zu einer „Familiengruppe“ arrangiert „auf einer Strandimitiation“, während  die Nachbarin der namenlosen Ich-Erzählerin verbissen den klimauntauglichen englischen Rasen pflegt (was - so viel sei verraten - für sie kein gutes Ende nehmen wird).

Und das ist es wahrscheinlich auch, was für mich Hodgmans Buch so seltsam und interessant macht: dass es mit fast somnambuler Beiläufigkeit bereits vor fast fünfzig Jahren ein Thema unserer Zeit verhandelt - die weiß und männlich dominierte Gesellschaft.