Leselampe

2022 | KW 4

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Buchempfehlung der Woche

von Lacy Kornitzer

Lacy Kornitzer ist Autor, Regisseur und Übersetzer. Er lebt in Berlin. Im Februar erscheint sein Buch Über Destruktivität. Eine essayistische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ungarns  im Suhrkamp Verlag.

Umberto Eco
Der ewige Faschismus
Mit einem Vorwort von Roberto Saviano; Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, Carl Hanser Verlag, München 2020

Das Buch der Stunde

Es ist wirklich in einer Stunde gelesen, sehr aufmerksam in zwei Stunden, das heißt, bestimmte Denkmomente immer wiederlesend, was Zeit braucht. Das Ganze anschließend von Neuem lesen, dann jemandem vorlesen, dem und der Geliebten, dem Nachbarn, dem Sitznachbarn in der U-Bahn, den Glühweintrinkern auf der Skipiste, im Stadtbad, in einem Literaturhaus für untere, höhere und mittlere Lohnempfänger, an der Börse, im Bundestag, auf Reisen und im Stehen an der Straßenecke, nur nicht auf dem Smartphone und nicht im Kaufhaus: ISBN 978-3-446-26576-9, endet also mit der 9, was gut ist, Il fascismo eterno und Migrazioni e intolleranza, Milano 2018 und 2019, in der 4. Auflage 2020 auf Deutsch 75 Seiten, gebunden, schönes kleines Format, Umschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München, Carl Hanser Verlag, Druck und Bindung in Pößneck. Intelligent aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber mit dem nicht programmatischen und genausowenig lakonischen Titel Der ewige Faschismus, so der Name der Hauptfigur, die uns im Nacken sitzt, weshalb man sie irgendwie spürt, aber nicht sieht. Das Vorwort, das man am Besten auswendig lernt, stammt von Roberto Saviano, der wegen anhaltender Morddrohungen von Seiten der Camorra, der gründlich operierenden faschistischen Organisation, ein Modell, dessen Parteien und Staaten sich bedienen, da, und auch da, seit über zehn Jahren im Untergrund lebt, seit der Zeit, als sein unentbehrliches Buch Gomorrha. Reise ins Reich der Camorra erschienen ist. Und wenn nicht das ganze Vorwort, acht Seiten, wenigstens den Schlüsselsatz daraus: "Eco zeigt, was für ein riesiger Fehler es ist, den Faschismus als ausschließlich historisches Phänomen zu begreifen."

Das macht wach. Ein paar schlaflose Nächte wären sehr lohnend. Das Buch übrigens, von dem hier die Rede ist, schrieb, wie Sie schon vermuten, Umberto Eco. Umberto Eco verstarb im Februar 2016 in Mailand. Der ewige Faschismus ist sein Abschiedsbuch, als solches nehme man es jedenfalls in die Hand. Oft sind Abschiedsworte die gewichtigsten. Das kurze Buch ist ein langes Abschiedswort, mit dem aber nicht erschöpft Abschied genommen wird, im Gegenteil, es "ist wie in den Himmel zu blicken, um die Navigationsrichtung neu zu justieren", sagt der immer noch junge Saviano. Weniger poetisch ausgedrückt: gefordert wird frisches Denken, Umdenken.

Der Begriff ewiger Faschismus schließt den ewigen Faschisten ein, assoziiert den ewigen Juden, dem noch nie jemand leibhaftig begegnet ist, dieser Überfigur und für wahr erklärten fiktiven Gestalt, die anscheinend jederzeit neu durchsetzbar ist und die man deshalb zu allen Zeiten wittert, während es mit dem ewigen Faschisten vorbei sein soll, obschon man ihm nach wie vor begegnet, leibhaftig auf Schritt und Tritt, innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen, so wie dem ewigen Antisemiten und Rassisten gestern, heute und morgen. Der ewige Faschismus ist ein Thema, das kaum thematisiert wird, und wenn doch schon mal, dann äußerst behutsam. Mit klaren Begriffen will man lieber zurückhaltend verfahren, setzt auf Phrasen, die zur Ausdünnung, zum Beschweigen führen, letztlich zum Schwindel. Dabei tritt der ewige Faschismus in all seinen Facetten in Erscheinung, hat es nicht mehr nötig, den Mindestabstand zu wahren. Natürlich ist er heute anders angezogen als aus den Geschichtsbildern bekannt. Eco führt es äußerst klar vor. Er verwendet keine warnenden Worte, mahnt nicht, dem Denkfeind kann man nicht mit Denken begegnen, dazu ist es stets zu spät, er weiß das. Seine Darstellung der Situation, da der Ur-Faschismus sich aktuell Platz verschafft, ruhig, analytisch, besonnen, ist viel energischer, direkter, echter als die bekannten Appelle an den bekannten Tagen, da man der bösen alten Zeit gedenkt. Nicht die alte Zeit holt uns ein, es ist bloß weiterhin Zeit, die unsere, von uns gestaltete, zugelassene und ertragene, die ausholt, sich rüstet, vielfach schon tonangebend ist. Ganz gleich, auf welche neuen Namen man sie tauft, verniedlicht, zu entkräften sucht, es ist das, was es ist, wie Umberto Eco es aufdeckt: "Irrationalismus hängt auch mit einem Kult der Aktion um der Aktion willen zusammen. Damit eine Aktion an sich schön ist, muss sie ohne jedes vorherige Nachdenken erfolgen. [...] Die Intellektuellen können gegen die rohe Intoleranz nichts ausrichten, denn vor dem rein Animalischen, das kein Denken kennt, ist Denken wehrlos. Kämpfen sie gegen die doktrinale Intoleranz, ist es zu spät, denn sobald die Intoleranz zur Doktrin gerinnt, ist sie nicht mehr zu besiegen."

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