Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von Hamed Abboud

Der syrische Autor Hamed Abboud, geboren 1987, lebt seit 2014 in Wien. Bisher sind die Bücher  Der Tod backt einen Geburtstagskuchen (nominiert für den "Internationalen Literaturpreis" der vom Berliner "Haus der Kulturen der Welt" vergeben wird, edition pudelundpinscher, Wädenswil 2017, zweisprachige Ausgabe, aus dem Arabischen von Larissa Bender) und In meinem Bart versteckte Geschichten (Edition Korrespondenzen, Wien 2020, zweisprachige Ausgabe, aus dem Arabischen übersetzt von Larissa Bender und Kerstin Wilsch) auf deutsch erschienen. 

Christian Futscher
Ein gelungener Abend
Volk und Welt, Berlin 1997

Ich kann nicht von mir behaupten zu wissen, ob der österreichische Autor Christian Futscher, der 1960 in Feldkirch geboren ist, an die Welt glaubt, niemand wird das wissen, außer diejenigen, die ihm persönlich begegnet sind, ihm diese Frage gestellt haben und entweder eine unmittelbare Antwort bekommen haben, oder ein nachdenkliches Starren in die Leere, das man in die eine oder andere Richtung interpretieren könnte. Was ich behaupten kann ist, dass eine Begegnung mit ihm schlicht interessant ist, voller Wärme und auf Augenhöhe.
Wenn die Leser und Leserinnen scheu sind und den Autor nicht stören, ihm seiner Fantasie und in seinem Kopf herumfliegenden Ideen überlassen wollen, dann bleibt uns eines seiner bereits veröffentlichten Bücher, insbesondere sein erstes ernstes Buch, wie er mit Augenzwinkern behaupten mag, das mit dem Titel Ein gelungener Abend, 1997 beim Verlag Volk & Welt erschienen ist.

„Wie könnte ein Abend gelingen?“, fragte ich mich als ich das Buch aufschlug, wie verhält sich der Gastgeber vor seinem Lesen wollenden Gast, der sowohl nach Unterhaltung sucht als auch nach tiefem Sinn? Unser erfahrener Gastgeber weiß, dass es nichts bringt, sich zu viele Sorgen um seine Gäste zu machen, deshalb begegnet er uns mit Leichtigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit, von Anfang an und ohne Warnung.
„Bücher seien die besten Freunde.
Kann man von ihnen Geld ausleihen?
Nein.
Na also“
Er weiß, dass seine Gäste bleiben würden, auch wenn eine Geschichte nicht auf den Beinen landet. Dann zieht er eine andere kleine Geschichte aus dem Ärmel und schaut zu, wie die Gäste zufriedengestellt werden. Oder vielleicht glaubt er einfach daran?

Dieses Buch stellt sich vor, wie eine große WG, in der eine große Party veranstaltet wird, zu der unterschiedliche Menschen eingeladen sind, oder so möchte ich es mir vorstellen. Was passiert in jener Zusammenkunft von vielen Menschen?  Meistens wird geplaudert, gequatscht, ganz zu schweigen von der Anwesenheit von Alkohol. Einer erzählt einen Witz über eine Gruppe von sieben Schweizern und ihren unanständigen Gedanken über die westösterreichischen Frauen.  Der andere berichtet von Paula, die zielbewusst auf die Bar zuging und ein Betthupferl suchte; es wird gelacht, viel gelacht, laut gelacht, oder mindestes gegrinst.
In manche Ecken dieser WG, die aus Papier und Tinte geschaffen wurde, wird tiefsinnig gesprochen, wobei jemand flüstert: „Schaut alles mit den Augen der Liebe an! Dann ändert sich vieles.“ Gegenüber singt jemand, der sich gerne an seine Kindheit erinnert: „Der Affe ist im Zoo, und der Papa …im Büro“.

Inzwischen und nach dem siebenten Bier oder dem siebenten Kaffee erscheint ein Protagonist namens Hansi auf Futscher´s Party, und ohne Warnung äußert der neu auftretende Mann seine Traurigkeit darüber, dass ein Auto draußen alleine steht und einsam wirkt. Hansi bekommt ein Streicheln über den Kopf. Auch der Leser braucht jemand, um seinen Kopf gestreichelt zu bekommen, aber vielleicht haben nicht alle Leser und Leserinnen das Glück der Anwesenheit einer Begleitung wie unser Hansi.
Es werden Märchen serviert, und es werden wienerische Szenen aufgewärmt und auf dem Tisch platziert, es wird auch über Affen, Vögel, und Bäume gesprochen, vielleicht war es eine literarische Kostümparty damals, darüber kann ich aus Mangel an Erfahrung in den Neunzigern nichts Konkretes sagen.
Die Sprache ändert sich im Laufe des Abends, in manchen Ereignissen spucken die Figuren ihre Wut aus, sie trinken so viel, dass sie ihre Gläser auf die Russen erheben, die guten Russen; Puschkin, Gogol, und Daniil Charms. Dann ändert sich wieder die Sprache, sie wird leise und sanft bevor jemand kommt und schreit: „Das ist mir wurscht, ob die traurig sind“ und damit die ruhige Phase der Party stört.

Vielleicht mag man sich wundern und fragen, warum wir jetzt ein altes Buch ausgraben und es wieder lesen sollen? Ein Grund ist, weil das Buch erfrischend ist, überraschend voller Schweiß und Blut, könnte man sagen. Sie weinen, sprechen unverblümt die Wahrheit und beobachten andere Figuren, auf anderen Seiten des Buches. Ein weiterer wichtiger Grund ist, weil auf dieser Party nicht nur Geschichten ausgetaucht werden, sondern auch Gedichte, die diesen gelungenen, vielfältigen und von Erzählungen gefüllten Abend vervollständigen. Unser Gastgeber erhebt sein Glas und erzählt seinen Gästen: „Gedichte muss man lesen, wenn man sie nicht liest, bleiben sie im Buch und weinen.“

Wir wollen aber nicht weinen und auch nicht die Gedichte weinen sehen. Somit verkaufe ich Ihnen keine Katze im Sack, wie Futscher in einer Geschichte vor sich hinmurmelt, das tue ich hier nicht, sondern empfehle Ihnen diese kleine literarische WG, die „Ein gelungener Abend“ als Anschrift hat und mit einer guten Menge von Märchen und wirren Träumen verziert ist.

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