von Patrick Findeis
Patrick Findeis, geboren 1975 in Heidenheim an der Brenz, lebt als freier Autor in Berlin. Im Februar ist sein neuer Roman Paradies und Römer im Liebeskind Verlag, München, erschienen.
Werner Rohner
Was möglich ist
(Roman), Lenos Verlag, Basel, 2020
Die Protagonistinnen in Werner Rohners Roman Was möglich ist stehen an einem Scheitelpunkt in ihrem Leben. Edith, Vera und Lena werden völlig unerwartet von der Liebe getroffen. Zwischen die Augen. Genau auf die Zwölf. Die Liebe kommt als Neuanfang, als Brecheisen, als Blast-From-The-Past. Und immer mit der Frage auf den Lippen: Was wäre, wenn? Die Liebe verführt und flüstert von dem, was möglich ist, wenn der Mensch sich ihr hingibt. Und das Buch erzählt von dem, was passiert, wenn Gewissheiten plötzlich auf den Kopf gestellt werden und Möglichkeiten sich auftun, die sich vor Kurzen noch außerhalb des Denkbaren befanden. Werner Rohner lässt uns in Was möglich ist durch seine Prosa - die feinste Verwerfungen sichtbar werden lässt -, mit seinen Heldinnen staunen über die Macht der Liebe, wie leicht sie einreißen und aufbauen, wie sie erschüttern kann.
Was möglich ist besteht aus drei langen Erzählungen, die im Titel die Namen der jeweiligen Protagonistinnen tragen. Das Buch ist nicht klassisch als Roman zu bezeichnen; eher in dem Sinne, in dem manche Bände von Alice Munro Romane sind. Die Figuren der einzelnen Kapitel haben keine Bezüge zueinander, thematisch aber sind die Erzählungen so eng und stringent verwoben, variieren und spiegeln ihr Thema, dass die Gattungsbezeichnung Roman nicht aus der Luft gegriffen ist. Die Texte haben gemeinsam, dass ihre Figuren etwas finden, was sie nicht gesucht haben, ihnen aber doch fehlte. Das wirkt als Brücke zwischen den Geschichten, die in einer rollenden, geradezu hypnotischen Sprache geschrieben sind. Dem „unverkennbaren Werner-Rohner-Sound“, wie es treffend in Ruth Schweikerts Blurb auf dem Umschlag heißt.
Was mich fasziniert an Was möglich ist ist die Ruhe, mit der das Buch erzählt ist. Rohner braucht keine großen Gesten, keine Katastrophen, kein Tod und Teufel um seine Figuren in elementare Krisen zu stürzen. Der Alltag gerät aus einer Selbstverständlichkeit heraus ins Rutschen, als folge er damit einem Naturgesetz. In der zweiten Geschichte zum Beispiel treffen wir auf die schwangere Vera, die sich mit ihrem Mann auf die Geburt ihres ersten Kindes vorbereitet, sich freut, ihr „Nest“ baut, eigentlich ist alles wunderbar. Doch plötzlich findet sie sich wieder in einer Affäre mit ihrer Freundin aus Studientagen Nathalie, selbst Mutter zweier Kinder. Und das fühlt sich, trotz aller Zweifel, allen Kribbelns und Freuens, trotz aller Schuldgefühle nicht nur für die beiden Frauen natürlich an, es fühlt sich auch für den Leser ganz natürlich an, dass das jetzt passiert, dass das jetzt das Leben ist, was hier geschieht. Das liegt zum einen an der präzisen Figurenzeichnung, die uns diese „Alltagsheldinnen“ als vielschichtige, reflektierte und widersprüchliche Menschen präsentiert. Zum anderen an der tiefen Kenntnis der menschlichen Seele, die aus dem Buch spricht.Und das seltsam Tröstende und beruhigende an Rohners Roman ist, dass das Glück für seine Figuren gerade nicht von Dauer ist. Ihre Angst wird irgendwann einfach zu groß, nicht mehr zurückkehren zu können in den Alltag, in das Leben, das vorher als das einzig mögliche erschien. Und gerade dadurch wird das Glück von Edith, Vera und Lena greifbar und wahr, es bleibt eine Episode, aber eine, die für die Figuren die Welt verändert hat.
Manche Veränderungen finden unter der Oberfläche statt. Und um von ihnen zu erfahren, brauchen wir Bücher wie Werner Rohners Was möglich ist. Wie ein Teppich, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander verwoben sind, breiten sich die Schicksale seiner Figuren vor dem Leser aus. Das Zwingende an diesen Geschichten begeistert mich, seitdem ich damals die erste Zeile gelesen habe, das Unausweichliche. Wie in Murphys Law: Was passieren kann, wird passieren.
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