Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von eta Verlag (Berlin)

eta Verlag wurde 2016 von Petya Lund gegründet. Die aus Bulgarien stammende Medienwissenschaftlerin hatte mit dem Ziel begonnen, Leserinnen und Lesern im deutschsprachigen Raum zeitgenössische Literatur aus Bulgarien näherzubringen.
Die Erfahrungen während der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen osteuropäischen Kooperationspartnern im Rahmen zahlreicher Festivals, Buchmessen usw. führten allmählich zu der Entscheidung, den Fokus zu erweitern und auch Autoren aus anderen osteuropäischen Ländern zu verlegen.
Vor dem Hintergrund einer erneut zunehmenden Verunsicherung in der Kommunikation zwischen West- und Osteuropa, versteht sich der Verlag als Kulturvermittler und Dialogförderer. Dabei steht das literarische Schaffen einer jungen Literaturszene im Mittelpunkt, die aus den eigenen kulturellen Wurzeln heraus ihre Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Europa behaupten möchte. Ein Europa, das auf der Landkarte zwar eine geographische Einheit darstellt und dennoch häufig als segmentiert und gespalten wahrgenommen wird.
eta Verlag verfolgt den Anspruch, hochwertige zeitgenössische Literatur in bester Druckqualität zu produzieren.

Angel Igov
Die Sanftmütigen
Aus dem Bulgarischen von Andreas Tretner, eta Verlag, Berlin 2019.

Dieses schmale Buch war in Bulgarien eine kleine Sensation. Es greift ein historisches Tabu auf, dem die bulgarische Literatur die längste Zeit ausgewichen ist: das sogenannte „Volksgericht“ im Sofia der Jahre 1944/45, das die während des Zweiten Weltkriegs Regierenden in Schauprozessen nach Moskauer Vorbild aburteilte und im Anschluss binnen weniger Monate einen Großteil der alten bulgarischen Elite ausmerzte.

Aus historischen Quellen baut Igov eine schlüssige Fiktion des „kleinen Mannes“, dem die Stunde schlägt: die Figur des Emil Stzrezov, eines randständigen proletarischen Jungpoeten aus der Provinz, der in atemberaubender Dynamik zum erst zum Mitläufer, dann zum „Kader“ und eilfertigen Ankläger im Dienste des neuen Terrorregimes wird. Eine Geschichte um Schuld und Sühne, Ermächtigung und Verstrickung, grandios vorgetragen aus der Perspektive der „Sanftmütigen“ des Titels, eines subalternen Kollektivs. Wie ein antiker Chor erzählen und kommentieren sie das Geschehen, um zuletzt selbst vorgeführt zu werden - ein gewagter Kunstgriff, der hervorragend gut aufgeht.

Dies ist ein dichter Roman im kleinen Format, lesbar, aber nicht trivial, lakonisch im Grundton, ein ganzes Register von Stimmlagen fein darum herum komponiert. Hier sucht und findet ein junger bulgarischer Autor unmittelbar Anschluss an die modernsten Tendenzen der europäischen Literatur. Der sorgfältig edierte Band wurde von Andreas Tretner übersetzt, einem erfahrenen und preisgekrönten Spezialisten für die osteuropäischen Sprachen.

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2020

91