Leselampe

2020 | KW 18

Buchempfehlung der Woche

von Gudrun Ingratubun

Gudrun Ingratubun, geboren 1969, lebt und arbeitet als Literaturübersetzerin aus dem Indonesischen und Buchkünstlerin in Berlin. Sie ist Mitbegründerin des Lesekreis indonesische Literatur und upcycelt unter dem Namen leaferant gerettete Stoffe mit botanischen Drucktechniken, die sie unter anderem zu handgebundenen Skizzenbüchern verarbeitet.

Meena Kandasamy
Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau
(Roman); Aus dem Englischen von Karen Herwig, CulturBooks Verlag, Hamburg 2020.

Viele Menschen verbringen in diesen Tagen außergewöhnlich viel Zeit zu Hause. Das Wort ‚lockdown‘ ist weltweit in aller Munde. Ich genieße es einerseits mehr und intensivere Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, andererseits ist diese konzentrierte Nähe aber auch fordernd. Um ein Vielfaches gesteigert empfinden das sicher Menschen, die in ungesunden Beziehungen leben, was zu einem starken Anstieg häuslicher und sexueller Gewalt geführt hat.

In Meena Kandasamys Buch Schläge befindet sich eine junge Autorin nach ihrer Heirat mit einem in anderen Dingen progressiven, sich politisch für die Rechte der Arbeiter engagierendem Professor zunehmend in einer ‚locked in‘-Situation. Sie beschreibt nüchtern beobachtend aber auch voller Sprachwitz ihre Gefühle und Gedanken in Form von Briefen an einen Geliebten, die sie jeden Abend auf ihrem Computer wieder löscht, bevor ihr Mann nach Hause kommt. Sie reflektiert, wie sie als intelligente, gebildete Frau nach dem Umzug in die Heimatstadt ihres Mannes in eine Situation geraten konnte, in der sie von ihrem geliebten Mann erniedrigt, geschlagen und vergewaltigt wird, was das mit ihr macht und wie es ihr schließlich gelingt sich aus dieser lähmenden Situation zu befreien.

Auf geniale Weise die Geschlechter tauschend vergleicht sie ihre eigene Situation mit dem Schachspiel. Sie ist der König, der nur sehr kleine Schritte machen kann, ihr Mann die Dramaqueen!

Sie thematisiert auch ihre unterschiedliche sprachliche Identität, wenn sie auf Tamilisch, Englisch oder Kannada spricht, schreibt oder liest. Englisch als Kolonialsprache einerseits, anderseits als Medium für kreative Wortschöpfungen im Liebesdialog, später für sexistische Beleidigungen. Tamilisch als herzensnahe Muttersprache. Kannada als ihr fremde Sprache der Heimatregion ihres Mannes, in der sie aufgrund ihrer dortigen Lebenssituation nur Begriffe aus dem häuslichen Umfeld erlernt. Sie begeistert sich für Helene Cixous Satz „Gott hat keine Augen“ auch deswegen weil Cixous auf französisch schreibt, der Sprache eines Landes, das ihr eigenes Land nicht kolonialisiert hat (wenn auch andere Länder) und in der für sie keine Ambivalenz wegen des Mitschwingens der eigenen Wut entsteht.

Meena Kandasamy ist eine in Indien sehr kontrovers diskutierte Autorin, Übersetzerin tamilischer Autoren ins Englische und Aktivistin, die sich für Frauenrechte und die Rechte der Dalit, der untersten indischen Kaste einsetzt. Ihr in vieler Hinsicht lesenswertes und wichtiges Buch Schläge ist ihr zweiter Roman, der 2018 auf der Short List für den Women‘s Prize for Fiction und den Hindu Literary Prize stand. Heute lebt sie in London.

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