Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von Lilienfeld Verlag (Düsseldorf)

Im Lilienfeld Verlag erscheinen Bücher, die liebevoll gestaltet und ausgestattet sind. Ob Archivfunde (Hugo von Kupffer), Seltenes aus anderen Ländern (z. B. Hella Haasse), jemand aus dem Freundeskreis von Klaus Mann (Herbert Schlüter) oder andere wiedergefundene Glanzstücke (z. B. die Werke Karl Friedrich Borées) – Lilienfeld gräbt aus, bewahrt, entdeckt und will mit den gehobenen Schätzen aus Literatur und Zeitgeschichte immer wieder überraschenden Genuss bereiten. Die Reihe „Lilienfeldiana“ verbindet dabei eine gute Ausstattung und lesenswerte Texte mit zeitgenössischer Kunst auf dem Halbleineneinband. Zuletzt erschien in ihr der Bericht „Lourdes“ – das letzte Buch des Kultautors Joris-Karl Huysmans erstmals in deutscher Übersetzung.

Joris-Karl Huysmans
Lourdes. Mystik und Massen
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Hartmut Sommer, Lilienfeldiana Band 23, Lilienfeld Verlag, Düsseldorf, 2020.

Als Katholik findet der Übersetzer des Buches Marienerscheinungen rund um das Lektorat natürlich nicht ganz so ungewöhnlich wie die Verlegerin und der Verleger, die ohne die Konzepte „Gott“ und „Glauben“ durchs Leben gehen. Sonderbar sind sie in jedem Fall, zumindest bemerkenswerte Zufälle. Die Geschichte beginnt 2016 mit einer Projektvorstellung durch den Übersetzer, es geht um ein Werk von Joris-Karl Huysmans. Nach anfänglichem Zögern des Verlags (denn die Sache würde mit anderen Projekten furchtbar kollidieren) war ziemlich schnell klar: Das muss unbedingt und möglichst bald gemacht werden. Genauer ging es darum: 1903 und 1904 hielt sich Huysmans jeweils mehrere Wochen im südfranzösischen Wallfahrtsort Lourdes auf. Freunde hatten ihn dazu angeregt, denn von selbst hätte er sich trotz seiner inzwischen tiefen Gläubigkeit nicht in diese Niederungen der Pilgermassen begeben. Vor Ort aber änderte sich sein Bild, mehr und mehr wurden ihm die zwei Gesichter von Lourdes klar, einerseits die kommerzielle und überzuckert-aufdringliche Fratze, andererseits die ergreifenden Züge der allgegenwärtigen Selbstlosigkeit, des Mitleids und der Mitmenschlichkeit. Huysmans sammelt die widersprüchlichen Eindrücke, schimpft und kritisiert, bewundert und leidet mit, und beschreibt mit essayistischer Schärfe, aber auch einfühlend alles, was sich ihm in Lourdes zeigt: Absurdes, Lächerliches, Grausiges und Ergreifendes. Und im Gegensatz zu seinen Romanen spricht in diesem Bericht der berühmte Autor ungefiltert als er selbst zur Leserschaft. Das Buch erschien 1906, schwerkrank hatte Huysmans die Arbeit an den fast fertigen Fahnen vorher für mehrere Monate unterbrechen müssen und hatte dann doch noch das Buch vollenden können. Er starb 1907 mit 59 Jahren. Im Lilienfeld Verlag wurde das Buch für Herbst 2017 angekündigt, aber daraus wurde nichts. Die Übersetzung war pünktlich abgegeben worden, nur kollidierte wie befürchtet das Verlagslektorat (genauer gesagt der Terminkalender des Verlegers) mit den rechtschaffen erdachten Plänen. Das Lektorat begann erst im Frühjahr 2018 und dauerte dann mit langen Unterbrechungen mehr als ein Jahr. Solche Verschiebungen müssen im Fall bereits gestorbener Autorinnen und Autoren zumindest mit den Übersetzenden und/oder den Erben oder anderen irgendwie Beteiligten besprochen werden. Diesmal offenbar beteiligt und sehr an der Veröffentlichung interessiert war die Mutter Gottes, die heilige Jungfrau Maria, die ja den Lourdes-Rummel initiiert haben soll, indem sie 1858 mehrfach dem Mädchen Bernadette Soubirous in einer Grotte erschienen ist und hier seitdem häufig heilend gewirkt haben soll. Mehrfach drängte sie nun persönlich auf den Fortgang des Lektorats. Die Haupterscheinung vollzog sich im Mai 2018: Plötzlich befindet sich eine Marienfigur auf der Mauer des Gartens des Verlegerpaares. In einer späteren E-Mail an den Übersetzer beschreibt der Verleger sie so: „Jemand hat außen auf die Mauer unseres Gartens eine Marienfigur abgestellt. Sie ist ca. 40 cm groß, farbig, aus Kunststoff, hat keine Hände, aber ein sehr nettes Gesicht. Sie steht dort jetzt schon seit einigen Wochen, lächelt auf die Straße hinunter und wacht über unser Haus in ihrem Rücken. Als ob sie persönlich das Lektorat beschützt ... Allerdings sorgt sie ja nicht gerade für Tempo.“ Aufs Tempo drückte sie dann aber auch. Immer wieder brachte Maria sich und das Buch in Erinnerung, insbesondere dann, wenn der Verleger den Düsseldorfer Arbeitsort zu lange verließ. Dass in Oberbayern viele Marien auftauchten, sagt nicht viel, aber wenn die Lourdes-Maria in Triest im Treppenhaus der Ferienwohnung steht oder man sich in dem kleinen Moselort, wo zufällig Freunde Geburtstag feiern, plötzlich vor einer nachgebauten Lourdes-Grotte wiederfindet… dann fällt es langsam auf. Am deutlichsten wurde sie im August 2019 (und sie hatte recht, die Arbeit stagnierte schmerzlich). Der Bericht des Verlegers: „Zwischendurch war ich auch für ein Wochenende in Nordfrankreich (Champagne-Ardennes) und wurde dort wieder deutlich auf unser Projekt hingewiesen. Wir wohnten im Nebengebäude eines Gutsschlosses, und da war ein grottenartiges Schlafzimmer, in dem über dem Bett ein gerahmtes altes koloriertes Foto von Lourdes hing (Blick von oben auf Basiliken und Esplanade). Das allein wäre ja nichts Besonderes, aber dass es möglicherweise um mich ging, wurde dadurch deutlich, dass alle anderen sechs im Raum verteilten Bilder alte gerahmte Impressionen von unserem Verlagssitz DÜSSELDORF waren. Diese Kombination im nordfranzösischen Nirgendwo war jedenfalls überraschend ungewöhnlich.“ Nach dieser letzten Warnung wurde der Text schneller fertiglektoriert als gedacht und erschien im Mai 2020. Und was hat Maria dazu gesagt? Ganz einfach: Sie ging. Am Morgen genau nach der Druckabgabe, als also alles fertig war und die Druckerei zu arbeiten begann, wurde die Marienfigur, die zwei Jahre lang auf ihrer Gartenmauer immer eingewucherter den Fortgang der Textarbeit mit mildem Lächeln überwacht hatte, zerstört vorgefunden. Der Kopf war geplatzt, Marias Geist hatte sie verlassen. Seltsam, aber wahr. Ein Buch mit himmlischem Beistand.

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2020

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