Leselampe

Buchempfehlung der Woche

von Osburg Verlag (Hamburg)

Programm: Aktuelle Belletristik und Romane mit historischen Bezügen, Biografien, Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Bücher zu kulturgeschichtliche Themen.
Begründung der Schwerpunkte: Das Motto des Verlages ist „Menschen und ihre Geschichte“. In diesem Rahmen ist es das programmatische Anliegen des Verlags, außergewöhnliche oder vergessene Schicksale und Begebenheiten zu publizieren und auf hohem Niveau so aufzubereiten, dass aktuelle Bezüge sichtbar werden. Wir erinnern so an zu Unrecht vergessene Menschen und verlegen Bücher, die nicht zum Mainstream gehören.
Ein besonderes Anliegen sind uns Großprojekte, die nur mit hohem Aufwand und verlegerischer Kraft zu realisieren sind. Auch weil Konzernverlage dieses Risiko heutzutage scheuen.

Max Jacob
Saint Matorel
(Roman); Aus dem Französischen von Una Pfau, Osburg Verlag, Hamburg, 2020.

Eine Inkunabel des frühen Surrealismus: nach über einhundert Jahren zum ersten Mal wieder mit den eigens für den Text geschaffenen Radierungen von Pablo Picasso vereint. Die Erstausgabe, 1911 bei Kahnweiler in Paris in einhundert Exemplaren erschienen, gehört heute zu den Preziosen berühmter Bibliotheken. Die wenigen auf dem Kunstmarkt gehandelten Exemplare erzielen verlässlich hohe Preise im fünf- bis sechsstelligen Bereich.

Dieser kleine Roman aus dem Jahre 1911 ist eine Entdeckung, ein noch nie ins Deutsche übersetztes Meisterwerk des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er ist ein Zeugnis der Literatur der frühen Moderne, von überschäumender Fantasie und gleichzeitig ein Meilenstein auf dem Weg zum Surrealismus. Jacob erzählt darin die Geschichte des kleinen Metroangestellten Victor Matorel, der etwas wirr im Kopf ist, sich zum Katholizismus bekehrt und als Bruder Manassé 19 Monate in einem Lazaristenkloster verbringt, ehe er »im Geruch der Heiligkeit« stirbt und zusammen mit seinem Freund Émile Cordier, der sich ebenfalls zum Katholizismus bekehrt hat, auf einem Pferd durch die sieben Sphären zum Himmel aufsteigt. Saint Matorel, der viel Autobiografisches enthält, entwickelt sich keineswegs chronologisch. So beginnt der Roman mit der Begegnung des Autors mit Victor Matorel in der Metro, um dann gleich vom Tod Matorels und seinem Aufstieg in die Sphären zu berichten. Er zeigt schon das Imitationstalent von Max Jacob, die Fähigkeit, sich in die Haut anderer zu versetzen, die bis zum Identitätsverlust geht. Der Roman ist komplex, burlesk und poetisch zugleich, voller theosophischer und mythologischer Anspielungen und überreich an Bildern. Er erschien zuerst 1911 in der Galerie Simon (bei Kahnweiler) mit kubistischen Graphiken von Picasso, die wir die Freude haben, in der deutschen Ausgabe mit abdrucken zu dürfen.

Max Jacob, 1876 in Quimper in einer jüdischen Familie geboren, kam 1894 zum Studium nach Paris, das er jedoch 1896 abbrach. Danach übte er verschiedene Gelegenheitsberufe aus. 1901 lernte er den jungen Pablo Picasso kennen. Max Jacob zog ihm 1903 auf den Montmartre nach und erlebte dort die Entstehung des Kubismus aus nächster Nähe. Er lebte wie seine Freunde in äußerster Armut, schrieb Prosagedichte und malte. Im September 1909 hatte er in seinem dunklen Hinterhofzimmer eine Vision, die er sofort als Christusvision deutete. Im März 1944 starb er im Sammellager der SS in Drancy.

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2020

91