Leselampe

2020 | KW 14

Buchempfehlung der Woche

von Krischa Hasselbach

Krischa Hasselbach ist Gründerin und Inhaberin der Buchdisko in Pankow, die es seit 2014 gibt.

Georges Perec
Das Leben. Gebrauchsanweisung
(Roman); Aus dem Französischen von Eugen Helmé, Diaphanes Verlag, Zürich 2017.

In seinem 1978 veröffentlichten Roman beschreibt Perec über 100 Lebensgeschichten von 99 Bewohner*innen eines Pariser Mietshauses und wählt hierfür eine Erzählweise, die strukturell von den Gesetzmäßigkeiten des Schachspiels durchdrungen ist. So zerschneidet Perec die Geschichten der Hausbewohner in kleine und kleinste Teile und orientiert sich bei der Neuverteilung der Bruchstücke an der mathematischen Berechnung aller möglichen Züge und Bewegungen, die die Springerfigur innerhalb einer Schachpartie auszuführen vermag. Welchen Zweck verfolgt Perec mit dieser Vorgehensweise? Auf diese Frage antwortet eine der Hauptfiguren seines Romans: Der Millionär Bartlebooth. Bartlebooth, der aufgrund seines unermesslichen Reichtums mit der Frage zu kämpfen hat, was er mit seiner Zeit und seinem Geld anfangen möchte, beschliesst eines Tages, sein “ganzes Leben auf ein einziges Projekt hin auszurichten, dessen willkürliche Notwenigkeit allein sein Selbstzweck wäre”. Bartlebooth beschließt, sich zehn Jahre lang die Kunst des Aquarellmalens beizubringen. Anschließend würde er zehn Jahre lang durch die Welt reisen und in von ihm ausgewählten Hafenstädten Aquarelle malen, die er anschließend per Post nach Paris schicken würde, wo ein Spezialist diese Aquarelle in Puzzles umwandelt. Nach seiner eigenen Rückkehr nach Paris würde er weitere zehn Jahre lang die Puzzles wieder zusammensetzen und die auf diese Weise rekonstruierten Bilder an ihre Ursprungsorte zurückbringen, sie dort ins Wasser legen und für ihre endgültige Auflösung sorgen. In Perecs Worten: " (…) da die Zweckfreiheit die einzige Garantie für seine Strenge ist, würde sich das Projekt in dem Maße, in dem es verwirklicht werden würde, selbst zerstören; seine Vollkommenheit wäre kreisförmig.“ Perec hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben. Eines der wundersamsten literarischen Labyrinthe überhaupt, eines der lustigsten, irrsinnigsten und klügsten Bücher über die Unmöglichkeit auf unmögliche Weise unmöglich zu sein. Ich empfehle es sehr. Es ist seit 2017  in der Übersetzung von Eugen Helmé wieder erhältlich!

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2020

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